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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1995


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Volker Röben


XIII. Europäische Gemeinschaften

11. Gleichbehandlung von Männern und Frauen (Art. 119 EG-Vertrag)

       Auch im Berichtszeitraum1 ergingen wieder zahlreiche Entscheidungen zum Fragenkomplex der Gleichbehandlung von Frau und Mann vor allem in arbeitsrechtlichen Kontexten. Im folgenden kann nur ein Überblick gegeben werden. Auf den oben [84] besprochenen Beschluß des OVG Nordrhein-Westfalen wird hinsichtlich seiner die Gleichbehandlungsrichtlinie betreffenden Ausführungen hingewiesen.

       105. Das Bundesarbeitsgericht bestimmte in seinem Urteil vom 23.8.1995 (5 AZR 942/93 - RdA 1996, 258) den Begriff der gleichen Arbeit i.S.d. Art. 119 EGV. Um die gleiche Arbeit handelt es sich nach dem BAG, wenn Arbeitnehmer identische oder gleichartige Tätigkeiten ausüben. Ob die Arbeit gleich sei, müsse durch einen Gesamtvergleich der Tätigkeiten ermittelt werden. Bei einzelnen Abweichungen sei die jeweils überwiegende Tätigkeit maßgeblich.

       106. Das LAG Nordrhein-Westfalen entschied mit Urteil vom 7.11.1995 (3 AZR 1064/94 - FamRZ 1996, 729), daß eine tarifliche Regelung, die Frauen, die mit Vollendung des 60. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausschieden, um gesetzliche Rente in Anspruch zu nehmen, einen Anspruch auf Übergangsgeld gebe, Männern aber erst dann, wenn sie mit Vollendung des 65. Lebensjahres ausschieden, jedenfalls insoweit gegen Art. 119 EWG-Vertrag und Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG verstoße, wie sie Männer vom Bezug des Übergangsgeldes ausschließe, die mit Vollendung des 63. Lebensjahres die gesetzliche Rente in Anspruch nehmen wollten und deshalb aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden würden.

       Das Bundesarbeitsgericht hatte sich im Berichtszeitraum wiederholt mit Fragen der Teilzeitarbeitsvergütung zu befassen.

       107. In dem dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20.6.1995 (3 AZR 684/93 - MDR 1996, 828) zugrunde liegenden Rechtsstreit begehrte die Klägerin einen Mehrarbeitszuschlag für Stunden, welche sie über die vereinbarte Teilzeitarbeit hinaus geleistet habe, ohne damit die tarifliche Regelarbeitszeit zu überschreiten. Sie hält die einen solchen Anspruch ausschließenden tariflichen Bestimmungen als weibliche Arbeitnehmer diskriminierend für unwirksam. Das Bundesarbeitsgericht wies die Klage entgegen den vorinstanzlichen Urteilen ab. Zur Begründung führte das Gericht aus, der EuGH habe in seinem Urteil vom 15.12.1994 die ihm gestellte Frage, ob tarifvertragliche Regelungen, welche Mehrarbeitszuschläge nur bei Überschreitung der tariflich für Vollzeitbeschäftigte festgelegten Regelarbeitszeiten vorsehen, im Widerspruch zu Art. 119 Abs. 1 EWGV und Art. 1 der Richtlinie 75/117/EWG stünden, verneint. Nach der Auslegung des Art. 119 EWGV durch den EuGH, der sich der Senat anschließe, fehle es bereits an einer Ungleichbehandlung hinsichtlich des Arbeitsentgeltes. Die Unwirksamkeit der tarifvertraglichen Regelung ergebe sich auch nicht aus deutschem Recht. Insbesondere Art. 3 Abs. 2 GG sei nicht verletzt.

       108. Das Bundesarbeitsgericht entschied mit Urteil vom 1.11.1995 (5 AZR 84/94 - NHJW 1996, 2812) über die Klage eines teilzeitbeschäftigten Lehrbeauftragten an einer staatlichen Musikhochschule des beklagten Landes. Der Kläger war zugleich Vollzeitbeschäftigter der Evangelischen Landeskirche Baden. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG konnte eine Teilzeitarbeit schlechter bezahlt werden als es einer anteiligen Minderung der Vollzeitvergütung entsprechen würde, wenn der Arbeitnehmer zugleich in einem Vollzeitarbeitsverhältnis stand. Diese Rechtsprechung gibt der Senat ausdrücklich auf. Er stützt seine neue Rechtsansicht auf eine Auslegung des § 2 Abs. 1 BeschFG. Dagegen nimmt er unter Berufung auf das Urteil Grau-Hupka des EuGH weiterhin an, daß Art. 119 EGV eine solche Anrechnung nicht verbieten würde.

       109. Auch in dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 1.11.1995 (5 AZR 880/95 - NJW 1996, 2810), das sich mit der Klage einer teilzeitbeschäftigten Musiklehrerin auf eine höhere Vergütung befaßte, stützte das BAG seine Entscheidung auf § 2 Abs. 1 BeschFG. Die Klägerin war zuvor aus dem Arbeitsverhältnis als teilzeitbeschäftigte Klavierlehrerin an der Musikhochschule des Beklagten unter Inanspruchnahme eines vorgezogenen Altersruhegeldes ausgeschieden. Nach Wiederaufnahme einer Teilzeitbeschäftigung wollte der Beklagte die Pensionsansprüche auf die zu zahlende Vergütung anrechnen. Das BAG führte aus, als sachlicher Grund für eine schlechtere Bezahlung eines Teilzeitarbeitnehmers genüge es nach § 2 Abs. 1 BeschFG nicht, daß er aufgrund seiner früheren hauptberuflichen Betätigung Altersruhegeld beziehe. Art. 119 EGV würde dem nicht entgegenstehen.



      1 S. Ress (Anm. 1) zur Entwicklung im Jahre 1994.