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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1996


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Kerrin Schillhorn


VII. Asylrecht

2. Politische Verfolgung

a) Verfolgung durch quasi-staatliche Gebietsgewalt

      43. Über die Qualifizierung der Verfolgung durch eine quasi-staatliche Gebietsgewalt als "politische Verfolgung" i.S.d. Art. 16 a GG und § 51 Abs. 1 AuslG hatte das BVerwG in seinem Urteil vom 6.8.1996 (9 C 172/95 = InfAuslR 1997, 37ff. = DVBl. 1997, 182ff. = NVwZ 1997, 194ff.) zu entscheiden. Gegenstand des Verfahrens waren Asylanträge von Muslimen, die im serbischen Teil Bosnien-Herzegowinas, namentlich in der Republik Srpska, verfolgt wurden. Das BVerfG stellte fest, daß unter politischer Verfolgung i.S.d. Asylrechts grundsätzlich staatliche Verfolgung zu verstehen sei. Ihr stehe jedoch die Verfolgung durch eine Organisation mit staatsähnlicher Herrschaftsgewalt gleich. Dies sei dann der Fall, wenn die staatsähnlichen Organisationen, die den jeweiligen Staat verdrängt hätten oder denen dieser das Feld überlassen habe, diesen insoweit ersetzten. Quasi-staatlich sei eine Gebietsgewalt aber nur, wenn sie auf einer staatsähnlich organisierten, effektiven und stabilisierten Herrschaftsmacht beruhe. Effektivität und Stabilität erforderten eine gewisse Stetigkeit und Dauerhaftigkeit der Herrschaft, verkörpert vorrangig in der Durchsetzungsfähigkeit und Dauerhaftigkeit des geschaffenen Machtapparates. Das Gericht nahm an, daß die Republik Srpska im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichtes im Mai 1995 eine staatsähnliche Hoheitsgewalt ausgeübt und deshalb die Fähigkeit zur politischen Verfolgung i.S.d. Art. 16 a GG besessen habe. Während nicht an der Verfolgung der Antragsteller durch diese quasi-staatliche Gebietsgewalt gezweifelt wurde, so wurden die Anträge dennoch abgelehnt, da eine Schutzlosigkeit der Antragsteller nicht als gegeben angesehen wurde. Das Gericht führte aus, die Schutzlosigkeit des Asylsuchenden sei Voraussetzung eines Anspruchs nach Art. 16 a Abs. 1 GG. Schutzlos sei ein politisch Verfolgter aber nur, solange er anderweitig keinen wirksamen Schutz genieße. In diesem Fall hätten die Kläger jedoch den Schutz des Staates, nämlich Bosnien-Herzegowina, erhalten können, dessen Staatsangehörigkeit sie besessen hätten. Die Republik Bosnien-Herzegowina verfolge die Kläger nicht; sie sei insbesondere kein Verfolgerstaat, der die Muslime regional verfolge63.



      63 Zur Frage von staatsähnlicher Herrschaftsmacht bei der politischen Verfolgung i.S.d. § 51 Abs. 1 AuslG, vgl. ebenfalls Urteil des Hessischen VGH vom 20.5.1996 - 13 UE 2332/95 = ESVGH 46, 316f., nach dem jedoch eine staatliche oder staatsähnliche Herrschaftsmacht für Somalia derzeit nicht angenommen wurde.