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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1994


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Hans-Konrad Ress


VII. Asylrecht

1. Politische Verfolgung

c) Religiöses Existenzminimum

      42. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte in seinem Beschluß vom 19.12.1994 (2 BvR 1426/91 - DVBl. 1995, 559 = InfAuslR 1995, 210) seine bisherige Rechtsprechung zur Frage der politischen Verfolgung wegen Religionszugehörigkeit56. Das Bundesverfassungsgericht gab einer Verfassungsbeschwerde eines iranischen Staatsangehörigen statt, der 1986 in der Bundesrepublik politisches Asyl mit der Begründung beantragt hatte, er sei 1978 vom islamischen Glauben zum chaldäisch-katholischen Glauben übergetreten. Nach der Scharia würde der Abfall vom islamischen Glauben (Aposastie) mit dem Tode bestraft. Das Bundesverfassungsgericht führte aus, daß bei einer, vom angerufenen VG als wahr unterstellten, im Iran geübten Rechtspraxis, wonach der Abfall vom Islam tatsächlich die Todesstrafe nach sich ziehe, dem Beschwerdeführer die Asylberechtigung nicht aberkannt werden könne. Er könne nicht mit dem Hinweis, daß ihm vor seiner Ausreise nichts passiert sei, darauf verwiesen werden, seine Religionszugehörigkeit im Iran geheimzuhalten. Zwar schütze das Asylrecht nicht vor staatlichen Maßnahmen, die sich gegen die Religionsausübung in der Öffentlichkeit richteten, jedoch folge daraus nicht, daß einem Glaubenszugehörigen angesonnen werden könne, seine Religionsausübung oder gar seine Religionszugehörigkeit als solche geheimzuhalten, um staatlichen Repressalien zu entgehen. Die Religionsausübung im häuslich-privaten Bereich und die Möglichkeit zum religiösen Bekenntnis im nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich gehöre vielmehr zu dem durch das Asylrecht geschützten elementaren Bereich der sittlichen Person und unterstehe der Garantie des Art. 16a Abs. 1 GG. Ahnde eine ausländische Rechtspraxis - wie im vorliegenden Fall - das religiöse Bekenntnis als solches und könne sich der Glaubensangehörige einer Bestrafung nur in der Weise entziehen, daß er seine Religionszugehörigkeit leugne, sei ihm der elementare Bereich, den er als religiöses Existenzminimum zu seinem Leben- und Bestehenkönnen als sittliche Person benötige, entzogen.



      56 Siehe hierzu bereits Rädler (Anm. 1), 511 f., sowie Philipp (Anm. 4), 855.