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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1997


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Lars-Jörgen Geburtig


VIII. Asylrecht

6. Verfahrensfragen

       60. In seinem Urteil vom 18.2.1997 (BVerwG 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97 = NVwZ 1997, 1134) bestätigte das Bundesverwaltungsgericht seine Rechtsprechung zum sogenannten herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Er sei anzuwenden, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und der mit dem Asylbegehren geltend gemachten Gefahr erneuter Verfolgung dergestalt besteht, daß bei Rückkehr mit einem Wiederaufleben der ursprünglichen Verfolgung zu rechnen ist oder das erhöhte Risiko einer gleichartigen Verfolgung besteht. Es verneinte das Vorliegen eines solchen Zusammenhangs für den Fall einer Vorverfolgung durch den äthiopischen Staat wegen separatistischer Betätigung für eine eritreische Befreiungsorganisation bei einer Rückkehr in den neu entstandenen Staat Eritrea, in dem dem Kläger allenfalls eine vermutete Gegnerschaft zum gegenwärtigen Regime des Staates Eritrea, keinesfalls aber seine separatistische Betätigung gegen den Staat Äthiopien vorgeworfen werden könnte.

       61. Der VGH Baden-Württemberg entschied in seinem Urteil vom 11.12.1997 (A 12 S 3426/95 - VBlBW 1998, 273 = Die Justiz 1998, 298), daß ein Asylbewerber, der über einen längeren Zeitraum unbekannten Aufenthalts und zugleich auch unerreichbar ("untergetaucht") ist, zu erkennen gibt, daß er an einer Entscheidung über sein Rechtsmittel nicht mehr interessiert ist. Das Rechtsschutzinteresse als Zulässigkeitsvoraussetzung für das von ihm eingelegte Rechtsmittel sei damit weggefallen.

       62. Das OLG Frankfurt/Main stellte in seinem Beschluß vom 26.2.1997 (20 W 428/96 - InfAuslR 1997, 226) fest, daß der Aufenthalt eines Ausländers gegen seinen Willen im Transitbereich eines Flughafens nach Abschluß des sog. Flughafenverfahrens eine Freiheitsentziehung darstellt, wenn die Vollziehung der Zurückweisung nicht ohne Verzögerung möglich ist. Die Frage der Freiheitsentziehung sei nach den tatsächlichen Umständen zu beurteilen. Sie liege vor, wenn sich ein betroffener Ausländer auf deutschem Staatsgebiet befindet, er sich gegen seinen Willen in den ihm zugewiesenen Räumlichkeiten aufhalten muß und er die Räumlichkeiten nicht freiwillig verlassen kann. Die Räumlichkeiten des Flughafengebäudes seien abgeschlossen und Hafträume i.S.d. Gesetzes. Da es auf die tatsächlichen Verhältnisse ankomme, spiele es für die Entscheidung der Frage, ob eine Freiheitsentziehung vorliegt, keine Rolle, ob der Betroffene reccfmäßig oder unreccfmäßig auf deutsches Staatsgebiet gelangt ist und ob es der Betroffene zu vertreten hat, daß seine Zurückweisung nicht sofort vollzogen werden kann. Daß der Betroffene nicht ausreisen und den Transitbereich nicht verlassen konnte, weil er keine Ausweispapiere besaß, sei folglich unerheblich. Der Senat halte es im Hinblick auf die im Grundgesetz festgeschriebenen Rechtsgarantien bei der Freiheitsentziehung nicht für vertretbar, einen gegen seinen Willen nach Abschluß des sog. Flughafenverfahrens weiter auf dem Flughafen untergebrachten ausreisepflichtigen Ausländer demjenigen Ausländer gleichzustellen, der das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht betreten hat. Die Senatsrechtsprechung stehe auch nicht im Widerspruch zu der Asylrechtsprechung des BVerfG. Das BVerfG habe nur festgestellt, daß die Begrenzung des Aufenthalts von Asylsuchenden während des Verfahrens nach § 18 a AsylVfG auf die für ihre Unterbringung vorgesehenen Räumlichkeiten im Transitbereich eines Flughafens keine Freiheitsentziehung oder Freiheitsbeschränkung i.S.v. Art. 2 Abs. 2 Satz 2, 104 Abs. 2 und 3 GG darstellt.61 Eine Entscheidung des BVerfG zu der Frage, ob der Aufenthalt abgelehnter Asylbewerber im Transitbereich nach bestandskräftigem Abschluß des sog. Flughafenverfahrens und nicht sofortiger Vollziehung der Zurückweisung eine Freiheitsentziehung darstellt, liege bisher nicht vor.

       63. Das VG Frankfurt/Main entschied in seinem Beschluß vom 21.8.1997 (7 G 50499/97. A (V) - InfAuslR 1997, 479), daß der Einsatz eines Sprachmittlers, der sich mit einem Asylbewerber nur unzureichend in einer Sprache verständigen kann, die nicht dessen Muttersprache ist, den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Der Anspruch auf muttersprachliche Dolmetscher bestehe auch im Flughafenverfahren. Die Verständigung zwischen dem Farsi-sprechenden Antragsteller und der Dari-sprechenden Dolmetscherin sei nicht in dem erforderlichen Umfang gewährleistet gewesen, auch wenn beide Sprachen zum persischen Sprachenkreis gehören. Das Bundesamt wende zu Unrecht ein, daß die Verpflichtung zur Beiziehung eines Dolmetschers in der Muttersprache des Asylbewerbers das Flughafenverfahren sabotieren würde. Für die Sprache Farsi sei dem Gericht jedenfalls nicht bekannt, daß im Rhein-Main Gebiet ein Mangel an geeigneten Dolmetschern oder Sprachmittlern besteht, der bei den Anhörungen zu einem Engpaß führen würde.

       64. In seinem Urteil vom 3.6.1997 (1 C 1.97 - BVerwGE 105, 28 = DÖV 1998, 244 = DVBl. 1997, 1392) entschied das Bundesverwaltungsgericht, daß Ausländer, die als Asylbewerber ohne Visum eingereist sind, deren Asylantrag aber erfolglos geblieben ist, eine - asylunabhängige - Aufenthaltsgenehmigung im Sichtvermerksverfahren einholen müssen, wenn sie nicht aus anderen Gründen davon befreit sind oder die Aufenthaltsgenehmigung nach der Einreise einholen dürfen. Zwar bedürften aus dem angeblichen Verfolgungsland einreisende Asylsuchende grundsätzlich keines sonst erforderlichen Sichtvermerks und reisten daher erlaubt i.S.d. § 9 Abs. 5 Nr. 2 DVAuslG ein. Ein reccfmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet liege aber nur dann vor, wenn der Ausländer als Asylberechtigter anerkannt worden ist. Werde er nicht anerkannt, bleibe es dabei, daß er zwar erlaubt, aber ohne das erforderliche Visum eingereist ist, so daß die Aufenthaltsgenehmigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG auch bei Vorliegen eines Anspruchs nach dem AuslG zu versagen ist. Verfassungsrechtlich sei eine Ausnahme von § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG für erfolglose Asylbewerber nicht geboten. Eine Privilegierung der Asylbewerber sei nur wegen der besonderen Schutzfunktion des Asylgrundrechts gerechtfertigt. Das Einreise- und Bleiberecht beschränke sich aber auf die Zwecke des Asylverfahrens. Die Schutzwirkungen des Asylgrundrechts würden insbesondere nicht beeinträchtigt, wenn an einen Ausländer im Anschluß an sein erfolgloses Asylverfahren für ein asylunabhängiges Aufenthaltsrecht die gleichen verfahrensmäßigen Anforderungen gestellt würden wie an Ausländer, die keinen Asylantrag gestellt haben und daher bei Fehlen eines Ausnahmetatbestandes auf das Sichtvermerksverfahren verwiesen sind.

       65. Der Bayerische VGH entschied mit Beschluß vom 13.11.1997 (27 B 96.34341 - BayVBl. 1998, 119), daß die Einreise ohne Kontakt zu einem sicheren Drittstaat, also auf dem Luftweg oder auf dem Seeweg über einen deutschen Flug- oder Seehafen, ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Art. 16 a Abs. 1 GG darstellt, die als Vorgang außerhalb des Heimatstaates vom Asylbewerber nicht glaubhaft zu machen, sondern zu beweisen ist. Da Deutschland allseitig von sicheren Drittstaaten umgeben ist, schließe eine Einreise auf dem Landweg ein Asylrecht immer aus.

       66. Das Bundesverfassungsgericht erklärte mit Beschluß des Zweiten Senates vom 2.12.1997 (2 BvL 55, 56/92 - NVwZ 1998, 606 = DVBl. 1998, 326 = EuGRZ 1998, 159) zwei Vorlagen des Bundesverwaltungsgerichts wegen behaupteter Verfassungswidrigkeit des Verbots der Beförderung asylsuchender Ausländer ohne Aufenthaltserlaubnis für unzulässig. Das BVerwG habe die Entscheidungserheblichkeit der zur Überprüfung gestellten Norm nicht hinreichend deutlich gemacht. Aus der Verfassungswidrigkeit des § 18 Abs. 5 Satz 1 AuslG ließe sich zwar ohne weiteres die objektive Rechtswidrigkeit der ausgesprochenen Beförderungsverbote herleiten, es könne aber nicht ohne weiteres auf eine Verletzung subjektiver Rechte der klagenden Fluggesellschaften geschlossen werden. Mit § 18 Abs. 5 Satz 1 AuslG werde dem Beförderungsunternehmer nur die Überwachung der einreiserechtlichen Bestimmungen abverlangt, wozu er ohnehin verpflichtet sei, weil seine Betriebsgenehmigung unter einem entsprechenden Vorbehalt stehe. Weiterhin würden durch Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. bzw. Art. 16 a Abs. 1 GG nur asylsuchende Ausländer, nicht jedoch die sie befördernden Fluggesellschaften geschützt.



      61 Vgl. BVerfGE 94, 166.