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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1995


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Volker Röben


XII. Internationaler Menschenrechtsschutz

3. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

       80. Im Berichtszeitraum führte der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung zur Bedeutung des Paktes und der Allgemeinen Erklärung für die Beurteilung der Strafbarkeit der sog. Mauerschützen fort.1 Mit Urteil vom 20.3.1995 (5 StR 111/94 - BGHSt 41, 101=NJW 1995, 2732) legte der Bundesgerichtshof anläßlich des Verfahrens gegen ein Mitglied der DDR-Grenzpolizei wegen mittäterschaftlicher Tötung eines Flüchtlings in Berlin im Jahre 1962 dar, daß - wie zuvor von ihm angedeutet -2, der Befehl Nr. 39/60 des Innenministers der DDR i.V.m. der Durchführungsanweisung Nr. 2 des Innenministers vom 19.3.1962 über den Schußwaffengebrauch "zur Festnahme von Personen" in der DDR möglicherweise als eine ausreichende formelle Rechtsgrundlage für den Schußwaffengebrauch angesehen worden sei. Die Forderung nach einer parlamentsgesetzlichen Grundlage für den Eingriff in das Recht auf Leben sei an einer rechtsstaatlichen Betrachtungsweise orientiert. Doch könne ein Rechtfertigungsgrund, der einer Durchsetzung des Verbotes, die DDR zu verlassen, Vorrang vor dem Lebensrecht von Menschen gebe, indem er die Tötung unbewaffneter Flüchtlinge gestatte, wegen offensichtlichen, unerträglichen Verstoßes gegen elementare Gebote der Gerechtigkeit und gegen völkerrechtlich geschützte Menschenrechte unwirksam sein. Auch nach der Kritik in der Literatur hält der Senat an der sog. Radbruch'schen Formel fest. Der Anwendungsbereich dieser Formel sei nicht notwendig auf diejenigen Verbrechen beschränkt, die nach der Resolution 827 (1993) des Sicherheitsrats der VN dem Internationalen Strafgerichtshof im Hinblick auf Menschenrechtsverbrechen im früheren Jugoslawien zugewiesen worden seien. Der Senat hielt ferner nach Überprüfung kritischer Stimmen im Schrifttum daran fest, daß bei der Bewertung des Grenzregimes auf Grundsätze des internationalen Menschenrechtsschutzes zurückgegriffen werden könne, ohne daß es darauf ankäme, ob die DDR den IPBPR in innerstaatliches Recht transformiert habe. Die DDR habe sich durch die Hinterlegung der Ratifikationsurkunde zur Respektierung der in dem Pakt bezeichneten Menschenrechte verpflichtet und schon vorher stets verlautet, sie betrachte die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 als Richtschnur für die Gestaltung der Verhältnisse im eigenen Land. Der Schutz der Menschenrechte sei - anders als im nationalsozialistischen Regime - offizielle Programmatik des Staates gewesen. Das gelte auch für die DDR-Verfassung von 1948. Angesichts dieser Ansätze, so hielt der Senat hielt fest, konstruiere er mit dem Hinweis auf die menschenrechtsfreundliche Auslegungsmöglichkeit nicht etwa ein Rechtssystem, das mit dem Recht der DDR schlechthin nichts zu tun habe, auch wenn die menschenrechtsfreundliche Auslegung den Rechtsanwender anerkanntermaßen in größte Schwierigkeiten gebracht haben würde. Der Senat verweist im übrigen darauf, daß DDR-Wissenschaftler immerhin in den letzten Jahren der DDR Ansichten vertreten hätten, die auf rechtsstaatliche Ansätze in Gesetzen der DDR einschließlich der Verfassung Bezug genommen hätten. Das gleiche gelte für die Einführung von Elementen gerichtlicher Nachprüfung von Verwaltungsakten sowie die Abschaffung der Todesstrafe. Entgegen der vorgetragenen Kritik verstoße die Rechtsprechung des Senates auch nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG. Die Grenzposten seien nicht im Vertrauen auf die Fortgeltung gesetzlicher Regelungen enttäuscht worden, da das geltende Recht der DDR auch menschenrechtsfreundlich habe interpretiert werden können. Art. 103 Abs. 2 GG schütze aber nicht den Fortbestand einer bestimmten Staats- oder Auslegungspraxis.



      1 S. Ress (Anm. 1), 535 f.

      2 BGHSt 40, 241.