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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1997


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Lars-Jörgen Geburtig


XIV. Europäische Gemeinschaften

13. Vorabentscheidungsverfahren (Art. 177 EG-Vertrag)

       155. In einem Nichtannahmebeschluß vom 13.6.1997 (1 BvR 2102/95 - NJW 1997, 2512 = EuZW 1997, 575 = BB 1997, 2057 = NZA 1997, 931) führte die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts aus, daß das Urteil des LAG den Beschwerdeführer zwar in seinem Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Das LAG habe als letztinstanzliches Fachgericht die Zuständigkeitsregel des Art. 177 Abs. 3 EGV in offensichtlich unhaltbarer Weise gehandhabt. Es habe sich ohne nachvollziehbare Gründe einer Auseinandersetzung mit der Auslegung der Richtlinie des Rates 77/187/EWG durch den EuGH entzogen und die Prüfung seiner Vorlagepflicht mit nicht haltbaren Gründen verweigert. Die Grundrechtsverletzung sei aber nicht so gewichtig, daß sie auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeute. Dem Beschwerdeführer entstehe durch die Versagung der Entscheidung auch kein besonders schwerer Nachteil, denn es sei deutlich abzusehen, daß der Beschwerdeführer auch im Falle einer Zurückweisung an das Ausgangsgericht im Ergebnis keinen Erfolg haben würde, denn der EuGH habe inzwischen seine Auslegung der Richtlinie des Rates 77/187/EWG präzisiert, so daß sich heute die Frage einer Vorlage an den EuGH nicht mehr stellen würde und ebensowenig Anlaß für eine andere Sachentscheidung bestünde.

       156. In seinem Beschluß vom 16.4.1997 (P.St. 1202 - ESVGH Bd. 48, 1) entschied der Hessische Staatsgerichtshof, daß die Vorlagepflicht an den EuGH hinsichtlich der Auslegung von sekundärem Gemeinschaftsrecht auch für die Verfassungsgerichte der Mitgliedstaaten gelte. Der Staatsgerichtshof hatte Zweifel, ob das hessische Gleichberechtigungsgesetz mit der Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207 EWG vereinbar ist. Der Staatsgerichtshof führte aus, daß er sich an einer abschließenden Entscheidung durch die mit Art. 177 Abs. 3 EG-Vertrag begründete Verpflichtung gehindert sehe, eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Auslegung einschlägigen Rechts der Europäischen Gemeinschaft einzuholen. Der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts, der heute seine Grundlage in Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG finde, beanspruche grundsätzlich auch für den Bereich des mitgliedstaatlichen Verfassungsrechts Geltung. Danach dürften deutsche Vorschriften nicht angewendet werden, soweit sie EG-Recht widersprächen. Dieser Vorrang sei dort zu beachten, wo das EG-Recht innerstaatlich unmittelbar Geltung beansprucht und daher mit innerstaatlichem Recht in Konflikt treten kann. Für die Richtlinie 76/207 EWG habe der Europäische Gerichtshof eine solche unmittelbare Geltung und damit den Anwendungsvorrang ersichtlich bejaht.