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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1997


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Lars-Jörgen Geburtig


XIV. Europäische Gemeinschaften

7. Dienstleistungsfreiheit

       128. Nach den Ausführungen des Bundesfinanzhofs in seinem Urteil vom 11.6.1997 (X R 74/95-HFR 1998, 24) verstößt die steuerliche Bevorzugung des Besuchs inländischer Privatschulen gegenüber Privatschulen im Ausland nicht gegen den EG-Vertrag, da die in § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG begünstigten Privatschulen keine Dienstleistungen im Sinne der Art. 59, 60 EGV erbringen. Zwar dürfe in Ansehung der in Art. 59 ff. EGV garantierten Dienstleistungsfreiheit der Empfänger einer Dienstleistung - auch steuerrechtlich - nicht deshalb benachteiligt werden, weil er eine Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch nimmt. Jedoch liege keine Dienstleistung im Sinne des Vertrages vor, da es am Merkmal der Entgeltlichkeit fehle. Schulgelder für die Teilnahme am Unterricht eines nationalen, staatlichen Bildungssystems seien nach ständiger Rechtsprechung des EuGH kein Entgelt im Sinne des Art. 60 EGV. Der EuGH habe betont, daß der Staat durch die Errichtung und Erhaltung eines staatlichen Bildungssystems keine gewinnbringende Tätigkeit aufnehmen will, sondern vielmehr seine Aufgabe auf sozialem, kulturellem und bildungspolitischem Gebiet erfüllt. Zudem werde das staatliche Schulsystem in der Regel aus dem Staatshaushalt und nicht von den Schülern oder deren Eltern finanziert. Daran ändere sich nach der Rechtsprechung des EuGH auch durch einen Kostenbeitrag in Form von Schulgeld nichts. Nach Auffassung des BFH sei es ohne Bedeutung, daß der Sonderausgabenabzug Schulen in privater Trägerschaft betrifft. Die Entscheidungen des EuGH seien zwar zu staatlichen Schulen ergangen, der EuGH habe aber nicht darauf abgestellt, von welchen Personen Unterricht angeboten werde. Es entspreche der ständigen Rechtsprechung des EuGH, Dienstleistungen Privater, die nicht als Teil einer wirtschaftlichen Tätigkeit erbracht werden, nicht am Vertrag zu messen. Die zum Schulgeld für den Besuch von staatlichen Schulen entwickelten Grundsätze gelten daher auch für den Unterricht einer Schule, die im wesentlichen aus öffentlichen Mitteln finanziert werde. Werde eine Schule im wesentlichen dagegen aus privaten Mitteln finanziert und versuche sie, einen Gewinn zu erzielen, sei ihr Unterrichtsangebot als Dienstleistung im Sinne des Vertrages anzusehen. Hiernach handle es sich bei den von § 10 Abs. 1 Nr. 9 EKStG begünstigten Privatschulen nicht um Schulen, die nach der Rechtsprechung des EuGH Dienstleistungen gegen Entgelt erbringen. Die durch diese Vorschrift geförderten Privatschulen seien in das nationale öffentliche Bildungssystem integriert, seien mit ihrer Unterrichtstätigkeit in der Regel nicht erwerbswirtschaftlich tätig und würden überwiegend aus dem Staatshaushalt finanziert. Auch das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Art. 6 EGV, das vor Benachteiligungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit schützt, sei nicht berührt, da für den Schulgeldabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG weder von Bedeutung ist, welche Staatsangehörigkeit der Steuerpflichtige besitzt, noch ist allein der Ort der Niederlassung der Schule Anknüpfungspunkt für die Förderung.

       129. Das OLG Hamm entschied in seinem Urteil vom 25.6.1996 (4 U 12/96 - NJW-RR 1998, 139), daß ein deutscher Staatsangehöriger, der in den Niederlanden ein Büro unterhält, in dem er dort zulässige Steuerberatungen durchführt, aber keine Qualifikation nach dem Steuerberatergesetz besitzt, auch nicht aufgrund der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 59 EGV zur Steuerberatung in der Bundesrepublik Deutschland zugelassen ist. Zum einen dürfe ein Inländer die Dienstleistungsfreiheit nicht dazu mißbrauchen, inländische Berufsbeschränkungen zu umgehen. Vor allem aber fehle es zum anderen an einem grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr. Dazu sei eine Niederlassung in den Niederlanden erforderlich, von der aus Dienstleistungen in der Bundesrepublik erbracht werden. Das Büro in den Niederlanden teile sich der Beklagte mit etwa 20 Kollegen und halte sich dort nur 3-4 mal im Monat auf. Die Einrichtung dieses Büros diene erkennbar nur dem Zweck, formal eine grenzüberschreitende Tätigkeit darstellen zu können, während in der Sache eine bloße Inlandstätigkeit vorliege, zumal die Mandanten des Beklagten zu 90 % in Deutschland ansässig sind. Damit fehle es an einer effektiv grenzüberschreitenden Tätigkeit, die nach Art. 59 EGV allein geschützt sei. Weiterhin sei das, was der Beklagte in der Bundesrepublik Deutschland tun will, keine vorübergehende Tätigkeit i.S. des Art. 59 EGV mehr, sondern dauernde Beratungstätigkeit. Die von Art. 59 EGV erfaßte Tätigkeit sei einzelfallbezogen. Die Betreuung von Dauerkunden sei dagegen typischerweise mit der Gründung einer Niederlassung verbunden (wofür strengere Voraussetzungen gelten, die der Beklagte nicht erfüllt). Daher könne der Beklagte den Schutz des Art. 59 EGV auch nicht in Anspruch nehmen, wenn man das Büro in den Niederlanden als ausreichende Auslandsniederlassung ansieht.