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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1994


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Hans-Konrad Ress


X. Europäische Gemeinschaften

10. Vorabentscheidungsverfahren (Art. 177 EG-Vertrag)

      112. In den bereits oben [93] erwähnten Entscheidungen des BGH (Urteil vom 21.4.1994) und des OLG Frankfurt nahmen beide Gerichte zu den Rechtswirkungen der aufgrund von Art. 177 EGV ergangenen Vorabentscheidungen des EuGH Stellung. Diese Entscheidungen des EuGH würden zwar nur die mit dem Ausgangsverfahren befaßten Gerichte binden, dies bedeute jedoch nicht, daß ihre Wirkungen auf den konkreten Fall beschränkt seien. Sie könnten vielmehr auch in anderen Verfahren eine tatsächlich rechtsbildende Kraft entfalten, um eine einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten sicherzustellen. Den Vorabentscheidungen des EuGH komme im übrigen auch ex tunc-Wirkung zu, mit der Folge, daß die nationalen Gerichte die Auslegung der Vertragsbestimmungen durch den EuGH grundsätzlich auch auf Rechtsverhältnisse anzuwenden hätten, die vor Erlaß des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden seien.

      113. Nach § 126 Abs. 5 FGO sind die Finanzgerichte, an die der BFH einen Rechtsstreit zurückverwiesen hat, verpflichtet, ihrer (neuen) Entscheidung die rechtliche Beurteilung des BFH zugrunde zu legen. Dies veranlaßte das FG Rheinland-Pfalz in einem höchst fragwürdigen - nicht rechtskräftigen - Urteil vom 7.11.1994 (5 K 2813/93 - EFG 1995, 378 = EuZW 1995, 588 [Ls.]) zu der Annahme, die Bindungswirkung nach § 126 Abs. 5 FGO umfasse auch gemeinschaftsrechtliche Vorfragen, selbst wenn diese in die Revisionsentscheidung des BFH nicht ausdrücklich und unmittelbar Eingang gefunden hätten. Das FG sah sich an dieser Feststellung auch nicht durch zwei entgegenstehende Entscheidungen des EuGH104 gehindert, in denen der Gerichtshof ausführte, daß eine nationale Rechtsnorm wie § 126 Abs. 5 FGO den nationalen Gerichten nicht das in Art. 177 EWGV vorgesehene Recht zur Anrufung des Gerichtshofs nehme.

      Das FG befand, diese Auffassung des EuGH sei mit § 126 Abs. 5 FGO nicht vereinbar und halte sich nicht im Rahmen der für den EuGH gezogenen Grenzen, die Entscheidungen zu nationalem Prozeßrecht nicht zuließen. Trotz des offenen Widerspruchs zur Rechtsprechung des EuGH sah sich das FG an einer erneuten Vorlage an den Gerichtshof gehindert. Der EuGH sei im Rahmen von Art. 177 EWGV zur Auslegung und Anwendung nationalen Rechts nicht befugt, nichts anderes tue er aber, wenn er § 126 Abs. 5 FGO für nachrangig gegenüber Art. 177 EWGV erkläre105.



      104 EuGH Slg. 1974, 33 und Slg. 1974, 139.
      105 Vgl. zu dieser Entscheidung K. Reiche, Kompetenzwidrige EuGH-Rechtsprechung zu Art. 177 Abs. 2 EGV?, EuZW 1995, 569.