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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1998


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Kai Peter Ziegler


I. Völkerrecht und innerstaatliches Recht

       1. Das BVerfG entschied mit Beschluß vom 28.1.1998 (2 BvR 1981/97 - EuGRZ 1998, 408), daß der Klageausschluß nach Teil VI Art. 3 Abs. 1 und 3 ÜberleitungsV3 weiterhin Gültigkeit besitze. Der Beschwerdeführer wandte sich gegen die Abweisung seiner Klage auf Herausgabe eines Bildes als unzulässig vor deutschen Gerichten nach Teil VI Art. 3 Abs. 3 ÜberleitungsV. Das Bild sei nach dem zweiten Weltkrieg als Leihgabe vorübergehend nach Deutschland gelangt und unabhängig von seiner tatsächlichen Zugehörigkeit als deutsches Vermögen seines Vaters, des damaligen Staatsoberhauptes von Liechtenstein, von der Tschechoslowakei mit der Begründung enteignet worden, der Vater habe die deutsche Nationalität besessen. Nach Auffassung des Gerichtes genügte dies den Anforderungen des ÜberleitungsV. Der Beschwerdeführer machte demgegenüber vor dem BVerfG geltend, daß diese Entscheidung gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts i.S.d. Art. 25 GG verstoße, daß das Vermögen von Angehörigen neutraler Staaten von den Siegern eines Krieges nicht konfisziert werden dürfe, daß völkerrechtliche Verträge zu Lasten dritter Staaten verboten seien und daß sich die Staatsangehörigkeit einer natürlichen Person ausschließlich nach dem Recht des vermittelnden Staates richte. Nach Auffassung des BVerfG kam es jedoch für die zivilgerichtliche Entscheidung auf diese völkergewohnheitsrechtlichen Regeln nicht an. Das erste Vorbringen betreffe die Reccfmäßigkeit der Enteignung durch die Tschechoslowakei, zu der die Zivilgerichte nicht Stellung genommen hätten und wozu sie auch nicht verpflichtet seien. Auch hätten die Zivilgerichte keine eigenständige Bewertung der Staatsangehörigkeit des Vaters des Beschwerdeführers vorgenommen, sondern lediglich eine zweckorientierte Auslegung des ÜberleitungsV, die verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Die Klagesperre sei auch kein Vertrag zu Lasten Liechtensteins, da sie nur für die Gerichte der Bundesrepublik vertragliche Pflichten begründe, nicht aber für Liechtenstein. Der fragliche Artikel des ÜberleitungsV sei auch nicht durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag4 aufgehoben worden.

       2. Das BVerfG dehnte mit Beschluß vom 7.4.1998 (2 BvR 2560/95 - NJW 1998, 2585) seine Grundsätze zum Rückwirkungsverbot bei der strafrechtlichen Ahndung von Tötungshandlungen durch DDR-Grenzsoldaten5 auf die Anwendung von Rechtsvorschriften durch Richter und Staatsanwälte der DDR aus. Die Beschwerdeführerin war als Richterin eines erstinstanzlich zuständigen Strafsenats für politische Strafsachen tätig gewesen und wurde vom LG wegen Rechtsbeugung in acht Strafverfahren zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Der BGH bestätigte den Schuldspruch in drei Fällen wegen unerträglicher Mißverhältnisse zwischen den Taten und ihren Strafen. Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an und führte dazu aus, daß die angegriffenen Entscheidungen Art. 103 Abs. 2 GG nicht verletzen würden, da das Vertrauen in eine bestimmte Interpretation von Strafgesetzen nicht mehr geschützt sei, wenn die Staatspraxis in der Völkergemeinschaft anerkannte Menschenrechte in schwerwiegender Weise mißachte. Zu diesen Menschenrechten zähle auch das Recht auf persönliche Freiheit und der Schutz vor grausamer und unmenschlicher Bestrafung, was sich aus Art. 7 S. 1; 9 Abs. 1 S. 1 IPbpR,6 sowie aus Art. 3; 5 AEMR7 ergebe. Der BGH bejahe elementare Verstöße gegen die Rechtspflege in zwei Fallgruppen, der Überdehnung von Straftatbeständen und dem unerträglichen Mißverhältnis zwischen Strafe und Tat, nur bei offensichtlichen und unerträglichen Menschenrechtsverletzungen und orientiere sich dabei an Art. 15 Abs. 1 S. 1 und 2; 7 S. 1; 9 Abs. 1 S. 2 und 3 IPbpR. Diese Auslegung des BGH genüge den grundgesetzlichen Anforderungen. Weiter verletze der Schuldspruch auch nicht den Schuldgrundsatz aus Art. 1 Abs. 1; 2 Abs. 1 i.V.m. 20 Abs. 3 GG. Eine Strafe ohne Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit sei mit dem Rechtsstaatsprinzip zwar unvereinbar. Auch habe das BVerfG darauf hingewiesen, daß sich bei der Tötung von Flüchtlingen an der innerdeutschen Grenze Bedenken gegen eine Erkennbarkeit des Strafrechtsverstoßes ergeben könnten, weil die Staatsführung der DDR einen Rechtfertigungsgrund mit staatlicher Autorität ausgeweitet habe, so daß im Einzelfall näher dargelegt werden müsse, warum ein Soldat angesichts der Umstände in der Lage gewesen sei, den Strafrechtsverstoß zweifelsfrei zu erkennen. Doch bestünden bei der Beschwerdeführerin keine solchen Bedenken, da sie als Berufsrichterin rechtskundig gewesen sei und für die Methodik der Auslegung in der DDR keine Besonderheiten gegolten hätten. Der BGH könne daher verfassungsrechtlich unbedenklich annehmen, daß DDR-Richter keinem den Vorsatz berührenden Irrtum unterlegen seien.

       3. Das BVerfG war in seinem Beschluß vom 12.5.1998 (2 BvR 61/96 - NJ 1998, 417) der Auffassung, daß eine Rechtsbeugung durch DDR-Juristen durch grausames und überhöhtes Strafen eine unerträgliche Menschenrechtsverletzung sei. Dies gelte auch für die Zeit vor dem Beitritt der DDR zum IPbpR8 und auch dann, wenn das geschriebene Recht der DDR zur Tatzeit keine Strafzumessungsregeln enthalten habe. Der Beschwerdeführer hatte ab 1954 als Beisitzer des Obersten Gerichts der DDR an Strafverfahren wegen "Verbrechen gemäß Art. 6 Abs. 2 Verf-DDR" mitgewirkt, die zu Todesurteilen geführt hatten. Das LG verurteilte ihn wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Totschlag und versuchtem Totschlag zu einer Freiheitsstrafe. Der BGH verwarf seine Revision. Das BVerfG nahm seine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an und führte dazu u.a. aus, daß die Auslegung des § 244 StGB-DDR durch den BGH nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstoße, da das Vertrauen in den Fortbestand von Strafgesetzinterpretationen nicht geschützt sei, wenn die zugrundeliegende Staatspraxis die Menschenrechte in schwerwiegender Weise mißachtet habe. Extremes staatliches Unrecht könne sich nur so lange behaupten, wie die verantwortliche Staatsmacht bestehe. In der Auslegung des BGH werde die Tätigkeit von Richtern und Staatsanwälten nur dann als Rechtsbeugung bewertet, wenn im Einzelfall Menschenrechte in schwerwiegender Weise mißachtet worden seien. Grausames und überhöhtes Strafen sei eine solche unerträgliche Menschenrechtsverletzung, die auch für die Zeit vor dem Beitritt der DDR zum IPbpR nicht zweifelhaft sein könne, da bereits Art. 5 AEMR9 ein entsprechendes Verbot enthalte und der BGH ihr berechtigterweise große rechtliche Bedeutung beimesse. Auch habe bereits die "Proklamation Nr. 3 des Alliierten Kontrollrates vom 20.10.1945 für alle vier Besatzungszonen"10 unter II. 4 S. 2 das Verbot enthalten, "Strafen, die gegen das gerechte Maß oder die Menschlichkeit verstoßen," zu verhängen. Es handele sich dabei um einen ungeschriebenen Grundsatz des deutschen Strafrechts, der bereits durch das MRG Nr. 1 Art. IV Nr. 811 ausgesprochen worden und auch in der DDR anerkannt gewesen sei.

       4. Das VG München erklärte mit Beschluß vom 13.8.1998 (M 29 E 98.2804 - GRUR Int. 1999, 69), daß für dienstliche Streitigkeiten zwischen einer deutschen Beamtin des Europäischen Patentamtes (EPA) und der Europäischen Patentorganisation (EPO) der Rechtsweg zu den deutschen Gerichten nicht gegeben sei. Eine Beamtin des EPA begehrte die Verpflichtung der EPO im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO, ihre Dienstbezüge sowie die Beiträge zum System der sozialen Sicherheit und Versorgungsordnung weiter zu zahlen. Sie unterliege zwar der Sondergerichtsbarkeit des VG der Internationalen Arbeitsorganisationen (ILO) in Genf, doch sehe weder dessen Verfahrensordnung noch dessen Rechtsprechung einstweiligen Rechtsschutz vor. Nach der Rechtsprechung des BVerfG müsse einstweiliger Rechtsschutz auch dann gewährleistet werden, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Normierung fehle. Art. 19 Abs. 4 GG gewähre Rechtsschutz nicht nur gegen Akte deutscher öffentlicher Gewalt, sondern auch gegen Akte supranationaler Organisationen auf deutschem Gebiet. Nach Auffassung des VG ist der Antrag jedoch unzulässig, weil der Rechtsweg zu den deutschen Gerichten nicht gegeben sei. Das EPA sei ein Organ der EPO, der als zwischenstaatlicher Einrichtung i.S.d. Art. 24 Abs. 1 GG eigenständige Organisationsgewalt und Personalhoheit über ihre Bediensteten zustehe. Der Verwaltungsrat der EPO sei danach befugt, die Dienstverhältnisse der Beamten und sonstigen Beschäftigten des EPA in einem Statut zu regeln. Nach Art. 13 Abs. 1 EPÜ hätten die Bediensteten oder ehemaligen Bediensteten des EPA das Recht, in Streitigkeiten mit der EPO das VG der ILO nach Maßgabe des Statuts oder der Versorgungsordnung anzurufen. Dies entspreche der weit verbreiteten Staatenpraxis, internationalen Organisationen zur Gewährleistung einheitlicher Rechts- und Lebensverhältnisse im innerorganisatorischen Bereich autonome Regelungsbefugnisse über ihre Bediensteten einzuräumen, die auch ein Rechtsschutzsystem umfassen würden, das den nationalen Rechtsweg ausschließe. Der Erlaß dieser Vorschriften und ihre Anwendung im Einzelfall seien mithin nicht Ausfluß abgeleiteter deutscher öffentlicher Gewalt i.S.d. Art. 19 Abs. 4 bzw. 20 Abs. 2 GG, sondern originäres Recht der internationalen Organisation, bezüglich dessen die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG auch dann keine Wirkung entfalte, wenn der Rechtsschutz gemessen an innerstaatlichen Anforderungen unzulänglich sein sollte. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleiste keine "internationale Auffangzuständigkeit deutscher Gerichte," so daß die Antragstellerin bei dienstrechtlichen Streitigkeiten Rechtsschutz nicht auf dem innerstaatlichen Rechtsweg erlangen könne.

      



      3 Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen in der gemäß Liste IV zu dem am 23.10.1954 in Paris unterzeichneten Protokoll über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland; BGBl. 1955 II 405.
      4 Vertrag über die Abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland vom 12.9.1990, BGBl. 1990 II 1318.
      5 BVerfGE 95, 96.
      6 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966, BGBl. 1973 II 1533.
      7 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 10.12.1948.
      8 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966, BGBl. 1973 II 1533.
      9 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 10.12.1948.
      10 Official Gazette of the Control Council for Germany.
      11 ABlEG der Militärregierung Deutschland 1944, 12.