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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1994


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Hans-Konrad Ress


X. Europäische Gemeinschaften

1. Gemeinschaftsrecht und innerstaatliches Recht

      88. Der BGH hatte sich in seinem Urteil vom 27.1.1994 (III ZR 42/92 - BGHZ 125, 27 = NJW 1994, 858 = EuZW 1994, 219 mit Anm. H.-K. Ress = JZ 1994, 726 mit Anm. M. Herdegen = NJW-RR 1994, 989 = DVBl. 1994, 475) mit der Frage zu befassen, ob die Bundesrepublik Deutschland für Schäden verantwortlich ist, die Unternehmen aufgrund des durch EG-Verordnung Nr. 2340/90 des Rates der Europäischen Gemeinschaften verhängten Irak-Embargos erlitten haben. Das von den Vereinten Nationen nach Kap. VII der Charta verhängte Handelsembargo (Resolution Nr. 660 des Sicherheitsrats vom 6.8.1990) war durch die genannte EG-Verordnung sowie in der Bundesrepublik zur Straf- und Bußgeldbewährung der Verbote durch Einfügung von § 69a Außenwirtschaftsverordnung80 umgesetzt worden. Der BGH bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung des LG Bonn81 und verneinte Ansprüche des klagenden Unternehmens aus enteignungsgleichem oder enteignendem Eingriff und nach Amtshaftungsgrundsätzen.

      Der BGH begründete dies in erster Linie damit, daß der geltend gemachte Schaden unmittelbar auf das von dem Rat der EG in der Verordnung Nr. 2340/90 ausgesprochene Verbot zurückzuführen sei, und die Bundesrepublik hierfür nicht aufzukommen habe. Verordnungen nach Art. 189 Abs. 2 EWG-Vertrag hätten nicht nur im Hinblick auf die Rechte, sondern auch bezüglich der Pflichten unmittelbare Geltung für die Bürger der Mitgliedstaaten und bedürften keiner Transformation in nationales Recht. Das klagende Unternehmen war daher schon allein durch die Verordnung Nr. 2340/90 der EG rechtlich an der weiteren Durchführung ihrer Verträge mit dem Irak gehindert. Für diesen Eingriff trage der Rat der EG die Verantwortung.

      Der Vorschrift des § 69a AWV sei, soweit sie inhaltlich der Verordnung Nr. 2340/90 entspreche, selbst zu entnehmen, daß ihr der deutsche Verordnungsgeber nur eine rein deklaratorische Bedeutung habe beimessen wollen. Zwar werde in § 69a AWV das Verbot der EG wiederholt, der Grund hierfür sei jedoch allein die Straf- und Bußgeldbewährung entsprechender Verbote der Europäischen Gemeinschaften gewesen. Ein selbständiges konstitutives Verbot habe der deutsche Verordnungsgeber nicht aufstellen wollen.

      Die Strafbewährung des EG-Verbots durch die Verordnung des deutschen Verordnungsgebers stelle keinen zusätzlichen Eingriff in die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Bürger der Mitgliedstaaten dar. Sie knüpfe an den in der EG-Verordnung vorgebenen abgeschlossenen Tatbestand an, ohne daß sie ein weiteres Verbot enthielte. Hiermit verwarf der BGH die Argumentation des Klägers, ohne Strafbewährung hätte er die Lieferungen in den Irak ungehindert durchgeführt. Der BGH verwies auf seine ständige Rechtsprechung, daß der Verlust oder die Vorenthaltung einer tatsächlichen oder rechtlichen Position, auf die dem Geschädigten nach der Rechtsordnung ein Anspruch nicht zustehe, keinen ersatzfähigen Schaden darstelle und auch nach den Grundsätzen der Aufopferung nicht zu einer Entschädigung berechtige82.

      Auf die in der Literatur kontrovers geführte Diskussion, ob Art. 113 EWG-Vertrag die Verhängung eines auf die Erfüllung rein außenpolitischer Ziele gerichteten Handelsembargos durch die EG überhaupt zuläßt, ging der BGH nicht weiter ein. Auch eine kompetenzwidrig zustandegekommene Verordnung Nr. 2340/90 ändere nichts an dem fehlenden konstitutiven Charakter des § 69a AWV.

      Ein Entschädigungs- oder Amtshaftungsanspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland wäre nach Auffassung des BGH auch dann zu verneinen, wenn das Zustimmungsgesetz zum EWG-Vertrag unter dem Gesichtspunkt des Art. 14 GG verfassungskonform einschränkend dahin auszulegen wäre, daß der Embargo-Verordnung der Gemeinschaft die Wirkung für den deutschen Rechtsraum versagt bliebe. Auch dies würde nicht dazu führen, daß etwaige mit der Verordnung Nr. 2340/90 einhergehende Grundrechtseingriffe der beklagten Bundesrepublik zugerechnet werden könnten.

      Schließlich ergebe sich auch nicht daraus eine Entschädigungspflicht, daß es die Bundesrepublik pflichtwidrig unterlassen habe, der deutschen Embargo-Verordnung (§ 69a AWV) eine Entschädigungsregelung beizufügen. Es sei schon fraglich, ob das Gemeinschaftsrecht der Bundesrepublik die Befugnis zur Gewährung eines innerstaatlichen Anspruchs noch belassen hätte, weil deutsche Unternehmen dann u. U. günstiger gestellt wären als Unternehmen eines anderen Mitgliedstaates. Zum anderen setzte eine derartige Entschädigungspflicht voraus, daß § 69a AWV an eigenen, nicht auf ein Parlamentsgesetz zurückgehenden Nichtigkeitsgründen leide83. Dies sei hier nicht der Fall, da sich § 69a AWV an die eindeutigen Vorgaben des - zu Eingriffen in laufende Verträge ermächtigenden - § 2 Abs. 2 Satz 3 AWG halte. Wegen der rein deklaratorischen Bedeutung des § 69a AWV komme im übrigen auch ein Amtshaftungsanspruch nicht in Betracht.

      89. Mit der Geltung des EG-Gemeinschaftszollrechts für das Gebiet der beigetretenen neuen Bundesländer hatte sich der BFH in dem Urteil vom 27.9.1994 (VII R 75/93 = BFHE 176, 83 = DStR 1995, 284 = RIW 1995, 524) auseinanderzusetzen. Im Streit stand die Zollbehandlung von Waren, die von einem Unternehmen in der früheren DDR im Sommer 1990 in Kuba bestellt, jedoch erst nach dem Beitritt eingeführt wurden. Der BFH entschied, daß mit Wirksamwerden des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3.10.1990 das Zollrecht des Bundes (Art. 8 Einigungsvertrag) und auch das Gemeinschaftszollrecht einschließlich des sekundären Gemeinschaftsrechts in Kraft getreten seien. Das erstinstanzliche FG habe daher rechtsfehlerfrei entschieden, daß die aus Kuba eingeführten Waren dem Zollregime der einschlägigen EG-Verordnung Nr. 3568/90 unterlegen hätten. Entgegen dem Vorbringen des klagenden Unternehmens liege zudem eine gegen das rechtsstaatliche Prinzip der Rechtssicherheit verstoßende unzulässige Rückwirkung nicht vor. Es könne sich bereits fragen, ob überhaupt von einer Rückwirkung auszugehen sei, wenn sich, wie hier, die beanstandete Einwirkung nicht in Folge einer (unmittelbaren) Normsetzung des Gesetzgebers ergebe, sondern durch einen "Wechsel der Zollrechtsordnung" das Gemeinschaftszollrecht aufgrund des Beitritts der DDR automatisch in Kraft getreten sei. Selbst wenn eine (unechte) Rückwirkung vorläge, so wäre sie zulässig, da kein überwiegendes schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen auf eine bestehende günstigere Rechtslage anzuerkennen sei. Insoweit fehle es bereits an einem - normativen - Vertrauenstatbestand, da der hier einschlägige Art. 13 Abs. 2 WV (Vertrag über die Währungsunion) seiner allgemeinen Fassung nach nicht geeignet sei, ein spezifisches Vertrauen auf das Fortbestehen einer einseitig vorgesehenen Zollbefreiung zu begründen.

      90. Die zuständigen deutschen Behörden hatten einem Landwirt eine in mehreren Raten ausgezahlte Prämie für die Umstellung seines Milchkuhbestandes auf einen Bestand zur Fleischerzeugung gewährt. Da der Landwirt unter Verstoß gegen die einschlägige EG-Verordnung einige Milchkühe behalten hatte, nahm die Behörde den Bewilligungsbescheid zurück und verlangte die Rückzahlung der bereits ausgezahlten Prämienraten. Das Bundesverwaltungsgericht entschied letztinstanzlich, daß die bereits ausgezahlten Prämienraten trotz des Gemeinschaftsrechtsverstoßes vom Kläger nicht zurückverlangt werden könnten. Die Rückforderung der Prämien richte sich mangels gemeinschaftsrechtlicher Regelung im vorliegenden Fall nach nationalem Recht. Für den Widerruf der ursprünglich rechtmäßigen Bewilligung der ersten Prämienrate liege keiner der in § 49 Abs. 2 VwVfG aufgeführten Widerrufsgründe vor. Dieses Ergebnis widerspreche nicht dem gemeinschaftsrechtlichen Gebot, bei Nichteinhaltung der Verpflichtungen die bereits ausgezahlten Prämienbeträge wieder einzuziehen. Die Unwiderruflichkeit sei Ausdruck des Vertrauensschutzes, den der deutsche Gesetzgeber dem Adressaten eines anfänglich rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsaktes bei Fehlen eines Widerrufsgrundes einräume. Zwar lasse der EuGH die Anwendung des nationalen Rechts nur unter dem Vorbehalt zu, daß damit die Rückforderung nicht praktisch unmöglich gemacht werde84. Die Rückforderung solcher Prämien werde aber nicht dadurch praktisch unmöglich, daß der Widerruf nach deutschem Verwaltungsverfahrensrecht vom Vorliegen eines hierzu legitimierenden Grundes abhänge.

      Das Bundesverwaltungsgericht sah auch keine Möglichkeit für die Rücknahme des von Anfang an mit einem Rechtsfehler behafteten Bewilligungsbescheides für die zweite Prämienrate, da der Kläger trotz seines Verstoßes gegen die ihm nach der einschlägigen EG-Verordnung obliegenden Verpflichtung auf die Rechtmäßigkeit des zweiten Bewilligungsbescheides hätte vertrauen dürfen. Sein schutzwürdiges Vertrauen schließe eine Rücknahme aus (§ 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG).

      91. Das FG Hamburg hatte sich in seinem Beschluß vom 24.1.1994 (IV 278/93 H - EFG 1994, 570) mit der Rückforderung zu Unrecht gezahlter Ausfuhrerstattungen zu beschäftigen. Das FG entschied, daß sich der Rückzahlungspflichtige nicht auf Vertrauensschutz gemäß § 48 Abs. 2 - 4 VwVfG, insbesondere nicht auf den Wegfall der Bereicherung gemäß § 48 Abs. 2 Satz 6 VwVfG i.V.m. § 818 Abs. 3 BGB berufen könne. Der Rückzahlungspflichtige hatte geltend gemacht, die Rückforderung sei ausgeschlossen, da er die Ausfuhrerstattung "über den Preis an seine Abnehmer weitergegeben habe". Das FG verwies auf die Rechtsprechung des EuGH zur Frage des Vertrauensschutzes gegenüber der Rückforderung von nach Gemeinschaftsrecht gewährten Subventionen. Hiernach stehe das Gemeinschaftsrecht zwar nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegen, die für den Ausschluß einer Rückforderung auf Kriterien wie den Vertrauensschutz und den Wegfall der ungerechtfertigten Bereicherung abstellten, es müßten jedoch hierbei die gleichen Voraussetzungen gelten wie für die Wiedereinziehung rein nationaler Geldleistungen und das Interesse der Gemeinschaft müsse voll berücksichtigt werden. Nach Auffassung des FG genügt in Fällen der vorliegenden Art allein das Abstellen auf die vollständige Weitergabe des erlangten Vorteils nicht den Anforderungen des EuGH. Ließe man die Berufung auf den Wegfall der Bereicherung stets zu, wenn der Ausführer kalkulatorisch die Ausfuhrerstattung über den Preis an seinen Abnehmer weitergegeben habe, so wäre damit die Rückforderung von Gemeinschaftssubventionen in diesem Bereich weit überwiegend, wenn nicht ganz und gar praktisch unmöglich gemacht.

      92. Die Rückforderung landwirtschaftlicher Prämien (hier Stillegungsprämie) beschäftigte im Berichtsjahr auch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Der BayVGH judizierte in seinem Urteil vom 9.3.1994 (19 B 93.2259 - DÖV 1995, 204), daß sich der Widerruf eines Bewilligungsbescheids für eine Stillegungsprämie im Anwendungsbereich des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen (MOG)85 vorrangig nach dessen Bestimmungen richte und § 48 VwVfG insoweit verdränge. Der Widerruf richte sich allein nach § 10 Abs. 2 MOG, da insoweit kein vorrangiges Gemeinschaftsrecht bestehe. Die einschlägige EG-Verordnung Nr. 1272/88 schreibe für den Fall der Nichteinhaltung der Subventionsbestimmungen zwar eine Verpflichtung zur Rückabwicklung der Beihilfegewährung vor, überlasse es dem nationalen Gesetzgeber jedoch, wie im einzelnen diese Verpflichtung erfüllt und durchgesetzt werde. Der in § 10 Abs. 2 MOG bei Nichteinhaltung der zugrundeliegenden Subventionsbestimmungen vorgeschriebene Widerruf des Bewilligungsbescheids mit Wirkung auch für die Vergangenheit verstoße, so der BayVGH unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts86, nicht gegen den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes.



      80 10. Änderungsverordnung zur Außenwirtschaftsverordnung vom 9.8.1990 (BAnz Nr. 149 vom 11.8.1990).
      81 Urteil vom 26.2.1992, siehe hierzu Rädler (Anm. 1), 535.
      82 BGH, NJW-RR 1989, 530.
      83 BGHZ 111, 349.
      84 EuGH, NVwZ 1993, 973.
      85 In der Fassung vom 27.8.1986, BGBl. 1986 I, 1397, zuletzt geändert durch VO vom 26.2.1993 (BGBl. I, 277).
      86 Urteil vom 8.9.1993 - 11 C 39.92.