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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1994


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Hans-Konrad Ress


IX. Internationaler Menschenrechtsschutz

3. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

      86. Im sogenannten ersten Mauerschützen-Urteil hatte der BGH in der Staatspraxis der DDR bestehende Rechtfertigungsgründe für den Schußwaffengebrauch an der Berliner Mauer als unvereinbar mit dem Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte (IPBPR) verworfen74.

      Dem Urteil des BGH vom 26.7.1994 (5 StR 167/94 - BGHSt 40, 241 = MDR 1994, 1025 = NJW 1994, 2708 = NStZ 1994, 533 = NJ 1995, 42 - s.a. Anm. K. Amelung, NStZ 1995, 29) lagen Tötungshandlungen von Grenzsoldaten der DDR zugrunde, die sich im Jahre 1972, also vor Inkrafttreten des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte für die DDR am 23.3.197675, abspielten. Dieser Umstand hinderte den BGH jedoch nicht, an seiner Rechtsauffassung festzuhalten, den in der Staatspraxis der DDR bestehenden Rechtfertigungsgrund für die Tötung von Flüchtigen an der innerdeutschen Grenze auch in der vorliegenden Konstellation für unbeachtlich zu erklären.

      Der BGH stellte zunächst darauf ab, daß der IPBPR seine Grundlage in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte76 habe. Die Gewährleistungstatbestände der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und des IPBPR stimmten im Hinblick auf das Recht auf Leben und freie Ausreise überein; weniger präzise als im IPBPR formuliert seien allerdings die Schranken der Menschenrechte (Art. 29 Nr. 2 der Allgemeinen Erklärung). Funktion der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sei es, die Bezugnahme der Charta der Vereinten Nationen vom 26.6.194577 auf die Menschenrechte zu konkretisieren.

      Anschließend wies der BGH darauf hin, daß die Allgemeine Erklärung kein Vertragsrecht und somit zwar grundsätzlich bedeutend, jedoch nicht formell rechtsverbindlich sei. Eine genaue rechtliche Einordnung der Allgemeinen Erklärung meinte der BGH nicht vornehmen zu müssen. Auch wenn die Bindungswirkung der Allgemeinen Erklärung nicht voll geklärt sei, so komme ihr doch jedenfalls insofern ein hohes Maß an rechtlicher Bedeutung zu, als sie den Willen der Völkerrechtsgemeinschaft, Menschenrechte zu verwirklichen, und den ungefähren Inhalt dieser Menschenrechte zum Ausdruck bringe. Angesichts der Exaktheit, mit der die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte das fundamentale Recht auf Leben und das Recht auf freie Ausreise definiert habe, könne die Erklärung - nicht anders als der IPBPR - als eine Konkretisierung dessen aufgefaßt werden, was als die allen Völkern gemeinsame, auf Wert und Würde des Menschen bezogene Rechtsüberzeugung verstanden werde.

      Der Tatsache, daß die DDR erst im Jahre 1973 Mitglied der Vereinten Nationen geworden war, maß der BGH wenig Bedeutung bei, da die DDR stets erklärt habe, sie identifiziere sich mit den Zielsetzungen der Vereinten Nationen. Schließlich verwies der Senat auf Art. 91 DDR-Verfassung, wonach die allgemein anerkannten Normen des Völkerrechts über die Bestrafung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und von Kriegsverbrechen unmittelbar geltendes Recht sein sollten.

      Die fehlende Unterrichtung der Grenzsoldaten der DDR über den Beitritt der DDR zum IPBPR oder über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte war nach Ansicht des BGH nicht beachtlich. Entscheidend sei, daß die Tötung eines unbewaffneten Flüchtlings ein derart schreckliches und jeder vernünftigen Rechtfertigung entzogenes Tun darstelle, daß der Verstoß gegen das elementare Tötungsverbot auch für einen indoktrinierten Menschen ohne weiteres einsichtig, also offensichtlich gewesen sei.



      74 Vgl. hierzu Rädler (Anm. 1), 531 f.
      75 DDR-GBl. II, 108.
      76 Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 10.12.1948.
      77 BGBl. 1973 II, 431.