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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1997


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Lars-Jörgen Geburtig


XIV. Europäische Gemeinschaften

5. Freizügigkeit

       122. In seinem Urteil vom 12.11.1997 (6 C 12/96 - NVwZ 1998, 520 = DVBl 1998, 401) setzte sich das Bundesverwaltungsgericht mit dem Erfordernis einer behördlichen Genehmigung zur Führung eines ausländischen akademischen Grades nach baden-württembergischen Landesrecht (§ 55 b BadWürtt-UnivG) auseinander. Hinsichtlich der Vereinbarkeit eines solchen Genehmigungserfordernisses mit Art. 48 und 52 EGV habe die Entscheidung des EuGH vom 31.3.199387 grundlegend Klarheit geschaffen. Danach dürfe das Genehmigungsverfahren nur bezwecken zu überprüfen, ob der in einem anderen Mitgliedstaat aufgrund eines postgraduierten Studiums erworbene akademische Grad von einer hierfür zuständigen Hochschule im Anschluß an ein tatsächlich absolviertes Studium ordnungsgemäß verliehen worden ist. Soweit die baden-württembergische Regelung eine solche Überprüfung vorschreibe, genüge sie deshalb den Maßstäben des Gemeinschaftsrechts. Dagegen widersprächen zwei weitere Genehmigungsvoraussetzungen des § 55 b BadWürtt-UnivG, nämlich die "Vergleichbarkeit" der verleihenden ausländischen Hochschule mit einer deutschen staatlichen Hochschule sowie die "Vergleichbarkeit" der der Verleihung des ausländischen Grades zugrundeliegenden "Studien- und Prüfungsleistungen" dem vom EuGH aufgezeigten, klar eingegrenzten Prüfungsmaßstab der "ordnungsgemäßen Verleihung" des Grades durch eine "hierfür" zuständige Hochschule. Der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts führe daher dazu, daß diese dem Gemeinschaftsrecht widersprechenden Bestandteile der Regelung von den Behörden und Gerichten nicht mehr angewendet werden dürfen. Die übrigen Bestandteile der Regelung blieben weiterhin anwendbar, vorausgesetzt, daß sie in ihrer Gesamtheit noch eine aus sich heraus sinnvolle und handhabbare Restregelung darstellten, die mit diesem reduzierten Inhalt der erkennbaren Absicht des Normgebers noch am ehesten entspricht.

       123. Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 19.2.1997 (5AzR 747/93 - EuZW 1997, 540 = NZA 1997, 705 = BB 1997, 2276) auf das Vorabentscheidungsurteil des EuGH in der Rechtssache Paletta II die vorinstanzlichen Entscheidungen aufgehoben und zurückverwiesen. Der Kläger ist italienischer Staatsangehöriger und verlangte von seinem früheren deutschen Arbeitgeber Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Er machte geltend, im Urlaub in Italien erkrankt zu sein. Im Streit stand der Beweiswert des in Italien ausgestellten Krankenattestes. Der EuGH hatte in Paletta II88 festgestellt, daß Art. 18 VO (EWG) Nr. 574/72 des Rates über die Durchführung der VO (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, es dem Arbeitgeber nicht verwehrt, Nachweise zu erbringen, anhand derer das nationale Gericht ggf. feststellen kann, daß der Arbeitnehmer mißbräuchlich eine Arbeitsunfähigkeit gemeldet hat, ohne krank gewesen zu sein. Nach Auffassung des BAG liegt danach die Beweislast dafür, daß der Arbeitnehmer nicht arbeitsunfähig krank war und somit mißbräuchlich gehandelt hat, beim Arbeitgeber. Es sei aber entsprechend den allgemeinen Beweisregeln auch ein Indizienbeweis zulässig. Es sei Sache des LAG, die entsprechenden Feststellungen zu treffen. Der Beklagten gebe die Zurückverweisung Gelegenheit, ihren Vortrag, der Kläger und seine Angehörigen hätten sich auch in den Vorjahren im Urlaub "parallel" arbeitsunfähig krank schreiben lassen, zu präzisieren. Auch könnten aus der Weigerung des Klägers, die Ärzte, auf deren Zeugnis er sich berufen hat, von der Schweigepflicht zu entbinden, unter Umständen negative Schlüsse gezogen werden.

       124. Der VGH München stellte in seinem Urteil vom 30.4.1997 (7 B 96.2564 - NJW 1998, 1006 = BayVBl. 1997, 724) fest, daß weder das nationale Recht noch europäisches Recht eine materielle Prüfung der Gleichwertigkeit italienischer juristischer Studienabschlüsse mit der deutschen Ersten Juristischen Staatsprüfung ermöglichen. Das Diskriminierungsverbot in Art. 48 EGV werde durch die verweigerte Gleichwertigkeitsprüfung nicht berührt, da die Klägerin nicht gehindert wird, ein Arbeitsverhältnis in der Bundesrepublik Deutschland einzugehen. Es gebe keinen reglementierten Berufszweig, der die Erste Juristische Staatsprüfung voraussetze. Sie sei vielmehr Voraussetzung für die Aufnahme in den Vorbereitungsdienst, bei dem es sich aber nicht um ein Arbeitsverhältnis handele. Zudem werde der Klägerin nicht wegen ihrer Staatsangehörigkeit der Zugang zum Vorbereitungsdienst verweigert, sondern wegen Fehlens der Zulassungsvoraussetzungen. Aus diesem Grund sei auch das allgemeine Diskriminierungsverbot nicht berührt. Eine Beschränkung von Art. 52 EGV scheide ebenso aus, da es - wie ausgeführt - keinen Beruf gibt, für dessen Aufnahme das Erste Juristische Staatsexamen Voraussetzung wäre. Die Richtlinie des Rates der EG vom 21.12.1988 über die Anerkennung der Hochschuldiplome89 regele nur den unmittelbaren Zugang zum Beruf, begründe aber auch keinen Anspruch auf materielle Prüfung der Gleichwertigkeit und deren Feststellung bei nicht berufsqualifizierenden Hochschulabschlüssen.

       125. Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 10.7.1997 (14 Reg 8/96 - BSGE 80, 289) der Ehefrau eines in Deutschland beschäftigten Angestellten, die mit ihrem Ehemann und den drei gemeinsamen Kindern nahe der deutsch-belgischen Grenze in Belgien wohnt, einen Anspruch auf Erziehungsgeld zuerkannt. Der Anspruch sei nach § 1 Abs.1 und Abs. 4 Nr. 1 BErzGG i.V.m. dem europäischen Gemeinschaftsrecht gegeben, da nach Art. 73 EWGV 1408/71 der belgische Wohnsitz der Klägerin und ihres Sohnes einem Wohnsitz in Deutschland gleichstehe. Der Anspruch sei auch nicht nach § 8 Abs. 3 BErzGG wegen eventueller Inanspruchnahme einer vergleichbaren Leistung, die der belgische Staat gewährt, ausgeschlossen, da sich diese Frage ausschließlich nach den gemeinschaftsrechtlichen Antikumulierungsvorschriften richte, nach denen der Anspruch auf das deutsche Erziehungsgeld im vorliegenden Fall vorrangig sei.

      



      87 NVwZ 1993, 661.
      88 Urteil vom 2.5.1996, EuGH, Slg. I 1996, 2357.
      89 89/48/EWG, abgedr. in: NVwZ 1990, 45 f.