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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1998


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Kai Peter Ziegler


XIII. Europäische Gemeinschaften

11. Gleichbehandlung von Männern und Frauen (Art. 119 EG-Vertrag)

       124. Das BAG erklärte in seinem Urteil vom 12.11.1998 (8 AZR 365/97 - NZA 1999, 371) eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechtes gemäß § 611 a Abs. 1 BGB nur für zulässig, wenn ein bestimmtes Geschlecht "unverzichtbare Voraussetzung" für die auszuübende Tätigkeit sei. Ein sachlicher Grund könne eine geschlechtsbezogene Differenzierung dagegen nicht rechtfertigen. Das weibliche Geschlecht sei keine unverzichtbare Voraussetzung der Bestellung zur Gleichstellungsbeauftragten. Der Kläger bewarb sich erfolglos auf die Stelle eines kommunalen Frauenbeauftragten nach § 5 GO/NRW, weil nach Ansicht der Beklagten aus § 5 Abs. 3 GO/NRW hervorgehe, daß die Stelle einer Gleichstellungsbeauftragten nur von Frauen wahrgenommen werden könne. Der Kläger beanspruchte in allen Instanzen erfolglos Schadensersatz gem. § 611 a Abs. 2 S. 1 BGB. Das BAG führte dazu u.a. aus, daß der Wortlaut des § 611 a Abs. 1 S. 2 BGB sich an Art. 2 Abs. 2 RL 76/207/EWG178 orientiere und eine geschlechtsbezogene Unterscheidung danach nur erlaube, wenn ein bestimmtes Geschlecht "unverzichtbare Voraussetzung" für die auszuübende Tätigkeit sei. Dies stelle erheblich höhere Anforderungen an das Gewicht des rechtfertigenden Umstandes als ein sachlicher Grund, weil das Geschlecht nur unverzichtbar sei, wenn Angehörige des anderen Geschlechts die vertragsgemäße Leistung nicht erbringen könnten und dieses Unvermögen auf Gründen beruhe, die ihrerseits der gesetzlichen Wertentscheidung der Gleichberechtigung beider Geschlechter genügten. Spreche § 611 a Abs. 1 S. 3 BGB i.R.d. Darlegungs- und Beweislast auch sachliche Gründe als Rechtfertigung an, so betreffe dies nicht die unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts, sondern die gleichfalls nach der Richtlinie 76/207/EWG verbotene mittelbare Diskriminierung, deren Umsetzung § 611 a Abs. 1 S. 1 BGB diene. Solle die Stelle einer Gleichstellungsbeauftragten aber ausschließlich an weibliche Personen vergeben werden, so knüpfe dies unmittelbar an das Geschlecht an und könne nicht schon durch sachliche Gründe gerechtfertigt werden. Die Unverzichtbarkeit des weiblichen Geschlechts für die Stelle einer Gleichstellungsbeauftragten sei aber nicht dargetan worden. Der Kläger erfülle allerdings die weiteren Anspruchsvoraussetzungen des § 611 a Abs. 2 S. 1 BGB nicht, weil er sich nicht subjektiv ernsthaft um die Stelle beworben, sondern von vornherein eine Entschädigung angestrebt habe und er objektiv kein geeigneter Bewerber gewesen sei.

       125. Das OVG Schleswig-Holstein hielt in seinem Beschluß vom 6.3.1998 (3 M 34/97 - DÖV 1998, 554) die §§ 5 und 6 GleichstellungsG Schleswig-Holstein für möglicherweise unvereinbar mit Art. 2 Abs. 1, 4 RL 76/207/EWG.179 Einem Beamten wurde mitgeteilt, daß die Beförderung zweier Kolleginnen beabsichtigt, für ihn aber nicht vorgesehen sei. Der Antragsteller legte Widerspruch ein und erreichte beim VG, daß dem Antragsgegner vorläufig die Beförderung der beigeladenen Kolleginnen ohne gleichzeitige Beförderung des Antragstellers bis zum Abschluß eines neuen Auswahlverfahrens untersagt wurde. Das OVG bestätigte diese Entscheidung und führte dazu aus, daß bei summarischer Prüfung die bisherige Rechtsprechung des EuGH für eine Unvereinbarkeit von § 5 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 6 GleichstellungsG mit Art. 2 Abs. 1 und 4 RL 76/207/EWG spreche. § 5 Abs. 1 S. 1 GleichstellungsG sehe bei faktischer Unterrepräsentierung in einzelnen Geschäftsbereichen die vorrangige Beförderung von Frauen bei gleicher Qualifikation gegenüber männlichen Mitbewerbern vor und § 6 GleichstellungsG lasse Ausnahmen nur zu, wenn eine Nichtberücksichtigung männlicher Bewerber eine unzumutbare Härte bedeuten würde. Der EuGH habe entschieden,180 daß Art. 2 Abs. 1 und 4 RL 76/207/EWG nationalen Regelungen entgegenstehe, die weiblichen Bewerbern automatischen Vorrang einräumen würden. Bevorzugungen seien danach nur dann zulässig, wenn eine objektive Beurteilung aller Bewerbungen gewährleistet sei, dabei auch alle Hilfskriterien leistungsferner bzw. leistungsfremder Natur berücksichtigt würden und der Vorrang weiblicher Bewerber entfalle, wenn eines oder mehrere Kriterien zugunsten männlicher Bewerber überwögen. Die Regelung des GleichstellungsG enthalte aber keine hinreichende "Öffnungsklausel" i.d.S., weil die Härteklausel nach dem Willen des Gesetzgebers eine Ausnahmeregelung mit äußerst eng begrenztem Anwendungsbereich sein solle, die eine Berücksichtigung traditionell anerkannter Hilfskriterien gerade nicht gebiete. Auch eine richtlinienkonforme Auslegung komme nicht in Betracht, da der Gesetzeswortlaut und der Wille des Landesgesetzgebers einer Auslegung der Härteklausel als Öffnungsklausel widerspreche. Restzweifel seien im Hauptsacheverfahren möglicherweise unter Anrufung des EuGH zu klären.

       126. Für das OVG Niedersachsen verstößt laut Urteil vom 10.6.1998 (2 L 7973/95 - DÖD 1999, 212) § 3 Abs. 2 Nr. 3 DienstJubVO, wonach nur hauptberuflich im öffentlichen Dienst zurückgelegte Zeiten bei Berechnung der Jubiläumsdienstzeit berücksichtigt würden, nicht gegen Art. 3 Abs. 1 und 2 GG; 119 EGV und Art. 5 RL 76/207/EWG.181 Eine Lehrerin beantragte vergeblich, den Tag ihres 25-jährigen Dienstjubiläums neu festzusetzen und ihr die Jubiläumszuwendung zu zahlen, weil die bisherige Berechnung ihre frühere Tätigkeit als sog. "nebenberufliche" Lehrkraft im Angestelltenverhältnis nicht berücksichtige und dies gegen das Verbot der Frauendiskriminierung verstoße: weit mehr Frauen als Männer hätten solche nebenberuflichen Tätigkeiten aufzuweisen. Widerspruch, Klage und Berufung blieben erfolglos. Das OVG führte dazu u.a. aus, daß die Nichtberücksichtigung von Zeiten einer unterhälftigen Teilzeitbeschäftigung weder gegen Art. 119 EGV, noch gegen dessen Konkretisierung in RL 76/207/EWG verstoße. Art. 119 EGV verpflichte jeden Mitgliedstaat, den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit anzuwenden. Darunter seien alle Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar oder unmittelbar in bar oder als Sachleistung zahle. Die Jubiläumszuwendung sei jedoch keine Gegenleistung für erbrachte Arbeit i.d.S.; vielmehr wolle der Dienstherr damit die Treue und Aufopferung der für ihn tätigen Beamten würdigen und ehren. Selbst wenn die Jubiläumszuwendung aber Entgelt i.S.d. Art. 119 EGV wäre, liege weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Diskriminierung vor, da kein unterschiedliches Entgelt zwischen Männern und Frauen ausdrücklich mit dem Geschlechtsunterschied begründet werde und eine mögliche mittelbare Diskriminierung durch objektive Gründe gerechtfertigt sei. Bei mittelbaren Diskriminierungen sei das unterschiedliche Entgelt Ergebnis der Anwendung eines scheinbar neutralen Kriteriums, das gleichwohl aufgrund der faktischen Sachlage eine Gruppe benachteilige, die sich ganz oder überwiegend aus Angehörigen eines Geschlechtes zusammensetze. Zwar habe die Beklagte eingeräumt, daß überwiegend Frauen mit weniger als der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit beschäftigt seien, doch beruhe die Nichtberücksichtigung der nebenberuflichen Tätigkeiten bei der Berechnung des Jubiläumsdienstalters auf objektiv gerechtfertigten Faktoren, weil sie die Anerkennung der Berufsleistung eines Beamten bezwecke und privatrechtliche Beschäftigungszeiten im öffentlichen Dienst daher nur insoweit Berücksichtigung finden könnten, als ein Bediensteter überwiegend Tätigkeiten erbringe, die mit denen eines Beamten vergleichbar seien. Dies sei jedoch nur bei Tätigkeiten anzunehmen, die mindestens die Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit beanspruchen würden, weil Beamten eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit nur in diesem Rahmen möglich sei. Auch Art. 5 RL 76/207/EWG fordere lediglich gleiche Arbeitsbedingungen einschließlich gleicher Leistungsbedingungen. Die Jubiläumszuwendung sei jedoch eine einmalige Geldleistung ohne nennenswerte Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen der vorangegangenen 25 Jahre. Im übrigen rechtfertige auch hier der sachliche Grund der Vergleichbarkeit privatrechtlicher und beamtenrechtlicher Zeiten eine differenzierende Berücksichtigung von haupt- und nebenberuflichen Zeiten.

      



      178 Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9.2.1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABlEG Nr. L 039 vom 14.2.1976, 40-42.
      179 Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9.2.1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichstellung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zuganges zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABlEG 1976 Nr. L 38, 40.
      180 EuGH, Urteil vom 17.10.1995, Rs. C-450/93, Slg. 1995, 3051.
      181 Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9.2.1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABlEG Nr. L 039 vom 14.2.1976, 40-42.