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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1994


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Hans-Konrad Ress


III. Wirkungen und Grenzen staatlicher Souveränität

1. Grenzen der Ausübung eigener Staatsgewalt

      12. Mit dem Verlauf der Staatsgrenze der Bundesrepublik Deutschland auf dem Bodensee befaßte sich das Finanzgericht Baden-Württemberg - Außensenate Freiburg - in seinem Urteil vom 3.2.1994 (14 K 147/91 - EFG 1994, 852)19. Die Klägerin lieferte im Streitjahr auf drei Bodenseeschiffen der Deutschen Bundesbahn Speisen und Getränke an Ort und Stelle. Da die Schiffe regelmäßig am deutschen Ufer entlang fuhren, bei Kursfahrten regelmäßig lediglich auf deutscher Seite anlegten und die Schweiz nur bei Sonderfahrten angefahren wurde, behandelte das Finanzamt die Restaurationsumsätze der Klägerin in Höhe von 90 % als steuerpflichtige Umsätze im Sinne des UStG. Die Klägerin war der Auffassung, ihre Umsätze unterlägen nicht der Umsatzsteuer, da sie nicht im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und somit nicht im Erhebungsgebiet des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG ausgeführt worden seien. Das FG folgte der Argumentation der Klägerin nicht und verwies darauf, daß nach den Regeln des Völkerrechts Grenzseen und Grenzflüsse im allgemeinen entweder längs der Mittellinie oder längs des Talweges real geteilt seien. Dies entspreche der überwiegenden Praxis der Staaten, so etwa beim Genfer See, bei den schweizerisch-italienischen Seen und bei den Seen zwischen den Vereinigten Staaten und Kanada. Hinsichtlich des Grenzverlaufs auf dem Bodensee sei zu unterscheiden: a) Die Grenze auf dem Untersee zwischen Deutschland und der Schweiz folge gemäß Vertrag vom 20./31.10.1854 (Badisches Regierungsblatt 1855, 113) zwischen dem Großherzogtum Baden und dem Kanton Thurgau längs der Mittellinie; b) Der Überlinger See, dessen einziger Anlieger die Bundesrepublik Deutschland sei, gehöre anerkanntermaßen zur Bundesrepublik Deutschland; c) Über die Aufteilung des Obersees stünden sich im völkerrechtlichen Schrifttum zwei Auffassungen gegenüber: nach der sogenannten Realteilungstheorie sei der Bodensee zwischen den drei Anliegerstaaten aufgeteilt, wobei die Grenze der Mittellinie folge, nach der entgegengesetzten Kondominiums- oder Kondominatstheorie werde hingegen die Souveränität von allen drei Staaten über den ganzen See ausgeübt.

      Unter Berufung auf die höchstrichterliche Rechtsprechung in den anliegenden Staaten gab das FG der Realteilungstheorie für die Bestimmung des Grenzverlaufs auf dem Obersee den Vorzug vor der Kondominiumstheorie20. Zunächst seien keine Gründe ersichtlich, warum der Obersee als Teil des Bodensees nicht wie andere Grenzseen real geteilt sein sollte. Darüber hinaus wäre es bei Annahme eines Kondominiums nicht möglich gewesen, daß über einzelne Teile des Bodensees die anliegenden Staaten ohne Beteiligung der jeweils anderen Staaten Verträge über deren reale Teilung abgeschlossen hätten, wie das in den Staatsverträgen von 1854 und 1878 geschehen sei. Auch die allgemein anerkannte Zuordnung des Überlinger Sees zum Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sei nur auf der Grundlage der Realteilungstheorie verständlich.

      Das Finanzamt habe demnach zu Recht angenommen, daß mit Ausnahme des Überlinger Sees, der insgesamt zum Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland gehöre, die Grenze zu Österreich und der Schweiz in der Mitte des Sees verlaufe. Dies habe zur Folge, daß die auf dem nördlichen Teil des Bodensees getätigten Umsätze im Inland und damit im Erhebungsgebiet bewirkt worden seien.

      13. Die Frage der Anwendung deutschen Strafrechts auf in dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens begangene Verbrechen des Völkermords war Gegenstand des Beschlusses des BGH-Ermittlungsrichters vom 13.2.1994 (1 BGs 100/94 - NStZ 1994, 232 mit Anmerkung D. Oehler, NStZ 1994, 485).

      Dem beschuldigten Tadic21 wurde angelastet, sich im Jahre 1992 durch Mißhandlung und Tötung mehrerer gefangener Moslems im Konzentrationslager Omarska des Völkermords schuldig gemacht zu haben.

      Nach § 6 Nr. 1 StGB gilt deutsches Strafrecht für ein im Ausland begangenes Verbrechen des Völkermordes (§ 220a StGB), und zwar unabhängig vom Recht des Tatorts (sogenanntes Weltrechtsprinzip). Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist hierfür - über den Wortlaut der Vorschrift hinaus - allerdings Voraussetzung, daß ein völkerrechtliches Verbot nicht entgegensteht und außerdem ein legitimierender Anknüpfungspunkt im Einzelfall einen unmittelbaren Bezug der Strafverfolgung zum Inland herstellt22. Fehlt ein derartiger Inlandsbezug, so verstößt die Strafverfolgung gegen das sogenannte Nichteinmischungsprinzip, das die Achtung der Souveränität fremder Staaten gebietet.

      Den für eine Strafverfolgung des Beschuldigten nach deutschem Recht erforderlichen Anknüpfungspunkt sah der BGH-Ermittlungsrichter im vorliegenden Beschluß darin, daß sich der Beschuldigte seit mehreren Monaten freiwillig in der Bundesrepublik aufhalte, hier gegenwärtig seinen Lebensmittelpunkt unterhalte und zudem hier ergriffen worden sei. Nach Auffassung des BGH-Ermittlungsrichters könne dahinstehen, ob ein solcher Inlandsbezug stets ausreiche. Im vorliegenden Fall seien weitere rechtliche und politische Gesichtspunkte gegeben, die diesem Anknüpfungspunkt ein so erhebliches Gewicht verliehen, daß die Anwendung deutschen Strafrechts auf die Taten des Beschuldigten nach dem Weltrechtsprinzip nicht nur gerechtfertigt, sondern geradezu geboten erscheine: das Verbrechen der Beihilfe zum Völkermord stehe in Tateinheit mit weiteren schweren Straftaten des Beschuldigten, zu deren Verfolgung die Bundesrepublik aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen verpflichtet sei. Dieser Umstand entfalte mittelbare Rechtswirkung auch für den Tatbestand des § 220a StGB, jedenfalls im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Weltrechtsprinzips. Darüber hinaus stehe die Strafverfolgung in Einklang mit den vielfältigen politischen, militärischen und humanitären Maßnahmen der internationalen Völkergemeinschaft. Unter diesen Umständen könne von einer völkerrechtswidrigen Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Staates Bosnien-Herzegowina oder der jetzigen Bundesrepublik Jugoslawien keine Rede sein. Es müsse im Gegenteil auf Unverständnis stoßen, wenn die Bundesrepublik Deutschland einen ausländischen Täter, der im Verdacht stehe, sich im Konflikt in Bosnien-Herzegowina schwerster Verbrechen schuldig gemacht zu haben, in Kenntnis des Tatvorwurfs und entgegen der Vorschrift des § 6 Nr. 1 StGB unbehelligt ließe.

      14. Mit Urteil vom 15.3.1994 (9 C 340.93 - BVerwGE 95, 228 = DÖV 1994, 911 = NVwZ 1994, 1110) entschied das Bundesverwaltungsgericht, daß die Anerkennung von Einbürgerungsmaßnahmen aus der Zeit zwischen 1938 und dem 8.5.1945 durch § 1 Abs. 1 d 1. StARegG23 nicht gegen das Völkerrecht verstoße und deshalb wirksam sei (Art. 25 GG). Nach dieser Bestimmung sind die deutschen Volkszugehörigen, denen die deutsche Staatsangehörigkeit aufgrund der Verordnung über die deutsche Volksliste und die deutsche Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten vom 4.3.194124 verliehen worden ist, nach Maßgabe der genannten Bestimmungen deutsche Staatsangehörige geworden, es sei denn, daß sie die deutsche Staatsangehörigkeit durch ausdrückliche Erklärung ausgeschlossen haben oder noch ausschlagen. Das Bundesverwaltungsgericht mußte sich in einem Verwaltungsrechtsstreit um die Ausstellung eines Vertriebenenausweises nach § 15 Abs. 2 BVFG inzident mit der Frage auseinandersetzen, ob die in § 1 Abs. 1 d 1. StARegG getroffene Regelung mit den allgemeinen Regeln des Völkerrechts, die nach Art. 25 GG Bestandteil des Bundesrechts sind, im Einklang steht. Das Bundesverwaltungsgericht bejahte dies. Nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts bestimme jeder Staat - vorbehaltlich allgemein anerkannter völkerrechtlicher Grundsätze - grundsätzlich nach seinem Ermessen selbst die Voraussetzungen, unter denen seine Staatsangehörigkeit gegeben sein solle. Die in dieser Hinsicht bestehenden völkerrechtlichen Schranken seien weit gezogen und würden im wesentlichen durch das Willkürverbot bestimmt. Kein Staat dürfe Personen, die zu ihm in keiner Beziehung stehen, als seine Staatsangehörigen ansehen, wenn diese Personen von einem anderen Staat rechtmäßig als dessen Staatsangehörige in Anspruch genommen wurden. Diese völkerrechtlichen Schranken habe der Gesetzgeber eingehalten, da § 1 Abs. 1 d 1. StARegG einen Staatsangehörigkeitserwerb aufgrund der VO über die deutsche Volksliste nur dann anerkenne, wenn der seinerzeit Eingebürgerte deutscher Volkszugehöriger sei und der Erwerb seinem Willen entspreche. Die deutsche Volkszugehörigkeit und der Wille des Betroffenen seien ebenso völkerrechtlich relevante Anknüpfungspunkte für das Staatsangehörigkeitsrecht wie der Umstand, daß der polnische Staat die Volksdeutschen nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs nicht als Staatsangehörige in Anspruch genommen habe, sondern aus Polen entweder vertrieben oder - im Falle des Zurückbleibens - ihnen eine funktionell wirksame polnische Staatsangehörigkeit vorenthalten habe.



      19 Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt zum BFH, Az. XI R 18/94.
      20 RG, RGSt 1923, 368; Schweizerisches Bundesgericht, Urteil vom 17.6.1975, BGE 101 I a 269 [RFH, RStBl. 1934, 1445].
      21 Tadic wurde mittlerweile an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag überstellt.
      22 Vgl. BGHSt 27, 30 ff.
      23 Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 22.2.1955, BGBl. 1955 I, 65.
      24 RGBl. I, 118, i.d.F. vom 31.1.1942, RGBl. I, 51.