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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1997


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Lars-Jörgen Geburtig


XIV. Europäische Gemeinschaften

11. Gleichbehandlung von Männern und Frauen (Art. 119 EG-Vertrag)

       145. Das Bundesarbeitsgericht befaßte sich in seinem Urteil vom 3.6.1997 (3 AZR 910/95 - EuZW 1997, 702) mit Regelungen in Versorgungsverträgen, die für Männer und Frauen ein unterschiedliches Rentenzugangsalter vorsehen. Das unterschiedliche Rentenzugangsalter für Männer und Frauen hat Auswirkungen auf die Berechnung einer Invalidenrente und die Berechnung des Unverfallbarkeitsfaktors nach § 2 Abs. 1 BetrAVG. Die Regelungen der Versorgungsverordnung verstoßen nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts gegen Art. 119 EGV. Art. 119 EGV sei auf solche Systeme der betrieblichen Altersversorgung anzuwenden, bei denen es sich um eine die staatliche Alterssicherung ergänzende betriebliche Alterssicherung handelt. Das sei ständige Rechtsprechung des EuGH. Es verstoße gegen Art. 119 EGV, wenn die Invalidenrente bei vorzeitig ausscheidenden Arbeitnehmern für Frauen und Männer unterschiedlich berechnet werde. Der Grundsatz des gleichen Entgelts im Sinne des Art. 119 EGV müsse für jeden einzelnen Bestandteil des Entgelts gewährleistet sein. Das Gebot der Entgeltgleichheit für Männer und Frauen - bezogen auf betriebliche Rentenleistungen - könne jedoch nur für solche Leistungen in Anspruch genommen werden, die auf Beschäftigungszeiten nach dem 17.5.1990, dem Tag des Erlasses des Barber-Urteils104, beruhen, in dem der EuGH die Anwendbarkeit von Art. 119 EGV auf die genannten Systeme der betrieblichen Altersversorgung bejaht hat. Für die Zeit vor dem 17.5.1990 bleibe es bei der deutschen Regelung.

       146. In seinem Urteil vom 18.6.1997 (4 AZR 647/95 - NZA 1998, 267) entschied das Bundesarbeitsgericht, daß § 23 a Nr. 4 BAT, wonach Zeiten des Erziehungsurlaubs auf die fünfjährige Bewährungszeit für den Fallgruppenbewährungsaufstieg in die nächsthöhere Vergütungsgruppe nicht anzurechnen sind, nicht gegen Art. 119 EGV verstößt. Eine für Männer und Frauen in gleicher Weise geltende Rechtsnorm enthalte dann eine gegen diese Bestimmung verstoßende mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts, wenn sie erheblich mehr Angehörige des einen als des anderen Geschlechts nachteilig trifft und nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Insoweit habe die Klägerin geltend gemacht, daß die tarifliche Bestimmung des § 23 a Nr. 4 BAT hinsichtlich der Nichtanrechnung des Erziehungsurlaubs auf die Bewährungszeit zu einer mittelbaren Frauendiskriminierung führe, da Erziehungsurlaub weit überwiegend von Frauen und nicht von Männern in Anspruch genommen werde. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts führt nicht die Nichtanrechnung des Erziehungsurlaubs an sich dazu, daß mehr Frauen als Männer von der Nichtanrechnung des Erziehungsurlaubs betroffen sind, sondern die Entscheidung der Eltern, die nach wie vor fast ausschließlich dazu führe, daß die Mutter des Kindes in den Erziehungsurlaub gehe. Ob eine privatautonome Entscheidung die mittelbare Diskriminierung ausschließe oder ob es wegen einer vorzunehmenden multifaktoriellen Betrachtungsweise lediglich darauf ankomme, daß im Ergebnis Frauen von der Nichtanrechnung des Erziehungsurlaubs stärker betroffen sind als Männer, sei vom EuGH bislang nicht entschieden. Eine abschließende Entscheidung des Senats in dieser Frage sei aber nicht erforderlich. Die Differenzierung zwischen anrechenbaren Zeiten und nicht anrechenbaren Zeiten beruhe nämlich auf objektiven Faktoren, die nichts mit der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Nach § 23 a Nr. 4 BAT seien nur solche Zeiten auf die Bewährungszeit anzurechnen, in denen das Arbeitsverhältnis nicht ruhe. Demgegenüber seien Zeiten, in denen die gegenseitigen Hauptpflichten im Arbeitsverhältnis suspendiert sind, die Zeiten des Wehr- oder Zivildienstes und des Erziehungsurlaubs nicht anzurechnen. Im Anschluß an die Rechtsprechung des 10. Senats105 seien Regelungen, die für die Begründung von Ansprüchen danach differenzieren, ob das Arbeitsverhältnis ruhe oder nicht, rechtlich zulässig. Das Ruhen des Arbeitsverhältnisses rechtfertige objektiv eine Anspruchsminderung. Diese habe mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nichts zu tun, auch wenn überwiegend Frauen davon betroffen seien.

       147. Mit Urteil vom 15.5.1997 (6 AZR 26/96 - NJW 1998, 1012 = NZA 1998, 207 = FamRZ 1998, 545) entschied das Bundesarbeitsgericht, daß der Ortszuschlag für verheiratete Angestellte ledigen Angestellten, die in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft leben, nicht zusteht. Ein Verstoß gegen Art. 119 EGV und die Entgeltrichtlinie liege nicht vor, da die genannten Bestimmungen nur eine unterschiedliche Entgeltbemessung allein aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Geschlechtsgruppe verbieten, die zugrundeliegende Tarifnorm jedoch männlich und weibliche Angestellte, die unverheiratet sind, gleichermaßen von der Leistung ausschließt und somit nicht nach dem Geschlecht unterscheidet. Aus diesen Gründen sei auch Art. 26 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, der ebenfalls eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbietet, nicht verletzt. Ob die genannten Bestimmungen auch eine Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung verbieten, könne dahinstehen, da der tarifliche Leistungsausschluß alle Unverheirateten ohne Rücksicht auf die sexuelle Orientierung erfaßt. Auch eine mittelbare Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung sei nicht gegeben. Selbst wenn man unterstelle, daß der Anteil der Homosexuellen an der Gruppe der Unverheirateten erheblich größer sei als der Anteil der Homosexuellen an der Gruppe der Verheirateten, trage die Unterscheidung in der Tarifnorm der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG Rechnung und beruhe damit auf einem Gesichtspunkt, der mit einer Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung nichts zu tun habe.

      



      104 EuGH, Slg. I 1990, 1889 = NJW 1991, 2204.
      105 Vgl. BAG NZA 1994, 423; NZA 1995, 176.