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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1994


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Hans-Konrad Ress


II. Völkerrechtliche Verträge

      5. Auch im Jahre 1994 war Art. VIII Abschnitt 2 Buchst. b des Bretton-Woods-Abkommens5 Gegenstand einer Entscheidung des BGH. Nach dieser Bestimmung kann aus Devisenkontrakten, welche die Währung eines Vertragsstaates berühren und den von diesem Vertragsstaat in Übereinstimmung mit dem Abkommen aufrechterhaltenen oder durchgeführten Devisenkontrollbestimmungen zuwiderlaufen, in den Hoheitsgebieten der anderen Vertragsstaaten nicht geklagt werden6. Die Klägerin, eine deutsche Raiffeisen-Volksbank, nahm den Beklagten, einen österreichischen Staatsbürger, als Aussteller eines Wechsels über 1 Million DM in Anspruch. Der Beklagte machte geltend, die Klage sei unzulässig, da die streitige Forderung wegen Verstoßes gegen österreichische Devisenkontrollbestimmungen nach Art. VIII Abschn. 2 (b) des Bretton-Woods-Abkommens unklagbar sei. Der Beklagte berief sich in diesem Zusammenhang auf § 14 Abs. 1 Österreichisches Devisengesetz (DevG), wonach die Einräumung von Krediten an Ausländer sowie die Aufnahme von Krediten bei Ausländern der Bewilligung der Österreichischen Nationalbank bedürfen.

      Der BGH kam in seinem Urteil vom 22.2.1994 (XI ZR 16/93 - NJW 1994, 1868 = BB 1994, 531 = IPRax 1995, 110 = NJW-RR 1994, 1259 [Ls.])7 zu dem Ergebnis, daß die streitige Wechselverpflichtung des Beklagten unter den Begriff der "Devisenverträge" ("exchange contracts") falle, da sie Auswirkungen auf die Zahlungsbilanz der Republik Österreich haben könne, bejahte jedoch die Klagbarkeit. In dem vom Beklagten ins Feld geführten § 14 Abs. 1 DevG vermochte der BGH keine Devisenkontrollbestimmung im Sinne des Abkommens zu erblicken. Hiermit bestätigte der BGH seine bereits zuvor8 eingeleitete Praxis, Art. VIII Abschn. 2 (b) IWF-Abkommen restriktiver auszulegen. Er stützte sich hierbei auf die Erwägung, daß Art. VIII Abschn. 2 (a) und (b) in einem sehr engen Text- und systematischen Zusammenhang stünden. Unter der gemeinsamen programmatischen Überschrift "Vermeidung von Beschränkungen laufender Zahlungen" werde unter (a) das grundsätzliche Verbot ausgesprochen, den laufenden Zahlungsverkehr ohne Zustimmung des Fonds Beschränkungen zu unterwerfen, und unter (b) die Durchsetzung derjenigen Beschränkungen geregelt, die in Übereinstimmung mit dem Abkommen stehen. Da die Republik Österreich nach Mitteilung des Internationalen Währungsfonds die nach Art. VIII Abschn. 2 (a) erforderliche Zustimmung zu § 14 Abs. 1 DevG nicht eingeholt habe, stehe die österreichische Vorschrift nicht in Übereinstimmung mit dem Übereinkommen und stelle keine Devisenkontrollbestimmung i.S.v. Art. VIII Abschn. 2 (b) dar. Da somit Art. VIII Abschn. 2 (b) des Abkommens nicht eingreife, könne aus der Wechselforderung geklagt werden.

      6. Mit Urteil vom 22.2.1994 (X ZB 15/92 (BPatG) - NJW 1994, 2157 = MDR 1994, 905) entschied der BGH, daß der Zulässigkeit eines Einspruchsverfahrens gegen ein deutsches Patent nicht entgegenstehe, daß für den Patentinhaber ein im wesentlichen gleiches europäisches Patent erteilt worden sei.

      Die Bundesrepublik Deutschland hat von der in Art. 139 III EPÜ vorgesehenen Regelungsmöglichkeit Gebrauch gemacht und in Art. II § 8 IntPatÜG9 eine Regelung geschaffen, die den Doppelschutz für dieselbe Erfindung durch ein dem Erfinder mit gleicher Priorität vom Europäischen wie auch vom Deutschen Patentamt erteilten Patent ausschließt. Nach dieser Bestimmung kann der Inhaber eines europäischen und eines gleichrangigen, im wesentlichen identischen deutschen Patents nur das sich aus dem europäischen Patent ergebende Ausschließungsrecht ausüben. Der BGH entschied, daß dennoch für ein Einspruchsverfahren gegen das deutsche Patent nach § 59 PatG ein schutzwürdiges Interesse bestehe, da das Doppelschutzverbot nicht zum Verlust des deutschen Patents schlechthin führe, sondern von Gesetzes wegen lediglich zum Wegfall der Schutzwirkung für die Zukunft, und dies auch nur im Umfang seiner Überschneidung mit dem europäischen Patent. Daher sei trotz des vorrangigen Schutzes des europäischen Patents ein Einspruchsverfahren gegen das deutsche Patent zulässig.

      7. Nach einem Urteil des BGH vom 23.6.1994 (I ZR 15/92 - BGHZ 126, 287 = NJW 1994, 2820 = MDR 1995, 280 = NJW-RR 1995, 361 [Ls.]) genießt das Deutsche Rote Kreuz e. V. für das Wahrzeichen des Roten Kreuzes Schutz in entsprechender Anwendung des § 12 BGB. Diese Frage stellte sich in einem Rechtsstreit zwischen einem gewerblichen Krankentransportunternehmen und der nationalen Rotkreuz-Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland im Sinne der vier Genfer Rotkreuz-Abkommen vom 12.8.194910. Das Krankentransportunternehmen verwendete in Werbebroschüren sowie zur Kennzeichnung seiner Krankenwagen ein Zeichen, das ein rot-braunes Kreuz auf elfenbeinfarbenem Hintergrund zeigte. Das Deutsche Rote Kreuz machte geltend, dieses Zeichen sei mit dem gesetzlich geschützten Wahrzeichen des Roten Kreuzes verwechselungsfähig, die Beklagte habe daher die Verwendung dieses Zeichens zu unterlassen.

      Der BGH gab der Unterlassungsklage des Deutschen Roten Kreuzes statt, da sich der Schutz des § 12 BGB auch auf das von dem Kläger geführte rote Kreuz erstrecke, welches als Wahrzeichen seine Grundlage in den Art. 38, 44 und 53 des Genfer Abkommens zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde vom 12.8.1949 in Verbindung mit dem Zustimmungsgesetz vom 21.8.1954 habe. Die den Namensschutz regelnde Vorschrift des § 12 BGB sei zum Schutze des Wahrzeichens des Roten Kreuzes ebenso wie bei unterscheidungskräftigen Wappen und Vereinsemblemen entsprechend anwendbar. Als internationales Schutzzeichen solle das Wahrzeichen unter allen Einsatzbedingungen stets klar und zweifelsfrei die Funktion seiner Träger bezeichnen. Dementsprechend verpflichteten Art. 53 und 54 des genannten Genfer Abkommens die Vertragsstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um den unbefugten Gebrauch des Wahrzeichens des Roten Kreuzes und aller Zeichen, die eine Nachahmung darstellen, zu verhindern und zu ahnden.

      8. In Auslegung des Art. 60 Abs. 3 EuGVÜ11 nahm der BGH Stellung zum Anwendungsbereich des Übereinkommens (Urteil vom 27.10.1994 -IX ZB 39/94 - EuZW 1995, 96 = NJW 1995, 264 = RIW 1995, 150 = EWS 1994, 443 = MDR 1995, 520). Nach dieser Bestimmung gilt das Übereinkommen nicht für die europäischen Gebiete außerhalb des Vereinigten Königreichs. Nach Auffassung des BGH gehören hierzu unter anderem die britischen Kanalinseln, weshalb ein Urteil des Royal Court of Jersey nicht gemäß Art. 31 EuGVÜ für in Deutschland vollstreckbar erklärt werden dürfe.

      9. Das BAG hatte sich in seinem Urteil vom 13.10.1994 (II AZR 261/93 - NZA 1995, 527) u. a. mit der Frage zu beschäftigen, ob eine auf den Einigungsvertrag gestützte Kündigung eines Lehrers gegen das ILO-Übereinkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf vom 25.6.195812 verstößt. Der klagende Lehrer unterrichtete seit 1975 im Schuldienst der ehemaligen DDR und war unter anderem mehrere Jahre Parteisekretär der SED an einer Oberschule. Zuvor hatte der Kläger die Kreisparteischule und die Bezirksparteischule der SED besucht. Der Beklagte hatte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.12.1991 wegen mangelnder persönlicher Eignung des Klägers gekündigt. Nachdem die beiden Vorinstanzen die Klageanträge anerkannt hatten, hob das Bundesarbeitsgericht das Urteil des LAG auf. Nach der einschlägigen Bestimmung des Einigungsvertrages13 sei eine Kündigung zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspreche. Dies verstößt nach Auffassung des BAG nicht gegen das ILO-Übereinkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf. Die Kündigung wegen Nichteignung eines Lehrers knüpfe nicht an die politische Meinung des einzelnen Lehrers an, sondern an die durch seine in der ehemaligen DDR wahrgenommenen Funktionen begründete mangelnde persönliche Eignung, als Lehrer gemäß seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtung die Grundwerte unserer Verfassung den Schülern glaubwürdig zu vermitteln. Wer aufgrund seiner Funktion verpflichtet gewesen sei, über längere Zeit eine verfassungsmäßige Ordnung als revanchistisch zu bekämpfen, könne nun nicht glaubhaft eine gegenteilige Auffassung vertreten, wenn er sich nicht schon früher durch konkretes Verhalten von dem ideologischen Auftrag distanziert habe14.

      10. Auch im Berichtsjahr 1994 hatte sich der BFH mit der rückwirkenden Anwendbarkeit des DBA-Italien 1989 auseinanderzusetzen, welches am 27.12.1992 in Kraft trat15. Ausgangspunkt des Urteils des BFH vom 16.3.1994 (I R 140/93 - BFHE 174, 159 = IStR 1994, 332 = HFR 1994, 520 = RIW 1994, 620 = DStR 1994, 1145 [Ls.]) war die Besteuerung von Einkünften eines deutschen Flugkapitäns mit Wohnsitz in der Bundesrepublik. Das Finanzamt (FA) behandelte die Einkünfte aus in Italien ausgeübter Tätigkeit nach dem alten DBA-Italien 1925 in den zunächst erlassenen Einkommensteuerbescheiden 1990 und 1991 als steuerfrei, erklärte die entsprechenden Bescheide jedoch im Hinblick auf das zu erwartende Inkrafttreten des DBA-Italien 1989 für vorläufig. Gegen die nach Inkrafttreten des neuen DBA-Italien geänderten Einkommensteuerbescheide, in denen die Einkünfte aus in Italien ausgeübten Tätigkeiten der inländischen Besteuerung unterworfen wurden, klagte der Flugkapitän erfolgreich vor dem FG Rheinland-Pfalz16. Der BFH hob das Urteil des FG Rheinland-Pfalz auf und wies die Klage ab. Das Gericht entschied, daß das DBA-Italien 1925 (RGBl. 1925 II, 1145) auf die hier in Frage stehenden Veranlagungszeiträume 1990 und 1991 keine Anwendung mehr finde. Dies ergebe sich aus Art. 2 des Zustimmungsgesetzes vom 10.8.1990 zum DBA-Italien 1989, mit dem das Zustimmungsgesetz vom 7.12.1925 zum DBA-Italien 1925 dahin geändert worden sei, daß die Art. 7 und 11 DBA-Italien 1925 schon für die Zeit ab dem 1.1.1990 nicht mehr auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des Art. 15 Abs. 2 DBA-Italien 1989 anzuwenden seien. Ob die entsprechende Änderung bereits völkerrechtlich wirksam sei, sei für die Anwendung des Zustimmungsgesetzes im Inland irrelevant. Zwar werde die rückwirkende Anwendung ausdrücklich nur auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des Art. 15 Abs. 2 DBA-Italien 1989 und nicht auch auf solche im Sinne des Art. 15 Abs. 3 DBA-Italien 1989 (Sonderregelung für das "fliegende Personal") angeordnet. Dies schließe es jedoch nicht aus, daß die Einkünfte, auf die die Rechtsfolge des Art. 15 Abs. 3 DBA-Italien 1989 anzuwenden wäre, zugleich Einkünfte i.S. des Art. 15 Abs. 2 DBA-Italien 1989 seien. Auch auf sie finde deshalb Art. 2 des Zustimmungsgesetzes Anwendung.

      Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der in dem Zustimmungsgesetz enthaltenen Rückwirkung verwies der BFH auf seinen Beschluß vom 10.11.199317.

      11. Zu einem anderen Ergebnis kam das Hessische FG in seinem - nicht rechtskräftigen18 - Urteil vom 26.5.1994 (II K 1352/93 - EFG 1994, 1032). Es entschied in einem ähnlich gelagerten Fall, daß eine rückwirkende Anwendung des DBA-Italien 1989 beim sogenannten "fliegenden Personal" nicht in Betracht komme. Es stützte sich auf die Tatsache, daß die Bestimmungen des Zustimmungsgesetzes hinsichtlich der rückwirkenden Anwendung nur auf Einkünfte aus selbständiger Arbeit i.S. des Art. 15 Abs. 2 DBA-Italien 1989 Bezug nehme, nicht jedoch auf die Sonderregelung des Art. 15 Abs. 3 DBA-Italien 1989. Das Gericht sah Art. 15 Abs. 2 und Art. 15 Abs. 3 DBA-Italien 1989 als zwei eigenständige steuerliche Normen an, die einen in sich abgeschlossenen Regelungsbereich hätten. Daher gehe die vom Gesetzgeber beabsichtigte rückwirkende Anwendung des DBA-Italien 1989 im Streitfall ins Leere.



      5 Übereinkommen über den Internationalen Währungsfond vom 1./22.7.1944 i.d.F. vom 30.4.1976, BGBl. 1978 II, 13 ff., 34 f., 3. Änderung vom 28.6.1990, BGBl. 1991 II, 814; vgl. hierzu auch Rädler (Anm. 1), 484 ff.
      6 Die völkerrechtlich allein verbindliche englische Fassung der Bestimmung lautet: "Exchange contracts which involve the currency of any member and which are contrary to the exchange control regulations of that member maintained or imposed consistently with this agreement shall be uninforceable in the territories of any member".
      7 Vgl. hierzu A. Fuchs, Auf dem Weg zur engen Auslegung des Art. VIII Abschn. 2 (b) Satz 1 IWF-Abkommen, IPRax 1995, 82.
      8 Vgl. Urteil vom 8.11.1993, IPRax 1994, 298.
      9 Gesetz über Internationale Patentübereinkommen vom 21.6.1976 (BGBl. II, 649).
      10 BGBl. 1954 II, 783 ff.
      11 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 (BGBl. 1972 II, 774).
      12 BGBl. 1961 II, 98.
      13 Anl. I Kap. XXI Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1.
      14 Siehe auch Urteil des BAG vom 13.10.1994 (II AZR 201/93 - MDR 1995, 178 = NJ 1995, 161) zu einem ähnlich gelagerten Sachverhalt. Auch hier verneinte das BAG einen Verstoß gegen das ILO-Abkommen Nr. 111.
      15 BGBl. 1993 II, 59; zur bisherigen Rechtsprechung des BFH siehe Philipp (Anm. 4), 901 ff.
      16 Urteil vom 22.9.1993 - I K 2142/93.
      17 Siehe Anm. 15.
      18 Revision eingelegt zum BFH, Az. des BFH: I R 91/94.