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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1996


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Kerrin Schillhorn


III. Wirkungen und Grenzen staatlicher Souveränität

1. Grenzen der Ausübung eigener Staatsgewalt

      9. Das OLG Düsseldorf hatte sich in einem Beschluß vom 13.11.1996 (3 W 347/96 = EuZW 1997, 284ff. = NJW-RR 1997, 572 = EWS 1997, 108 = RIW 1997, 329 f.) mit der Frage zu beschäftigen, unter welchen Voraussetzungen die Vollstreckbarkeitserklärung eines ausländischen Urteils dem ordre public der Bundesrepublik Deutschlands widerspricht. Gegenstand des Verfahrens war die Behauptung der Antragsgegnerin, die Vollstreckbarkeitserklärung eines noch nicht rechtskräftigen italienischen Zahlungsurteils verstoße gegen den deutschen ordre public, da das Verfahren vor dem italienischen Gericht mangelhaft gewesen und deshalb nach Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ17 nicht anzuerkennen sei. Dieser Auffassung folgte das Gericht in seinem Urteil nicht. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH18 führte das Gericht aus, die Anerkennung eines ausländischen Urteils könne nur versagt werden, wenn das Urteil des ausländischen Gerichts aufgrund eines Verfahrens ergangen sei, das von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße abweiche, daß nach der deutschen Rechtsordnung das Urteil nicht mehr als in einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden könne. Das Gericht führte weiter aus, daß ein Verstoß gegen den ordre public dann nicht vorliege, wenn die Verfahrensfehler während des ausländischen Verfahrens noch in einer Rechtsmittelinstanz überprüft und notfalls korrigiert werden könnten. Die Kompetenz des Anerkennungs- bzw. Vollstreckungsstaates gemäß Art. 34 Abs. 3 EuGVÜ umfasse grundsätzlich nicht die Prüfung, ob Fehler im erstinstanzlichen Verfahren unterlaufen seien, insbesondere nicht, ob die Tatsachen richtig festgestellt und gewürdigt, sowie das internationale Privatrecht und das materielle Recht zutreffend angewendet worden seien19.

      10. In einem Sorgerechtsverfahren hatte das OLG Frankfurt/M. zu entscheiden, ob deutsche Behörden berechtigt seien, den gültigen ausländischen Paß eines Kindes einzuziehen oder sicherzustellen (Beschluß vom 4.6.1996 - 20 W 170/96 = FamRZ 1997, 571f.). Das Gericht entschied, es liege keine Verletzung der ausländischen Paßhoheit vor, wenn der Paß auf gerichtliche Anordnung herausgegeben werden müsse, um dem Staatsangehörigen dienen zu können, dem der Paß jeweils ausgestellt sei. Insbesondere sei die Einziehung oder Sicherstellung des Passes eines Kindes gerechtfertigt, wenn hierdurch eine Kindesentführung verhindert werden solle. Eine Verletzung der ausländischen Paßhoheit liege in einem solchen Fall nicht vor.

      11. Die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens wegen Bigamie wurde von der Staatsanwaltschaft München I verfügt, da der Beschuldigte nicht der deutschen Staatsgewalt unterlag (Verfügung vom 26.4.1996 - 235 JS 54017/95 = NStZ 1996, 436). Bei dem Beschuldigten handelte es sich um einen syrischen Staatsangehörigen, der seit 1973 mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet war und im Jahre 1993 in der syrisch-arabischen Republik eine syrische Staatsangehörige nach dem dort herrschenden Recht geheiratet hatte. Einige Monate nach dieser Eheschließung erwarb der muslimische Beschuldigte, der mit beiden Frauen in Deutschland lebte, die deutsche Staatsangehörigkeit. In der Begründung der Einstellungsverfügung führte die Staatsanwaltschaft aus, daß es sich bei Bigamie im Sinne des § 171 StGB um ein Zustandsdelikt handele, das bereits mit dem formell gültigen Abschluß der zweiten Ehe vollendet sei, ohne daß es auf ein Zusammenleben ankomme. Weiterhin wurde darauf hingewiesen, daß der Täter zur Zeit der Tat kein deutscher Staatsbürger gewesen sei und die Tat am Tatort nicht mit Strafe bedroht gewesen sei. In Syrien sei es nämlich Muslimen gestattet, mit bis zu vier Frauen gleichzeitig verheiratet zu sein. Aus diesen Gründen entfalle eine Strafbarkeit nach dem deutschen Strafrecht, insbesondere wegen § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB.



      17 BGBl. 1972 II, 774ff.

      18 BGHZ 48, 327 = NJW 1968, 354 = LM § 328 ZPO Nr. 18; BGHZ 118, 312 = NJW 1992, 3096 = EuZW 1992, 705 = LM H. 2/1993, § 328 ZPO Nr. 38/39/40; BGH, NJW 1990, 2201.

      19 Vgl. weitere Entscheidungen zur Auslegung des EuGVÜ-Urteils des BGH vom 28.2.1996 - XII ZR 181/93 = IPRax 1997, 187, sowie die Besprechung von Mankovski, IPRax 1997, 173 ff. und Urteil des OLG München vom 24.7.1996 - 7 U 2651/96 = NJW-RR 1997, 571 f.