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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1996


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Kerrin Schillhorn


VI. Fremdenrecht

1. Allgemeine Fragen der Einreise und des Aufenthalts

       25. Über den Anspruch bosnischer Flüchtlinge auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis hatte das VG Berlin zu entscheiden (Beschluß vom 22.1.1996 - 35 A 1608/95 = NVwZ-Beilage 7/1996, 51ff. = InfAuslR 1996, 188ff.), vgl. ausführliche Darstellung [3]. Bei der Entscheidung über die Aufenthaltsbefugnis bosnischer Bürgerkriegsflüchtlinge sei, so das Gericht, von den deutschen Behörden das Abkommen von Dayton als Ermessensreduzierung zu berücksichtigen. Daher könne keine Entscheidung getroffen werden, die den vom UNHCR auf der Grundlage des Abkommens von Dayton entwickelten Rückführungsplänen zuwiderliefen.

       26. Mit einem ähnlichen Sachverhalt hatte sich das OVG Hamburg (Beschluß vom 28.8.1996 - Bs VI 153/96 = NVwZ-Beilage 4/1997, 26ff. = InfAuslR 1997, 72ff.) auseinanderzusetzen, ohne jedoch zu dem gleichen Ergebnis zu gelangen. Auch das Hamburger Gericht ging auf das Abkommen von Dayton ein, als es über die Verlängerung einer Aufenthaltsbefugnis eines bosnischen Bürgerkriegsflüchtlings zu entscheiden hatte. Das OVG beschränkte sich jedoch auf die Feststellung, daß der Beschluß der Innenminister und Senatoren der Länder vom 26.1.1996 zeitlich nach dem Abkommen von Dayton gefaßt wurde. Die Vereinbarkeit dieses Beschlusses mit der Planung des UNHCR war nicht Gegenstand der Prüfung des Gerichts. Im weiteren lag der Schwerpunkt dieser Entscheidung auf der Prüfung, inwieweit der Antragsteller einen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis auf familiäre Bindungen zu sich erlaubt im Bundesgebiet lebenden Angehörigen gründen kann. Einen solchen Anspruch lehnte das Gericht in dem konkreten Fall mit der Begründung ab, bei dem Antragsteller handele es sich um einen bosnischen Flüchtling, der bereits volljährig in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei und der inzwischen eine eigene Familie gegründet habe. Der Umstand, daß seine eigenen Eltern und Geschwister sowie die Eltern seiner Frau ebenfalls in der Bundesrepublik lebten, reiche nicht aus, den Antragsteller einem anderen Personenkreis zuzuordnen als dem, der in der ersten Phase nach Bosnien-Herzegowina zurückkehren solle (neben alleinstehenden Erwachsenen unter anderem auch Ehepaare ohne minderjährige Kinder)33. Die von der Antragsgegnerin als oberster Landesbehörde im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern in der Anordnung nach § 32 AuslG getroffene Bestimmung einzelner Personengruppen, die ausreisen sollten bzw. zwangsweise zurückzuführen seien, und die abschließende Aufzählung von Ausnahmen hiervon, seien nachvollziehbar und erschienen nicht als willkürlich34.

       27. Das OVG Nordrhein-Westfalen entschied mit Urteil vom 7.8.1996 (17 A 1093/95 = InfAuslR 1997, 198ff. = NVwZ 1997, 512ff.), daß unter bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch auf die Erteilung eines Visums zur Führung einer gleichgeschlechtlichen Lebensbeziehung im Bundesgebiet bestehe. Grundlage der Entscheidung war der Antrag auf Visumserteilung eines rumänischen Staatsangehörigen, der mit einem deutschen Staatsangehörigen eine fest verankerte gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft in der Bundesrepublik führte. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGMR im Fall Dudgeon35 und im Fall Norris36 stellte das Gericht fest, die Führung einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft unterfalle dem Schutzbereich des Privatlebens i.S.d. Art. 8 EMRK sowie dem Schutzbereich des Art. 2 i.V.m. Art. 1 GG. Diesen Schutz unterstellend, führte das Gericht aus, dem deutschen Lebenspartner des Antragstellers könne nicht zugemutet werden, die Lebensgemeinschaft außerhalb des Bundesgebietes zu führen, wo dieser seine wirtschaftliche Existenzgrundlage habe. Weiterhin sei nach rumänischem Strafrecht der homosexuelle Geschlechtsverkehr nach wie vor strafbar, auch wenn nicht feststehe, ob derartige Handlungen heute noch strafrechtlich verfolgt würden. Die Verweigerung des Visums würde die Lebensgemeinschaft des Antragstellers nicht bloß erschweren, sondern auf Dauer verunmöglichen und damit einen nachhaltigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, die Menschenwürde und das Recht des Klägers auf Achtung seines Privatlebens darstellen. Weiterhin ergebe sich ein Recht des Klägers auf Erteilung des Visums aus Art. 8 Abs. 1 EMRK. Hieraus ergebe sich ein Anspruch des gleichgeschlechtlichen Lebenspartners auf Aufenthalt und Einreise, wenn die Partnerschaft nicht anders gelebt werden könne und die Verbindung mit dem betreffenden Konventionsstaat ein materielles Element der Beziehung sei.37

       28. Der BGH entschied mit Urteil vom 5.11.1996 (1 StR 452/96 = BGHSt 42, 291ff. = InfAuslR 1997, 160f. = NVwZ 1997, 519 = NJ 1997, 279 = NJW 1997, 599f.), daß ein Ausländer, der den räumlichen Geltungsbereich der Duldung i.S.d. §§ 55, 56 Abs. 3 Satz 1 AuslG überschreitet, nicht den Tatbestand des § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG erfüllt. Der Entscheidung lag der Fall eines Angeklagten zugrunde, der sich in Bayern aufgehalten hatte, obwohl sein Aufenthalt nach der Anordnung der Ausländerbehörde nur für das Gebiet des Landes Baden-Württemberg geduldet war. Das Gericht entschied, daß dieser Fall nicht von § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG erfaßt wird. Nach dieser Bestimmung mache sich nur ein Ausländer strafbar, der sich ohne Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufhalte und keine Duldung nach § 57 Abs. 1 AuslG besitze. Die Duldung i.S.d. § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG i.V.m. § 55 Abs. 1 AuslG sei als Duldung des Aufenthaltes im Bundesgebiet auszulegen. An diesem Ergebnis ändere auch die Tatsache nichts, daß dadurch Ausländer, deren Aufenthalt nach § 55 AuslG geduldet sei, gegenüber Asylbewerbern mit räumlich beschränkter Aufenthaltsgestattung bevorzugt würden, da sich Asylbewerber bei wiederholtem Verstoß gegen ihre räumliche Aufenthaltsbeschränkung nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung in § 85 Nr. 2 AsylVerfG strafbar machten. Diese Erkenntnis deute allenfalls auf das Vorliegen einer Regelungslücke hin; eine solche könne aber nicht durch die Rechtsprechung geschlossen werden38.

       29. Das BSG hatte sich in dem Urteil vom 6.3.1996 (9 RvG 4/95 = BSGE 78 [1997], 51ff. = InfAuslR 1996, 401ff.) mit der Frage der Verfassungsgemäßheit des neuen Opferentschädigungsgesetzes (OEG) auseinanderzusetzen. Das BSG entschied, die Regelung, daß die Entschädigung ausländischer Gewaltopfer von der Verbürgung der Gegenseitigkeit abhängt, sei verfassungsgemäß. Jedoch sei die Stichtagsregelung in § 10 OEG im Wege der verfassungskonformen Auslegung um eine Anwendung auch auf solche ausländischen Gewaltopfer zu ergänzen, die vor dem 1.7.1990 geschädigt worden seien. Grundlage der Entscheidung war der Fall eines jugoslawischen Staatsangehörigen, der im Jahre 1985 in seiner Wohnung überfallen worden war, wobei er durch zahlreiche Beilhiebe auf den Kopf schwere Schädeltraumata erlitt. Das Gericht stellte fest, daß es sich bei dem jugoslawischen Kläger nicht um einen "privilegierten Ausländer" i.S.d. OEG handelt. Er gehöre keinem Mitgliedstaat der EG an, weiterhin sei das mit der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien geschlossene Kooperationsabkommen vom 24.1.1983 nicht ausreichend, um Ansprüche aus dem Entschädigungsrecht zu begründen. Auch könne ein Anspruch des Klägers nicht aus dem Europäischen Übereinkommen über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten vom 24.11.1983 abgeleitet werden. Darüber hinaus gehöre der Kläger keinem Staat an, der das Erfordernis der Gegenseitigkeit erfülle. Zwar gebe es auch im jugoslawischen Recht die Möglichkeit, Entschädigungen für erlittene Gewaltakte zu erhalten; diese Möglichkeit sei jedoch auf die Anwendung von Gewalt- und Terrorakten im Verlauf von öffentlichen Demonstrationen und Manifestationen beschränkt und decke somit nicht den gesamten Anwendungsbereich des OEG ab. Schließlich prüfte das BSG, ob dem Kläger ein Anspruch nach der neuen Fassung des OEG zustehen würde, da dieses nun auch Entschädigungen für nicht privilegierte Ausländer vorsehe. Grundsätzlich seien nach dem OEG n.F. nur solche Ansprüche ausgeschlossen, die von Ausländern geltend gemacht würden, die sich nur vorübergehend im Bundesgebiet aufhielten, ohne mit einem deutschen oder mit einem privilegierten Ausländer verheiratet oder in gerader Linie verwandt zu sein. Weiterhin nicht anspruchsberechtigt blieben auch diejenigen Ausländer, die sich unberechtigt im Bundesgebiet aufhielten. Allerdings sei die Härtefallregelung des neuen OEG unter besonderen Umständen auch auf diese beiden Gruppen von Ausländern anwendbar. Da eine ausdrückliche Regelung für Fälle fehle, in denen die Gewalttaten vor dem 1.7.1990 begangen worden seien, sei das OEG verfassungskonform dahin gehend auszulegen, daß auch solche Härtefälle von dem Gesetz und der darin enthaltenen Entschädigungspflicht erfaßt werden. Insbesondere stelle die Stichtagsregelung nach § 10 OEG eine Systemwidrigkeit dar. Die Gewährung von Entschädigungen auch für Ausländer, die vor dem Stichtag geschädigt worden seien, entspreche dem Zweck des OEG n.F., namentlich der Ausländerintegration durch Einbeziehung in den Versorgungsschutz bei Gewalttaten jedweder Art. Im Hinblick auf Art. 3 GG und die Gesamtsystematik der Novelle sei es nicht nachvollziehbar, daß der Schutz nur wegen des Zeitpunkts der Schädigung versagt werden solle, wenn es sich um eine Gewalttat an einem bereits typischerweise integrierten oder integrationswilligen Ausländer oder an deren sich vorübergehend im Inland aufhaltenden Angehörigen handele und ein sozialer Härtefall vorliege. Einer verfassungskonformen erweiternden Auslegung des OEG seien auch Erwägungen der Finanzierbarkeit der Entschädigungen sowie die Schwierigkeiten einer nachträglichen Sachverhaltsaufklärung nicht entgegenzuhalten. Voraussetzung für die Härtefallregelung des OEG sei jedoch durchgehend, daß der Betroffene allein als Folge der Gewalttat schwerbeschädigt und finanziell bedürftig sei.



      33 Nr. 2.1 der Weisung Nr. 2/96.

      34 Vgl. auch zu der Frage der Berücksichtigung familiärer Bindungen bei der Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung Beschluß des BVerfG vom 1.8.1996 - 2 BvR 1119/96 = BayVBl. 1997, 339ff. Das BVerfG entschied in diesem Fall, daß Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 GG die Ausländerbehörde verpflichte, bei der Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung die familiären Bindungen des den Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, bei ihrer Ermessensausübung pflichtgemäß, d.h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dabei komme einer Beistandsgemeinschaft als Hausgemeinschaft mehr Gewicht zu als einer bloßen Begegnungsgemeinschaft, die weit weniger schützenswert sei.

      35 Urteil vom 22.10.1981 = EuGRZ 1983, 488 (490).

      36 Urteil vom 26.10.1988 = EuGRZ 1992, 477 (481).

      37 Vgl. zur Frage der Visumserteilung zum Führen einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft aber auch das abweichende Urteil des BVerwG vom 27.2.1996 (1 C 41/93 = NVwZ 1997, 18ff. = InfAuslR 1996, 294ff. = NJW 1997, 956). In dieser Entscheidung, in der es um einen thailändischen und einen deutschen Partner einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft ging, entschied das BVerwG, daß ein Anspruch auf Erteilung eines Visums zum Aufenthaltszweck der gleichgeschlechtlichen Lebensbeziehung nicht gegeben sei. Die Begründung enthielt eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Inhalt und Schutzzweck des Art. 6 GG, der gleichgeschlechtliche Lebensbeziehungen nicht erfasse. Auch das BVerwG prüfte, ob Art. 8 EMRK eine Anspruchsgrundlage zur Erteilung des Visums darstellen könne. Dies wurde trotz des Schutzes der gleichgeschlechtlichen Lebensbeziehung unter Art. 8 EMRK verneint, da aus dieser Bestimmung kein Anspruch auf Aufenthalt und Einreise abzuleiten sei.

      38 Vgl. dazu auch die im Ergebnis übereinstimmende Entscheidung des LG Zweibrücken, Beschluß vom 7.3.1996 - 1 Qf 33/96 = NStZ 1996, 396f.