Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Logo Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

Sie befinden sich hier: Publikationen Archiv Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1998

Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1998


Inhalt | Zurück | Vor

Kai Peter Ziegler


VIII. Asylrecht

2. Inländische Fluchtalternative

       46. Das BVerwG hielt in seinem Urteil vom 28.12.1998 (9 C 17/98 - NVwZ 1999, 544) die Grundsätze der inländischen Fluchtalternative auch dann für anwendbar, wenn der Verfolgerstaat in einer Region seine Gebietsgewalt vorübergehend faktisch verloren hat. Selbst dann könnten aber gegen einzelne Personen gerichtete Anschläge des Verfolgerstaates die Sicherheit der Fluchtalternative ausschließen. Eine irakische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit beantragte in der Bundesrepublik Asyl und machte geltend, im Nordirak für eine kurdische Widerstandsgruppe gearbeitet zu haben und nach der Festnahme ihres Vorsitzenden selbst gesucht zu werden. Das Bundesamt lehnte die Anerkennung der Klägerin als asylberechtigt ab, weil eine Gruppenverfolgung der Kurden allein wegen ihrer Ethnie im Irak nicht gegeben sei. VG und OVG nahmen eine Gruppenverfolgung an, die Revision der Beklagten hatte jedoch Erfolg. Das BVerwG führte u.a. aus, daß unklar sei, ob eine Vorverfolgung i.S.d. Asylrechts bestanden habe, weil nach den Grundsätzen der inländischen Fluchtalternative im Gebiet des Nordiraks möglicherweise eine verfolgungsfreie Zuflucht offengestanden habe. Die Grundsätze über die inländische Fluchtalternative seien auf die Verhältnisse im Nordirak anwendbar, obwohl der Irak seine Gebietsgewalt dort vorübergehend faktisch verloren habe. Erst wenn mögliche Zufluchtsorte nicht mehr zum Territorium des Verfolgerstaates zählten, seien die Grundsätze der inländischen Fluchtalternative nicht mehr anwendbar. Dies sei aber nicht der Fall, wenn in einem Teilgebiet des Verfolgerstaates seine Fähigkeit zu politischer Verfolgung wegen des Eingreifens fremder Mächte vorläufig und für ungewisse Zeit aufgehoben sei. Die Klägerin sei zwar tatsächlich im Nordirak nicht hinreichend sicher, wenn die "reale" Möglichkeit bestehe, daß sie dort Opfer eines gezielten Terroranschlages durch irakische Agenten würde, doch setze dies eine differenzierende Beweiswürdigung und Prognosebildung voraus, die das Urteil des OVG nicht geleistet habe.

       47. Für den VGH Mannheim schied in seinem Urteil vom 18.3.1998 (A 13 S 3665/95 - ESVGH 48, 319) die Annahme einer inländischen Fluchtalternative aus, wenn die unmittelbare Einreise in mutmaßlich sichere Landesteile unmöglich sei und in anderen Landesteilen nach § 53 AuslG beachtliche Gefahren drohen würden. Ein afghanischer Staatsangehöriger hatte erfolglos einen Asylantrag gestellt, war jedoch mit seiner Klage vor dem VG erfolgreich. Der VGH hob in der Berufung des Bundesbeauftragten das Urteil zwar auf, verpflichtete das Bundesamt aber die Voraussetzungen für ein Abschiebungshindernis i.S.d. § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG festzustellen. Der VGH führte dazu u.a. aus, daß der Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter habe und auch Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1-4 AuslG nicht vorlägen. Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG seien jedoch hinsichtlich Afghanistan gegeben, weil dem Ausländer dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit drohe. Es komme nicht darauf an, ob diese Gefahr vom Staat ausgehe oder ihm zumindest zuzurechnen sei. Dem Kläger drohten jedenfalls im Machtbereich der Taliban zumindest die Gefahren eines längerfristigen Freiheitsentzuges und von Mißhandlungen, weil er als Beamter des früheren kommunistischen Regimes in maßgeblicher Stellung an der Verteilung von Grund und Boden mitgewirkt und sich dadurch den besonderen Haß der orthodox-islamischen Kräfte der Taliban zugezogen habe. § 53 AuslG biete allerdings nur vor einer landesweiten Gefahrenlage Schutz, und der Kläger sei möglicherweise im Machtbereich der "Nordallianz" vor Verfolgung sicher. Jedoch dürfe die Erreichbarkeit relativ sicherer Landesteile des Ziellandes nicht unzumutbar erscheinen, was aber hier ausnahmsweise der Fall sei, weil nur ganz bestimmte und unzumutbare Reisewege in Betracht kämen und damit eine inländische Fluchtalternative im Machtbereich der "Nordallianz" mangels Erreichbarkeit dieses Gebiets ausscheiden müsse.