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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1997


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Lars-Jörgen Geburtig


VIII. Asylrecht

5. Rechtsstellung der Flüchtlinge

       58. Mit Senatsbeschluß vom 10.4.1997 (2 BvL 45/92 - BVerfGE 96, 10 = NVwZ 1997, 1109 = EuGRZ 1997, 427 = BayVBl 1997, 559) stellte das Bundesverfassungsgericht fest, daß die §§ 20 und 34 AsylVfG alter Fassung über die räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgestattung für Asylbewerber und über die Strafbarkeit ihrer wiederholten Übertretung mit dem Grundgesetz vereinbar sind.60 Zunächst verneinte das Gericht einen Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 GG, da dieses Grundrecht nicht die Befugnisse umfasse, sich unbegrenzt überall aufhalten und überall hin bewegen zu dürfen. Betroffen sei daher allein das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG. Art. 2 Abs. 1 GG sei nicht verletzt, da die Maßnahme im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit stehe und verhältnismäßig sei. Die Beschränkung sei geeignet und erforderlich, die mit der Aufnahme von Asylbewerbern verbundenen Aufgaben gleichmäßig zu verteilen und die jederzeitige Erreichbarkeit des Asylantragstellers für die Zwecke seines Verfahrens und dessen beschleunigte Durchführung sicherzustellen. Auch die Strafbewehrung bei wiederholter Zuwiderhandlung nach vorangegangener Ahndung verletze nicht das Übermaßverbot. Die strafrechtliche Sanktion habe die wirkungsvolle Durchsetzung des öffentlichen Interesses, unkontrollierte Bewegungen der in großer Zahl in der Bundesrepublik Deutschland befindlichen Asylbewerber zu verhindern und sicherzustellen, daß sie sich jederzeit zur Verfügung der Behörden und Gerichte halten, zum Ziel. In einem solchen Fall liege das mit der Anwendung des Strafrechts ausgesprochene sozialethische Unwerturteil nicht außerhalb des dem Gesetzgeber eingeräumten weiten Spielraums eigenverantwortlicher Bewertung.

       59. Das Bundessozialgericht stellte in seinem Urteil vom 30.4.1997 (12 RK 30/96 - BSGE 80, 209 = NVwZ 1998, 326) fest, daß Asylbewerber, deren Aufenthalt nur zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet ist, in der Krankenversicherung familienversichert sein können. Der Kläger und seine Ehefrau sind vietnamesische Staatsangehörige. Der Kläger ist aufgrund einer Erwerbstätigkeit bzw. wegen Bezugs von Leistungen der Arbeitslosenversicherung in der Krankenkasse versicherungspflichtig und Mitglied der Beklagten. Die beklagte Krankenkasse hatte sich geweigert, die Familienversicherung nach § 10 Abs. 1 SGB V durchzuführen, da die Ehefrau des Klägers nur zur Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland sei und daher weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe. Das BSG stellte dagegen fest, daß die Ehefrau des Klägers jedenfalls seit der Heirat ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland habe. Sie habe sich schon davor als Asylbewerberin in Deutschland aufgehalten. Ihr Aufenthalt sei wegen der Dauer des Asylverfahrens auf unbestimmte Zeit ausgerichtet gewesen. Die tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme, daß sich die Ehefrau des Klägers im Inland nicht nur vorübergehend aufhält, seien damit hinreichend festgestellt. Dabei könne offen bleiben, ob für die Annahme, der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt eines Ausländers sei im Inland, in der Regel ein hinreichend beständiger ausländerrechtlicher Aufenthaltsstatus gefordert werde, von dem nur unter der Berücksichtigung der Zwecke eines bestimmten Gesetzes abgesehen werden könne oder ob der rein vom tatsächlichen Verweilen her verstandene Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts im Einzelfall unter der Zwecksetzung des anzuwendenden Gesetzes einschränkend ausgelegt werde. Der gewöhnliche Aufenthalt im Inland i.S.d. § 10 SGB V sei bei Ausländern jedenfalls dann gegeben, wenn ihr ausländerrechtlicher Status so beständig ist, wie dies bei der früher maßgeblichen Regelung des § 205 RVO gefordert wurde, d.h. wenn der Aufenthalt der Familienversicherten und der Stammversicherten ausländerrechtlich gestattet ist. Es seien keine Gründe dafür erkennbar, bei der Familienversorgung von Ausländern, die tatsächlich länger im Inland bleiben werden, den gewöhnlichen Aufenthalt von einem hinreichend beständigen (zukunftsoffenen) ausländerrechtlichen Status abhängig zu machen. Sei für den Stammversicherten der Zugang zur Krankenversicherung durch Aufnahme einer Beschäftigung aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Entscheidung (Arbeitserlaubnis) eröffnet, so könne der abgeleitete Zugang des Angehörigen, der hier tatsächlich nicht nur vorübergehend verweilt, nicht von einem qualifizierteren ausländerrechtlichen Status abhängig gemacht werden als ihn der Stammversicherte hat. Damit weiche der Senat auch nicht von seinen Entscheidungen im Bereich des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG), des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BerzGG) und des SGB VI ab. Für diese Sozialrechtsbereiche sei wiederholt entschieden worden, ein Ausländer habe seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland unabhängig von der voraussichtlichen und beabsichtigten Dauer des Aufenthalts nur dann, wenn sein Aufenthalt auch ausländerrechtlich hinreichend beständig ist. Der Grund für diese Rechtsprechung liege darin, daß im Unterschied zum Zugang zur Krankenversicherung für die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung und für die Leistungen nach dem BKGG und dem BerzGG neben dem Wohnsitz oder dem gewöhnlichen Aufenthalt im Inland keine zusätzliche, vom Staat zu kontrollierende Zugangsvoraussetzung erfüllt zu sein braucht. Daher erscheine es gerechtfertigt, die Ansprüche nach diesen Gesetzen auch davon abhängig zu machen, daß der inländische Aufenthaltsstatus durch ausländerrechtliche Entscheidungen hinreichend gesichert ist. In den entsprechenden Entscheidungen sei im übrigen stets auf die besondere Zwecksetzung der jeweils anzuwendenden Gesetze abgestellt und der Unterschied zur Krankenversicherung hervorgehoben worden.

      



      60 Regelungen, die mit den genannten Vorschriften im wesentlichen übereinstimmen, enthält auch das AsylVfG in seiner gegenwärtig geltenden Fassung vom 27.7.1993.