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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1996


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Kerrin Schillhorn


IV. Staatsangehörigkeit

4. Staatenlosigkeit

      22. Mit Urteil vom 16.7.1996 entschied das BVerwG über den Anspruch eines ehemaligen rumänischen Staatsangehörigen auf Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose (1 C 30/93 = InfAuslR 1997, 58ff. = DVBl. 1997, 177ff. = DÖV 1997, 300ff.). Nach der Aufgabe seiner rumänischen Staatsangehörigkeit während des Asylverfahrens in der Bundesrepublik beantragte der Kläger die Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose. Diese Frage nahm das Gericht zum Anlaß, die Folgen der Staatenlosigkeit, bzw. der freiwillig herbeigeführten Staatenlosigkeit zu erörtern. Rechtsgrundlage für den geltendgemachten Anspruch auf Ausstellung des Reiseausweises sei Art. 28 Satz 1 des Übereinkommens vom 28.9.1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen27. Das Gericht stellte fest, daß das Abkommen auf den Kläger anwendbar sei, auch wenn dieser sich freiwillig in die Staatenlosigkeit begeben habe und es ihm möglich sei, seine frühere rumänische Staatsangehörigkeit wieder zu erwerben. Eine Verpflichtung bestehe hierzu ebensowenig wie eine Obliegenheit. Ein völkerrechtliches Gebot zur Vermeidung von Staatenlosigkeit gebe es nicht. Dabei nahm das Gericht Bezug auf den völkerrechtlich unverbindlichen Programmsatz des Art. 15 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.194828. Darüber hinaus deute nichts auf eine rechtsmißbräuchliche Inanspruchnahme der Rechte aus Art. 28 des Staatenlosen-Übereinkommens hin. Schließlich prüfte das Gericht die Eigenschaft des Klägers als Staatenloser i.S.d. Art. 1 Abs. 1 Staatenlosen-Übereinkommen, wonach ein Staatenloser eine Person sei, die kein Staat aufgrund seines Rechts als Staatsangehöriger ansieht (de iure-Staatenloser)29. Damit grenzte das Gericht den Kläger als de iure-Staatenlosen von einem de facto-Staatenlosen ab und wies darauf hin, daß der Status der Staatenlosigkeit nicht von der Art seiner Entstehung abhänge, sondern bei Zwangsausbürgerungen ebenso eintrete wie bei einem freiwilligen Verzicht. Insbesondere sei es völkerrechtlich unbestritten, daß der Heimatstaat einem derartigen Antrag stattgeben dürfe, und zwar selbst dann, wenn der Betroffene dadurch staatenlos werde. Dabei sei zu beachten, daß es als Rechtsmißbrauch anzusehen sei, wenn die Entscheidung des expatriierenden Staates dazu führe, seine bisherigen Staatsangehörigen bei "fremden Staaten" abzuladen; dies gelte jedenfalls insoweit, als innerstaatliche Regelungen der Staatsangehörigkeit völkerrechtlich dem Verbot des Rechtsmißbrauchs unterlägen30. Im weiteren stellte das Gericht fest, daß die Bundesrepublik Deutschland daran gehindert ist, der Entlassung aus der Staatsangehörigkeit durch Rumänien die Anerkennung zu versagen. Zwar gelte nach Art. 7 des Übereinkommens zur Verminderung der Staatenlosigkeit31 die Regelung, daß die Entlassung aus einer Staatsangehörigkeit nicht anerkannt werden müsse, soweit diese zu einer Staatenlosigkeit führe. Doch finde diese Bestimmung keine Anwendung, da Rumänien nicht Vertragsstaat des Übereinkommens zur Verminderung der Staatenlosigkeit sei und diese Regelung kein allgemeiner Grundsatz des Völkerrechts sei.



      27 BGBl. 1976 II, 473ff.

      28 UN Doc. A/810 (1948), 71.

      29 BVerwGE 87, 11.

      30 Vgl. dazu bereits BVerwGE 23, 272ff.

      31 Vom 30.8.1961, BGBl. 1977 II, 598, 1219.