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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1997


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Lars-Jörgen Geburtig


XIV. Europäische Gemeinschaften

6. Niederlassungsfreiheit

       126. Der Bundesgerichtshof entschied in seinem Beschluß vom 24.11.1997 (AnwZ(B) 38/97 - NJW 1998, 1078 = RIW 1998, 320 = MDR 1998, 244), daß einem deutschen Rechtsanwalt, der die in § 51 Bundesrechtsanwaltsordnung vorgesehene Haftpflichtversicherung nicht unterhält, die Zulassung auch dann zu entziehen ist, wenn er von der Residenzpflicht befreit ist und eine Kanzlei nur im Ausland eingerichtet hat. Die Vorschriften der Art. 52 bis 60 EGV, die die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit betreffen, fänden auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt keine Anwendung, denn ihm fehle es an dem notwendigen Auslandsbezug. Art. 52 ff. EGV verpflichten zum Abbau von Beschränkungen zu Lasten von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten; über die Rechte von Inländern verhielten sich diese Bestimmungen nicht. Sie gelten daher nicht für Betätigungen, von deren wesentlichen Elementen keines über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweise. Im Streitfall gehe es allein darum, welche Beschränkungen das deutsche Recht einem deutschen Anwalt für dessen Berufsausübung in Deutschland auferlegen dürfe. Aus der Tatsache, daß der Antragsteller nur in Italien eine Anwaltskanzlei betreibt, ergebe sich nicht der in den genannten Bestimmungen vorausgesetzte internationale Bezug, weil die hier zu treffende Entscheidung die Berechtigung des Antragstellers, in Italien als "avvocato" tätig zu sein, nicht berühre. Selbst wenn man das Erfordernis der Haftpflichtversicherung an Art. 52 EGV messen würde, sei es nicht zu beanstanden. Da der Antragsteller im Vergleich zu seinen deutschen Kollegen keine zusätzlichen rechtlichen Beschränkungen für die Berufsausübung in Deutschland hinnehmen müsse, sei die Regelung des § 51 BRAO aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Sie sei geeignet, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Zieles (Sicherung der Durchsetzbarkeit eventueller Schadensersatzansprüche gegen den Rechtsanwalt im Rahmen des vorgeschriebenen Versicherungsschutzes) zu gewährleisten und gehe nicht über das hinaus, was zum Schutz des rechtsuchenden Publikums in Deutschland erforderlich ist.

       127. Das OLG Hamm entschied in seinem Beschluß vom 30.4.1997 (15 W 91/97 - NJW-RR 1998, 615 = EuZW 1998, 31 = RIW 1997, 874), daß die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes einer nach deutschem Recht gegründeten GmbH in das Ausland zur Auflösung der Gesellschaft führt. Dieser Beurteilung stünden die Vorschriften des EG-Vertrages betreffend die Niederlassungsfreiheit nicht entgegen90. Der EuGH habe in seinem Urteil vom 27.9.198891 in bezug auf die Niederlassungsfreiheit den fundamentalen Gegensatz zwischen natürlichen Personen und Gesellschaften, deren Existenz ausschließlich auf der jeweiligen nationalen Rechtsordnung beruht, betont. Er habe sodann die Unterschiede der nationalen Rechtsordnungen hinsichtlich der Verknüpfung einer Gesellschaft mit dem nationalen Recht, auf dessen Grundlage sie gegründet worden ist, hervorgehoben. Der EuGH habe betont, daß der EWG-Vertrag diesen Unterschieden der nationalen Rechtsordnungen Rechnung trage. Demgemäß gewährten nach Ansicht des EuGH die Art. 52, 58 EGV Gesellschaften nationalen Rechts nicht das Recht, den Sitz ihrer Geschäftsleitung unter Wahrung ihrer Eigenschaft als Gesellschaft des Mitgliedstaates ihrer Gründung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen. Diese Ausführungen belegten die Auffassungen des EuGH, daß dem jeweiligen nationalen Recht der Vorrang gegenüber der Auswanderungsfreiheit von Gesellschaften zukomme.

      



      90 So auch BayObLGZ 1992, 113 = NJW-RR 1993, 43.
      91 NJW 1989, 2186 - Daily Mail.