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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1996


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Kerrin Schillhorn


IX. Internationaler Menschenrechtsschutz

1. Europäische Menschenrechtskonvention

c) Verfahrensdauer (Art. 6 Abs. 1 EMRK)

      55. Der BGH verfügte mit Beschluß vom 26.6.1996 (3 StR 199/95 = NJW 1996, 2739f. = BB 1966, 2167f. = NStZ 1996, 506) die Einstellung eines Strafverfahrens wegen der vorsätzlichen Herbeiführung des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit einer Gesellschaft wegen überlanger Verfahrensdauer. Die Begehung der Tat war Ende März 1983 beendet, woraufhin am 11.4.1983 der Angeklagte eine Selbstanzeige erstattet hatte. Die Anklage wurde mit Beschluß vom 11.12.1991 zugelassen, die Hauptverhandlung erstreckte sich bis zum 28.7.1994. Während dieser Zeit befand sich der Angeklagte jeweils für längere Zeit in Untersuchungshaft. Der Senat entschied, daß das am Ende dieser Hauptverhandlung stehende Urteil des LG keinen Bestand habe. Es sei in der Sache in vollem Umfang aufzuheben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des LG zurückzuverweisen. Dabei sei davon auszugehen, daß eine neuerliche Hauptverhandlung voraussichtlich nicht vor Ablauf von zwei bis drei Jahren abgeschlossen werden könne. Die Einstellungsverfügung begründete der BGH damit, daß - den außergewöhnlichen Umfang des Verfahrens und die daraus resultierende erhebliche Dauer für die Bearbeitung in den einzelnen Verfahrensabschnitten unterstellt - eine die Rechte des Angeklagten aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK verletzende Verfahrensverzögerung für den Stillstand der Ermittlungen über einen Zeitraum von fast zwei Jahren festgestellt werden müsse. Hierbei habe es sich nicht lediglich um einen vorübergehenden Personalengpaß, sondern um einen andauernden Zustand struktureller Art gehandelt, der organisatorische Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden erfordert hätte. Diese Umstände und die erheblichen Belastungen des Angeklagten durch die Strafverfolgungsmaßnahmen rechtfertigten es im derzeitigen Zeitpunkt, die Schuld des Angeklagten als gering anzusehen und ein öffentliches Interesse an der weiteren Strafverfolgung zu verneinen. Dies gelte besonders wegen der Verbüßung von jeweils mehr als einem Jahr Untersuchungshaft und der Beeinträchtigung durch die nachfolgenden Haftverschonungsbeschlüsse, für die eine Entschädigung nach dem Strafentschädigungsgesetz nicht gewährt werde, sowie wegen der finanziellen Belastungen des Angeklagten.