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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1998


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Kai Peter Ziegler


III. Völkerrechtliche Verträge

       6. Nach der Auffassung des BVerfG in dem Beschluß vom 29.10.1998 (2 BvR 1206/98 - FamRZ 1999, 85) gewährleisten Art. 13 und 20 HKiEntÜ16 die Beachtung des Kindeswohls. Bei gegenläufigen Rückführungsanträgen sei eine nähere Prüfung des Kindeswohls anhand von Art. 13 HKiEntÜ verfassungsrechtlich geboten. Das Kindeswohl sei mit Blick auf Art. 6 Abs. 2; 2 Abs. 1 und 103 Abs. 1 GG verfahrensrechtlich durch Bestellung eines Pflegers im familiengerichtlichen Verfahren zu sichern, wenn die Interessen der Eltern in Konflikt zu denen der Kinder geraten könnten. Aus der Ehe des Beschwerdeführers mit seiner inzwischen getrennt lebenden französischen Gattin waren zwei Kinder hervorgegangen, die die Mutter während eines deutschen Sorgerechtsverfahrens entführte. Das FamG wies dem Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder zu und gab der Mutter die Herausgabe der Kinder auf. Die französischen Gerichte nahmen jedoch einen Ausnahmetatbestand gem. Art. 13 Abs. 1 b) HKiEntÜ an, woraufhin der Vater die Kinder unter Anwendung von Gewalt gegen die Mutter zurückbringen ließ. Sie erreichte bei dem zuständigen OLG über das HKiEntÜ die Anordnung der Rückgabe der Kinder, wogegen der Vater Verfassungsbeschwerde einlegte. Grundrechtliche Maßstäbe bestimmen nach Auffassung des BVerfG die Auslegung völkerrechtlicher Verträge durch nationale Gerichte, wobei dem Zweck der Verträge möglichst umfassende Geltung zu verschaffen sei. Aus der Präambel und Art. 13 und 20 HKiEntÜ ergebe sich, daß das HKiEntÜ dem Kindeswohl in gleicher Weise verpflichtet sei wie das deutsche Verfassungsrecht. Das Übereinkommen vermute widerleglich, daß eine sofortige Rückführung der Kinder an den bisherigen Aufenthaltsort dem Kindeswohl grundsätzlich am besten entspreche. Art. 13 und 20 HKiEntÜ würden Ausnahmen zulassen, wenn eine Rückgabe die Kinder in eine unzumutbare Lage bringen könnte, oder die Kinder sich der Rückgabe bei hinreichender Reife in beachtlicher Weise widersetzen würden. Eine restriktive Anwendung der Ausnahmeklauseln auf ungewöhnlich schwerwiegende Beeinträchtigungen des Kindeswohls sei nicht zu beanstanden. Härten für den entführenden Elternteil würden i.d.R. keinen solchen Nachteil begründen. Die Entscheidung des OLG sei mit dem Grundgesetz unvereinbar, da das Übereinkommen zwar auch auf gegenläufige Entführungen anwendbar sei, bei dem Sonderfall gegenläufiger Rückführungsanträge jedoch wegen des Schutzauftrags des Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG und dem Grundrecht der Kinder aus Art. 2 I GG eine nähere Prüfung des Kindeswohls anhand von Art. 13 Abs. 1 b) und Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 HKiEntÜ verfassungsrechtlich geboten sei. So sei nicht auszuschließen gewesen, daß der französische Kassationshof im Anschluß an die Anordnung des OLG, die Kinder nach Frankreich zurückzubringen, eine erneute Rückführung nach Deutschland verfügen würde. Ein solches Hin- und Rückführen der Kinder würde aber dem Kindeswohl widersprechen und sei für sie unzumutbar. Weiter ergebe sich aus der verfassungsrechtlichen Verankerung des Kindeswohls in Art. 6 Abs. 2 und 2 Abs. 1 GG i.V.m. 103 Abs. 1 GG die Pflicht, das Kindeswohl verfahrensrechtlich dadurch zu sichern, daß den Kindern bereits im familiengerichtlichen Verfahren ein Pfleger zur Wahrung ihrer Interessen zur Seite gestellt werde, wenn die Eltern durch rechtswidrige Entführungen ihrer Kinder zu erkennen gegeben hätten, daß sie vornehmlich ihre eigenen Interessen durchsetzen wollten. Zwar sei nach dem HKiEntÜ nicht erforderlich, daß die Kinder in Sorgerechtsverfahren angehört würden, doch verlange dies Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG angesichts der gegenläufigen Rückführungsanträge, weil danach ermittelt werden müsse, wie die Kinder eine Rückführung und eine mögliche erneute Rückführung verkraften würden.

       7. Der BFH urteilte am 6.8.1998 (IV R 75/97 - RIW 1999, 155), daß Vergütungen, die ein in Deutschland ansässiger Dolmetscher für seine tageweise Beschäftigung beim Europarat erhalte, nicht nach Art. 18 b) des Abkommens über die Vorrechte und Befreiungen des Europarates17 steuerbefreit seien. Ein selbständiger Dolmetscher war in den Streitjahren für den Europarat in Straßburg tätig und erhielt hierfür Vergütungen, die er für steuerfrei hielt, weil er sich als Beamten i.S.d. Bestimmung sah. Das FG BW gab dem Kläger recht, wogegen das Finanzamt erfolgreich Revision einlegte. Die Steuerbefreiung kann sich nach der Ansicht des BFH nur aus Art. 17 und 18 b) des Abkommens ergeben, das als völkerrechtlicher Vertrag Bestandteil des Bundesrechts und daher der Auslegung durch die Finanzgerichte zugänglich sei. Aus Art. 33 WÜRV18 ergebe sich, daß die Originalfassung des Abkommens in englischer und französischer Sprache maßgeblich für die Auslegung sei. Der französische Begriff "agent" sei zwar nicht ganz eindeutig, doch könne das englische Wort "official" nur dahin gehend verstanden werden, daß solche Personen ein öffentliches Amt innehabe müßten, das eine gewisse Dauer der Beschäftigung voraussetze. Nach Art. 33 Abs. 3 WÜRV sei ein mehrdeutiger Begriff in einer offiziellen Sprache i.S.d. eindeutigen Begriffs einer anderen offiziellen Sprache zu definieren. Tageweise beschäftigte Personen seien folglich nicht mitumfaßt. Auch andere internationale Verträge würden das Ergebnis bestätigen: Das Protokoll über die Vorrechte und Befreiung der EG19 sehe Steuerbefreiungen nur für "Beamte und sonstige Bedienstete" ("fonctionnaires et autres agents," "officials and other servants") vor, und der EuGH habe entschieden,20 daß tageweise beschäftigte Dolmetscher unter keine dieser Kategorien fallen würden. Die Verfügung Nr. 203 des Generalsekretärs des Europarates, wonach "les dispositions ... s'appliquent à tous les agents permanents et à tous les agents temporaires du Conseil de l'Europe," unterliege den gleichen Auslegungsmaßstäben und führe damit zu keinem anderen Ergebnis. Art. 19 des Abkommens erkläre schließlich, daß die Vorrechte und Erleichterungen den Bediensteten nicht zu ihrem persönlichen Vorteil, sondern im Interesse des Rates gewährt würden, um den steuerberechtigten Staaten kein Druckmittel gegen die Betroffenen und die Organisation in die Hand zu geben und um unterschiedliche Nettolöhne zu vermeiden. Beide Aspekte seien bei tageweise beschäftigten Dolmetschern nicht stark ausgeprägt.

       8. Das BVerwG entschied mit Beschluß vom 12.6.1998 (11 B 19.98 - UPR 1998, 359), daß § 6 Abs. 2 S. 1 LuftVG21 zum Schutz vor Fluglärm Nachtflugregelungen gestatte, die bestimmten Strahlflugzeugen mit Lärmzertifikation nach Anh. 16, Bd. 1, Teil II, Kap. 3 ICAO22 Starts und Landungen verbieten würden. Genehmigungen an Luftverkehrsunternehmen gemäß Art. 3 Abs. 1 VO 2408/92/EWG,23 Verkehrsrechte auf Strecken in der Gemeinschaft auszuüben, würden keine Freistellung von innerstaatlichem Umweltschutzrecht enthalten. Luftverkehrsgesellschaften rügten die Entscheidung des Flughafen Nürnbergs, nächtliche Starts und Landungen von Strahlflugzeugen mit Lärmzertifikation nach Anh. 16, Bd. 1, Teil II, Kap. 3 ICAO zu verbieten, soweit diese Flugzeuge nicht zugleich in der sog. "Bonusliste" des Bundesministeriums für Verkehr aufgeführt sein dürften, obgleich andere, lautere Flugzeugtypen weiterhin eingesetzt werden dürfen. Das BVerwG hält die Regelung für vereinbar mit Art. 3 GG, weil die lauteren Flugzeuge bislang nicht eingesetzt worden seien, ihr Einsatz auch künftig nicht zu erwarten sei und sich die Ungleichbehandlung in der Praxis deshalb nicht auswirke. Die sog. Bonusliste selbst sei keine Rechtsnorm, sondern eine Sachverständigenbewertung, die nicht den Anforderungen des Gleichheitsgrundsatzes genügen müsse, deren Plausibilität vielmehr eine Frage tatrichterlicher Würdigung sei. Die Nachtflugbeschränkungen würden zwar zwischen "Bonusflugzeugen" und "sonstigen Flugzeugen nach Kap. 3 ICAO" unterscheiden, doch begründe eine günstige Lärmprognose dies hinreichend. Der Ausschluß lauterer Flugzeugtypen sei selbst dann nicht zu beanstanden, wenn die Flugzeugmuster eine Lärmzulassung nach Kap. 3 ICAO besäßen, weil das ICAO einen teilweisen Ausschluß von Flugzeugtypen mit Genehmigung nach Kap. 3 ICAO nicht verbiete, so daß die Änderung der bisherigen Praxis auch unter Beachtung des Vertrauensschutzes zulässig sei. Schließlich verstoße das Nachtflugverbot mit Bezug zur Bonusliste weder gegen VO 2408/92/EWG, noch gegen Bestimmungen des freien Warenverkehrs (Art. 30 ff. EGV) oder des freien Dienstleistungsverkehrs (Art. 59 ff. EGV). Sei schon zweifelhaft, ob VO 2408/92/EWG überhaupt berührt werde, so stelle Art. 8 Abs. 2 VO 2408/92/EWG jedenfalls klar, daß die Ausübung von Verkehrsrechten "den veröffentlichten gemeinschaftlichen, einzelstaatlichen, regionalen oder örtlichen Vorschriften in den Bereichen Sicherheit, Umweltschutz und Zuweisung von Start- und Landezeiten" unterliege. Ein Verstoß gegen Art. 30 EGV liege schon deswegen nicht vor, weil die Klägerinnen Dienstleistungsunternehmen seien. Für einen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit fehle es an einer Schlechterbehandlung von EG-Ausländern.

       9. Das OLG Hamburg hielt in seinem Urteil vom 6.2.1998 (12 U 16/96 - IPrax 1999, 168) Art. 16 EuGVÜ24 auch dann für anwendbar, wenn außer den in der Norm selbst vorausgesetzten Verbindungen zu einem Vertragsstaat keine Verbindungen zu einem weiteren Vertragsstaat bestünden. Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ erfasse auch Vollstreckungsabwehrklagen nach § 767 ZPO und die Vollstreckung aus Urkunden. Nach Art. 21 analog LugÜ25 seien die deutschen Gerichte international nicht zuständig für die Entscheidung über zur Aufrechnung gestellte Forderungen, wenn in einem im Ausland anhängigen Verfahren die Aufrechnung mit bestimmten Forderungen bereits erklärt worden sei. Art. 22 LugÜ enthalte eine abschließende Regelung der Verfahrensaussetzung und verdränge die nationalen Aussetzungsregeln. Die Auslegung des LugÜ unterstehe nicht der Kompetenz des EuGH. Ein Hamburger Unternehmen wehrte sich gegen die Zwangsvollstreckung einer Stockholmer Bank aus einer Grundschuld u.a. mit Aufrechnungsforderungen, die das Unternehmen in einem Verfahren vor schwedischen Gerichten geltend gemacht hatte. Das LG wies die Klage ab, und das OLG hielt die Berufung für unbegründet. Nach Auffassung des OLG war das angerufene LG gem. Art. 16 Ziff. 5 EuGVÜ international zuständig für das Verfahren, da diese Vorschrift eine ausschließliche Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Verfahren begründe, die eine Zwangsvollstreckung in Deutschland zum Gegenstand hätten. Diese setze auch keinen weiteren Bezug zu einem anderen Vertragsstaat voraus. Das EuGVÜ werde insoweit nicht vom LugÜ verdrängt, da dessen Art. 54 b Abs. 1 ausdrücklich erkläre, daß es das EuGVÜ unberührt lasse. Unter Art. 16 Ziff. 5 EuGVÜ würden auch Vollstreckungsabwehrklagen nach § 767 StPO zählen. Zu Recht sei die im schwedischen Verfahren erklärte Aufrechnung nicht berücksichtigt worden, da eine Aufrechnung zwar grundsätzlich als Einwendung i.S.d. § 767 ZPO in Betracht komme, jedoch nicht mit Forderungen aufgerechnet werden könne, über die zu entscheiden die Richter im Vollstreckungsstaat international nicht zuständig seien. Über die Gegenforderungen hätten aber die schwedischen Gerichte zu entscheiden, wie sich aus Art. 21 Abs. 2 LugÜ ergebe, der hier jedenfalls analog anzuwenden sei und vorsehe, daß sich das später angerufene Gericht für unzuständig zu erklären habe und seine sonst gegebene internationale Zuständigkeit gesperrt sei. Das LugÜ werde hier nicht durch das EuGVÜ verdrängt, da Schweden nicht Vertragsstaat des EuGVÜ, wohl aber des LugÜ sei. Auch eine Aussetzung des Verfahrens komme nach dem klaren Wortlaut des Art. 22 Abs. 1 LugÜ nicht in Betracht, da diese in der zweiten Instanz nicht mehr ausgesprochen werden könne. Art. 22 LugÜ sei insoweit eine abschließende Regelung, die einen Rückgriff auf § 148 ZPO sperre. Eine Zurückverweisung scheide ebenso aus, weil es keinen wesentlichen Mangel des Verfahrens darstelle, daß das LG das Verfahren nicht bis zur Entscheidung des in Schweden geführten Rechtsstreites ausgesetzt habe, da Art. 22 Abs. 1 LugÜ dem Gericht ein Ermessen einräume, welches das LG ordnungsgemäß ausgeübt habe. Schließlich sei auch eine Vorlage zur Vorabentscheidung an den EuGH nicht geboten, da das LugÜ nicht der Kompetenz des EuGH unterstehe.

       10. Das OLG Bamberg führte in seinem Beschluß vom 30.9.1998 (2 UF 286/97 - FamRZ 1999, 951) aus, daß ein im Heimatland verbliebener Elternteil folgende Möglichkeiten habe, den Kontakt zu seinem minderjährigen Kind aufrecht zu erhalten, das von dem anderen Elternteil nach Deutschland verbracht worden sei: a) bei Sorgerechtsverletzungen könne die Rückgabe des Kindes nach dem HKiEntÜ26 verlangt werden; b) es könne die Durchsetzung einer im Ausland ergangenen Umgangsregelung betrieben werden, die nach § 16a FGG bzw. vorrangiger staatsvertraglicher Regelungen anzuerkennen sei; c) es könne die Neuregelung des Umgangs durch die deutschen Gerichte gefordert werden, die nach Art. 21 HKiEntÜ international zuständig seien. Gerichtliche Verfahren bzgl. des Umgangsrechts seien im HKiEntÜbk und im SorgeRÜbkAG27 nicht geregelt, so daß die §§ 621 ff. ZPO maßgeblich seien. § 8 Abs. 2 SorgeRÜbkAG finde auf Entscheidungen zur Regelung des Umgangsrechtes keine Anwendung. Ein chilenischer Staatsangehöriger lebte in Trennung von seiner deutschen Frau und verlangte Umgang mit seinen in Chile ehelich geborenen Kindern, die sich in elterlicher Sorge bei der Mutter befanden. Die Eltern hatten in Chile 1992 eine gerichtliche Vereinbarung über die Besuchsregelung des Antragstellers getroffen, die bis 1995 vollzogen wurde, als sich die Antragsgegnerin mit den Kindern ohne Kenntnis des Antragstellers nach Deutschland begab. 1997 stellte der Vater beim AG den Antrag, daß ihm der Umgang mit seinen Kindern entsprechend der früheren Vereinbarung gestattet werde. Das OLG führte aus, daß der Antragsteller von den aufgeführten Antragsmöglichkeiten nur Alternative c gewählt habe, für die das HKiEntÜ nur von nebensächlicher Bedeutung sei, da das Umgangsrecht dort nur am Rande erwähnt werde. Auch das SorgeRÜbkAG enthalte keine klaren Aussagen. Da das Umgangsrecht nach § 621 Abs. 1 Nr. 2 ZPO eine Familiensache sei, habe die Neuregelung des Umgangsrechts mangels ausdrücklich entgegenstehender Vorschriften daher gem. §§ 621ff. ZPO zu erfolgen. Gegen die Entscheidungen des Familiengerichtes sei die befristete Beschwerde nach § 621e ZPO statthaft. § 8 Abs. 2 SorgeRÜbkAG verdränge § 621e ZPO ebensowenig wie das HKiEntÜ, da beide in erster Linie den Entführungsfall regeln und das Umgangsrecht nur sehr lückenhaft behandeln würden. Dies sei auch sachgerecht, weil Fälle mit Auslandsbezug keine Besonderheiten gegenüber sonstigen Umgangsrechtsregelungen aufweisen würden. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergebe sich aus Art. 21 HKiEntÜ. Daß materiell deutsches Recht anzuwenden sei, ergebe sich aus Art. 2 MSA,28 da das HKiEntÜ keine Anknüpfung hinsichtlich des Umgangsrechtes enthalte und die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hätten. Im Ergebnis sei der Antrag des Antragstellers wegen einer Gefährdung des Wohls der beiden Kinder durch den Umgang abzuweisen.

       11. Das OLG Frankfurt a.M. hielt in seinem Beschluß vom 5.8.1998 (1 UF 195/98 - NJW 1998, 3206) das MSA nicht für anwendbar, wenn sich ein von einem Elternteil aus Japan entführtes Kind erst drei Monate in Deutschland aufhalte. Greife das MSA ein, so richte sich die Sorgerechtsentscheidung nach dem Ehewirkungsstatut. Der Antragsteller und die japanische Antragsgegnerin heirateten in Japan, wo auch der gemeinsame Sohn geboren wurde. Seit Geburt des Kindes lebten die Parteien nicht mehr zusammen. Die Antragsgegnerin gestattete dem Antragsteller anläßlich eines Besuches seiner Eltern, einige Stunden mit dem Kind im Park zu verbringen. Der Antragsteller nahm das Kind dabei nach Deutschland mit und stellte einen Sorgerechtsantrag mit der Begründung, daß die Antragsgegnerin ihn von dem Kind fernhalten wolle. Das AG übertrug die elterliche Sorge jedoch auf die Antragsgegnerin und ordnete die Herausgabe des Kindes an. Die Beschwerde des Antragstellers blieb erfolglos. Nach Auffassung des OLG ergab sich die internationale Zuständigkeit des AG aus § 621 Abs. 2 S. 1 ZPO und richtete sich nicht nach den Vorschriften des MSA, weil dessen Anwendbarkeit gem. Art. 13 Abs. 1 MSA an den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes geknüpft sei. Das Kind halte sich aber erst seit drei Monaten in Deutschland auf, so daß es hier nicht bereits seinen Lebensmittelpunkt begründet habe. Sachlich müsse die Entscheidung sich nach japanischem bzw. hilfsweise nach deutschem Recht am Wohl des Kindes orientieren. Dem Wohl des Kindes entspreche es aber am besten, wenn es wieder zurück in die Obhut seiner Mutter nach Japan zurückkehre. Die inzwischen entstandenen engen Beziehungen zwischen dem Kind und seinem Vater seien in der künftigen Umgangsregelung zu berücksichtigen.

       12. Das LG München entschied mit Beschluß vom 22.4.1998 (13 T 7027/98 - FamRZ 1998, 1323), daß die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nach Art. 4 S. 1 MSA29 zwingend eine vorherige Verständigung des Aufenthaltsstaates voraussetze und daß dieser Zuständigkeitsmangel in der Beschwerdeinstanz nicht gerügt werden könne. Der in der Türkei lebende Vater zweier Kinder schlug die Erbschaft seiner verstorbenen Frau aus, woraufhin die beiden Kinder Erben zu je einem Drittel wurden. Die Erbschaft bestand i.W. aus einem Hausgrundstück in München, das mit vormundschaftsgerichterlicher Genehmigung verkauft wurde. Der Erlös wurde an zwei dingliche Gläubiger ausgegeben. Der für die Kinder bestellte Ergänzungspfleger machte Regreßansprüche gegen den Vater geltend, da das Grundstück für dessen Verbindlichkeiten gehaftet habe. Der Vater rügte die örtliche Zuständigkeit des AG München. Das Rechtsmittel führte zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, weil nach Auffassung des LG die internationale Zuständigkeit des AG München nicht gegeben war. Die internationale Zuständigkeit richte sich nach Art. 1 ff. MSA, woran weder Art. 4 S. 1 noch Art. 9 MSA etwas ändern würden. Zwar besäßen die Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit als effektive Staatsangehörigkeit, was für die Anwendung von Art. 4 MSA ausreiche, doch setze Art. 4 MSA weiter voraus, daß eine Verständigung des Aufenthaltsstaates vorab erfolge. Hier sei jedoch nicht an die türkischen Behörden herangetreten worden. Dies sei auch nicht lediglich ein Verfahrensfehler, der in der Beschwerdeinstanz nachgeholt werden könne, sondern ein Zuständigkeitserfordernis, das in zweiter Instanz nicht nachgeholt werden könne. Art. 9 MSA begründe eine Zuständigkeit nur für notwendige Eilmaßnahmen. Nach vollständiger Abwicklung des Grundstücksverkaufs stünde jetzt aber nur noch die Geltendmachung von Regreßansprüchen in Frage, die selbst kein dringender Fall sei.

       13. Das FG Münster urteilte am 28.4.1998 (6 K 4223/97 Kg - EFG 1998, 1208), daß türkische Staatsangehörige keinen Kindergeldanspruch für ihre nicht im Inland lebenden Kinder auf Art. 33 SozSichAbk D-Türkei30 stützen könnten. Auch Bezieher von Arbeitslosenhilfe würden nicht unter Art. 33 des Abkommens fallen. Das deutsche EStG sehe in §§ 62 und 63 das Territorialitätsprinzip sowohl für den Anspruchsberechtigten als auch für das Kind vor, und Art. 33 des Abkommens habe nur Ansprüche nach diesem Rechtssystem erweitert. Darüber hinaus habe das Abkommen keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Steuerrecht, da es sich dabei nicht wie bei einem DBA um einen Vertrag über die Besteuerung handele und somit der Vorrang zwischenstaatlichen Rechts nicht zum Tragen komme. Auch beinhalte das Sozialabkommen kein universell geltendes Völkergewohnheitsrecht, das Ansprüche im Hinblick auf Art. 25 GG begründen könnte.

       14. Das FG Schleswig-Holstein erklärte mit Urteil vom 24.3.1998 (III 994/95 - RIW 1999, 237) die rückwirkende Anwendung des am 27.12.1992 in Kraft getretenen DBA-Italien 198931 auf den Veranlagungszeitraum 1990 für zulässig. Ein Kraftfahrer mit Wohnsitz in Deutschland übte seine Tätigkeit im Jahre 1990 an 105 Tagen in Deutschland und an 178 Tagen in Italien aus. In einem ersten Steuerbescheid wurden die Einkünfte aus der Tätigkeit in Italien steuerfrei belassen, Änderungen des Steuerbescheides nach dem Inkrafttreten des neuen deutsch-italienischen DBA jedoch angekündigt. Ein zweiter Steuerbescheid vom 30.12.1993 berücksichtigte dann die italienischen Einkünfte des Klägers. Die Klage des Kraftfahrers blieb erfolglos. Das FG führte dazu aus, daß Art. 2 des Zustimmungsgesetzes vorsehe, daß die Protokollvorschriften Nr. 22b i.V.m. Nr. 16e zum DBA-Italien 1989 ab dem 1.1.1990 anzuwenden und bereits ergangene Steuerfestsetzungen aufzuheben bzw. zu ändern seien. Einkünfte aus nichtselbständigen Tätigkeiten in Italien unterlägen daher auch für den Veranlagungszeitraum 1990 der inländischen Besteuerung. Voraussetzung sei nach Nr. 16e des Protokolls lediglich, daß Einkünfte aus unselbständiger Arbeit i.S.d. Art. 15 Abs. 2 DBA-Italien von einer in der Bundesrepublik ansässigen Person erzielt worden seien. Der Kläger erfülle diese Voraussetzung. Unerheblich sei, daß das DBA im Streitjahr 1990 noch nicht in Kraft gewesen sei, da Nr. 16e des Protokolls die Einkünfte nur ihrer Art nach und unabhängig von dem Inkrafttreten des DBA erwähne. Der BFH habe entschieden,32 daß die rückwirkende Anwendung des Zustimmungsgesetzes auf Veranlagungszeiträume ab dem 1.1.1990 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei.

       15. Das VG Oldenburg hielt in seinem Urteil vom 29.5.1998 (6 A 3140/96 - InfAuslR 1998, 417) grundsätzlich jenes Land für die Durchführung eines Asylverfahrens für zuständig, das einem Asylbewerber einen Sichtvermerk erteilt habe. Zwischen den Art. 30 und 35 SDÜ33 bestehe ein Regel-Ausnahme-Prinzip, wonach eine Familienzusammenführung nur in den Grenzen des Art. 35 SDÜ stattfinde. Sinn und Zweck dieser Zuständigkeitsregelung würden es nahelegen, für die Klärung der Zuständigkeit auch noch nicht unanfechtbare Anerkennungsentscheidungen als Zuerkennung des Flüchtlingsstatus i.S.d. Art. 35 Abs. 1 SDÜ anzusehen. Ein iranischer Staatsangehöriger und seine zwei Töchter reisten auf dem Luftweg von Teheran kommend mit einem durch die belgische Botschaft in Teheran ausgestellten Visum für die Schengenstaaten ins Bundesgebiet ein. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt und die Abschiebung nach Belgien angedroht. Die Ehefrau und Mutter der Kläger befand sich mit einem weiteren Kind ebenfalls im Bundesgebiet. Nach Auffassung des VG war die Bundesrepublik nach Art. 35 Abs. 1 SDÜ zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens. Zwar folge aus Art. 30 Abs. 1 lit. a SDÜ, daß grundsätzlich jenes Land für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig sei, das einem Asylbewerber einen Sichtvermerk erteilt habe. Doch seien die Ehefrau bzw. Mutter der Kläger und ihr gemeinsames Kind bereits ein Jahr vor Einreise der Kläger als Asylberechtigte anerkannt worden. Diese Anerkennung sei zwar noch nicht unanfechtbar, doch sei für die Auslegung auf Sinn und Zweck der Zuständigkeitsregelungen der Art. 30 und 35 SDÜ zurückzugreifen. Diese zielten u.a. auf eine schnelle Klärung der Zuständigkeiten und Durchführung des Asylverfahrens. Auch noch nicht unanfechtbare Anerkennungsentscheidungen seien daher als Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach Art. 35 Abs. 1 SDÜ anzusehen. Ein anderes Verständnis würde bei endgültiger Erfolglosigkeit der gegen die Anerkennung der Mutter gerichteten Klage zu einer bleibenden Verletzung des Art. 35 SDÜ führen, weil sich dann herausstelle, daß eine Familienzusammenführung nach Art. 35 SDÜ hätte stattfinden müssen. Auch hätten der Kläger und seine Ehefrau ineinandergreifende Begründungen ihrer Asylanträge vorgetragen, so daß es dem Beschleunigungsgedanken zuwider laufen würde, das Asylverfahren in Belgien durchzuführen, wo nicht ohne weiteres auf bereits gewonnene Erkenntnisse zurückgegriffen werden könne.

      




      16 Haager Übereinkommen vom 25.10.1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen, BGBl. 1990 II 206.
      17 Allgemeines Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen des Europarates vom 2.9.1949, BGBl. 1954 II 494.
      18 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23.5.1969, BGBl. 1985 II 926.
      19 Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der europäischen Gemeinschaften, BGBl. 1965 II 1482.
      20 EuGH, Urteil vom 11.7.1985, Rs. 43/84, Slg. 1985, 2581.
      21 Luftverkehrsgesetz vom 1.8.1922, RGBl. 1922 I 681, n.F. vom 27.3.1999, BGBl. 1999 I 550, BGBl. III 96-1.
      22 Abkommen vom 7.12.1944 über die Internationale Zivilluftfahrt, BGBl. 1956 II 411.
      23 Verordnung (EWG) Nr. 2408/92 des Rates vom 23.7.1992 über den Zugang von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft zu Strecken des innergemeinschaftlichen Flugverkehrs, ABlEG Nr. L 240 vom 24.8.1992, 8-14.
      24 Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968, BGBl. 1972 II 773, i.d.F. des dritten Beitrittsübereinkommens vom 26.5.1989, BGBl. 1994 II 3707.
      25 Übereinkommen vom 16.9.1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, BGBl. 1994 II 2658.
      26 Haager Übereinkommen vom 25.10.1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen, BGBl. 1990 II 206.
      27 Gesetz zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 25.10.1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung und des Europäischen Übereinkommens vom 20.5.1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses, Verkündet als Art. 1 des Gesetzes zur Ausführung von Sorgerechtsübereinkommen und zur Änderung des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie anderer Gesetze vom 5.4.1990, BGBl. 1990 I 701, BGBl. III 319-92, zuletzt geändert durch Gesetz zur Änderung von Zuständigkeiten nach dem Sorgerechtsübereinkommens-Ausführungsgesetz vom 13.4.1999, BGBl 1999 I 702.
      28 Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5.10.1961, BGBl. 1971 II 217.
      29 Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5.10.1961, BGBl. 1971 II 217.
      30 Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 30.4.1964, BGBl. 1964 II 1965, 1170.
      31 Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Italien 1989, BGBl. 1990 II 743.
      32 BFH, BB 1994, 195; Az. I R 140/93 vom 16.3.1994, BStBl. 1994 II 508; Az. I R 31/94 und I R 33/94 vom 14.9.1994, BFH/NV 1995, 497; Az. I R 4/93 vom 29.6.1994, BFH/NV 1995, 189.
      33 Schengener Durchführungsübereinkommen vom 19.7.1990, BGBl. 1993 II 1013.