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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1995


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Volker Röben


VIII. Fremdenrecht

2. Ausweisung und Abschiebung

       41. Das Bundesverwaltungsgericht nahm in seinem Urteil vom 17.10.1995 (9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324=BayVBl. 1996, 216) grundlegend zur Dogmatik der Abschiebungshindernisse Stellung. Die Vorinstanz - der Bayerische VGH - hatte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge verpflichtet, zugunsten des Klägers, eines afghanischen Staatsangehörigen, festzustellen, daß die Voraussetzungen für eine Ermessensausübung gem. §§ 53 Abs. 6 Satz 2, 54 Satz 1 AuslG gegeben sind. Das Bundesverwaltungsgericht stellte dagegen klar, daß das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge nicht dazu verpflichtet werden könne, zugunsten eines Asylbewerbers festzustellen, daß die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung gem. §§ 53 Abs. 6 Satz 2, 54 Satz 1 AuslG (Anordnung eines allgemeinen Abschiebungsstopps durch die oberste Landesbehörde) gegeben sind.1 Nach § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG seien bei der Entscheidung nach § 54 AuslG die Gefahren in einem Staat, denen die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehöre, ausgesetzt sei, zu berücksichtigen. Die oberste Landesbehörde könne nach dieser Bestimmung aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik anordnen, daß eine Abschiebung ausgesetzt werde. Schon nach dem Wortlaut dieser Regelung ordne § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG für o.g. allgemeine Gefahren in Abschiebungszielstaaten nicht an, daß eine Abschiebung nicht durchzuführen sei. § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG verweise vielmehr ausdrücklich auf § 54 AuslG und damit auf das Ergehen von sog. Abschiebungsstopp-Erlassen der Innenminister der Länder. Die Entstehungsgeschichte des § 54 AuslG sowie Sinn und Zweck der gesamten Regelung ließen nur die Auslegung zu, daß Abschiebungsstopp-Erlasse gem. § 54 AuslG für ganze Ausländergruppen wegen ihrer weitreichenden Folgewirkungen als politische Grundsatzentscheidungen allein in das Ermessen der Innenministerien des Bundes und der Länder gestellt seien und subjektive, einklagbare Rechte einzelner Ausländer grundsätzlich ausgeschlossen sein sollten. Der einzelne Ausländer habe danach nur im Rahmen eines bereits erlassenen generellen Abschiebungsstopps nach § 54 Anspruch auf Duldung gem. § 53 Abs. 2, Abs. 4 Satz 1 AuslG. Ein eigenständiges Abschiebungshindernis, das in jedem Einzelfall zu prüfen und zu beachten wäre, enthalte § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG mithin nicht.

       42. Übereinstimmend entschied OVG Nordrhein-Westfalen mit Beschluß vom 16.10.1995 (22 A 5963/95.A - NVwZ-RR 1996, 421), daß das Asylverfahrensgesetz den Verwaltungsgerichten nicht die Möglichkeit gebe, selbst und unmittelbar festzustellen, daß für einen Asylbewerber Abschiebungshindernisse i.S.v. § 53 AuslG vorlägen. Eine solche Feststellung werde allein vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Form eines feststellenden Verwaltungsaktes getroffen.

       43. Mit der Abschiebung nach Serbien und Montenegro hatte sich der VGH Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 3.11.1995 (13 S 2185/95 - NVwZ-RR 1996, 356) zu befassen. Er entschied, daß die Antragstellerin einen Duldungsanspruch glaubhaft gemacht habe. Sie sei seit ihrer ohne das erforderliche Visum erfolgten und damit unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig. Es sei auch überwiegend wahrscheinlich, daß die Abschiebung der Antragstellerin derzeit aus tatsächlichen Gründen unmöglich sei. Nach derzeitiger Sachlage müsse davon ausgegangen werden, daß ein Versuch, restjugoslawische Staatsangehörige in die Bundesrepublik Jugoslawien abzuschieben, mangels tatsächlicher Aufnahmebereitschaft der Behörden dieses Staates mit Sicherheit zum Scheitern verurteilt wäre. Die Bundesrepublik Jugoslawien unterliege aufgrund ihrer Verwicklung in den Krieg in Bosnien-Herzegowina seit dem 30.5.1993 Sanktionen der Vereinten Nationen. Nachdem als Folge dieses Embargos unter anderem der Flugverkehr mit Serbien und Montenegro eingestellt worden sei, seien Abschiebungen auf direktem Wege in die Bundesrepublik Jugoslawien praktisch nicht mehr möglich.

       44. Aus dem Kammerbeschluß vom 9.2.1995 (2 BvQ 7/95 - EuGRZ 1995, 99) des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich ein Abschiebungshindernis von Verfassungs wegen. Dort untersagte das Bundesverfassungsgericht im Wege der einstweiligen Anordnung dem Antragsgegner - Freistaat Bayern - aufgrund einer Folgenabwägung einstweilen, den Beschwerdeführer in die Türkei abzuschieben, solange nicht eine amtsärztliche Untersuchung feststelle, daß für den Beschwerdeführer keine Suizidgefahr bestehe.

       45. Der Verfassungsgerichtshof Berlin hatte sich in seinem Beschluß vom 16.8.1995 (VerfGH 27/94 - InfAuslR 1996, 93) mit der Begehung einer Straftat durch den Ausländer als Voraussetzung seiner Ausweisung und Abschiebung zu befassen. Die Polizei warf dem späteren Beschwerdeführer, einem vietnamesischen Staatsangehörigen, nach einem polizeilichen Bericht vor, am 7.10.1991 auf öffentlichen Straßen unversteuerte und unverzollte Zigaretten mit einem hinterzogenen Abgabewert in Höhe von 128,70 DM vorbeigehenden Passanten zum Ankauf angeboten zu haben. Der Beschwerdeführer bestritt die Tat. Das Verfahren wurde wegen Geringfügigkeit eingestellt. Mit Bescheid vom 26.3.1993 lehnte das Landeseinwohnermeldeamt Berlin den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung ab und wies ihn wegen des Vorfalls vom 7.10.1991 unter Androhung der sofortigen Vollziehung aus der Bundesrepublik aus. Widerspruch sowie Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz blieben erfolglos. Zur Begründung führte das Eilrechtsschutzgericht u.a. aus, die Ausweisung sei selbständig tragend auf generalpräventive Gründe gestützt. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer Verletzung seines Grundrechts aus Art. 11 Verfassung von Berlin i.V.m. Rechtsstaatsprinzip. Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Der Berliner VerfGH führt aus, auch wenn eine ausländerbehördliche Ausweisung wegen Begehung einer Straftat nach der Rechtsprechung der Fachgerichte keine strafgerichtliche Verurteilung des betroffenen Ausländers voraussetze, müsse die wegen Geringfügigkeit erfolgte Einstellung des Ermittlungs- oder Strafverfahrens nach den vom Verfassungsrecht gebotenen Maßstäben für die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in die Abwägung eingestellt werden. Der verfassungsrechtlich vorgegebene Maßstab einer sorgfältigen Sachaufklärung könne verletzt sein, wenn die Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte in einem solchen Fall ihre Entscheidung ausschließlich auf den in der Ermittlungsakte befindlichen Anzeigenbericht der einschreitenden Polizeibeamten vom Tattage stützten und nicht aufgrund der späteren Einlassung des betroffenen Ausländers, der die Tat bestreite, sich aufdrängende ergänzende Ermittlungen anstellten.

       46. Dagegen ist nach dem Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 13.12.1995 (1 S 1345/95 - ESVGH 46 [1996], 157), eine Abschiebungsandrohung in der Regel nicht deshalb rechtswidrig, weil der Ausländer nicht die Staatsangehörigkeit des in der Androhung bezeichneten Zielstaates besitzt.



      1 Nach Hessischem VGH, Beschluß vom 27.7.1995 (12 TG 2342/95 - InfAuslR 1996, 116), entfaltet ein Abschiebungsstopp gemäß § 54 Satz 1 AuslG ähnliche Wirkungen wie ein Rechtssatz, weil er unmittelbar eine bestimmte Gruppe von Menschen begünstigt und die Ausländerbehörden bei der Umsetzung lediglich die Zugehörigkeit zu der begünstigten Gruppe und das Vorliegen von evtl. Ausschlußgründen zu prüfen haben.