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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1999


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Ludger Radermacher


IX. Internationaler Menschenrechtsschutz

Europäische Menschenrechtskonvention

d) Schutz der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art. 10 und 11 EMRK)

       42. Mit Urteil vom 14.9.1999 entschied das OVG Bremen (1 HB 433/98 - DVBl. 2000, 128 ff.), daß das Kabelbelegungsmonopol der Landesmedienanstalt mit Verfassungsrecht und europäischem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Die Beteiligten stritten im Fall über die Weiterverbreitung von Fernsehprogrammen in Kabelanlagen. Die Klägerin betreibt in Bremen Kabelnetzanlagen. Die beklagte Landesmedienanstalt hatte auf der Grundlage des § 32 Abs. 4 des Brem. LandesmedienG (BremLMG) am 5.11.1997 einen Kabelbelegungsplan erlassen. Darin wurde unter gleichzeitiger Zuweisung von Kabelplätzen an die Veranstalter eine Rangfolge für die Einspeisung der insgesamt 43 Programme festgelegt Die Klägerin klagte gegen die konkrete Festsetzung der Rangfolge. Das OVG hat die zugelassene Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Es erkannte, daß die angewandten Regelungen auch mit Art. 10 EMRK vereinbar sind. Der Schutzbereich des Art. 10 EMRK umfasse auch die Rundfunkfreiheit72 und die Weiterübertragung von Rundfunkprogrammen durch Kabel. Die Vorschrift beziehe sich nicht nur auf den Informationsinhalt, sondern auch auf die Übertragungs- und Empfangsmittel. Somit würden Maßnahmen, die daran hinderten, bestimmte Sendungen zu empfangen, einen Eingriff in die Meinungsfreiheit darstellen. Der Schutz der Meinungsfreiheit schließe nach Art. 10 Abs. 1 S. 3 EMRK nicht aus, daß die Staaten Rundfunk- oder Fernsehsendungen einem Genehmigungsverfahren unterwerfen. Neben den in solchen Genehmigungsverfahren vorrangig eine Rolle spielenden technischen und praktischen Aspekten seien jedoch auch Regelungen zur Wahrung der Rechte und Bedürfnisse einer bestimmten Hörergruppe oder zur Wahrung der Qualität und Ausgewogenheit der Programme möglich. Allerdings unterlägen nach der Rechtsprechung des EGMR auch Regelungen nach Art. 10 Abs. 1 S. 3 EMRK den Anforderungen, die Art. 10 Abs. 2 EMRK an Einschränkungen der Meinungsfreiheit stelle. Hier seien die Beschränkungen gesetzlich vorgesehen. Der legitime Zweck liege darin, daß durch eine faire Zuweisung von ihrer Zahl nach beschränkten Übertragungsregelungen der Pluralismus und die Meinungsfreiheit gefördert werden und damit zugleich dem Schutz der Rechte anderer gedient werden solle. Aus diesem Grunde seien die Regelungen auch in einer demokratischen Gesellschaft notwendig. Eine Verletzung des Gemeinschaftsrecht, insbesondere eine unzulässige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs (Art. 59 EGV a.F. = Art. 49 EGV n.F.), liege nicht vor. Eine offene Diskriminierung i.S. einer Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit der Dienstleistungserbringer sei nicht gegeben, da die Vorschriften des BremLMG nicht danach unterschieden, ob die Rundfunkprogramme aus Deutschland oder einem anderen Mitgliedstaat stammten. Aber auch bei Einbezug des weiteren Schutzbereiches der Dienstleistungsfreiheit, die auch solchen nationalen Regelungen entgegenstehe, die ohne Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit die Ausübung der vertraglich vereinbarten Freiheiten behindern oder weniger attraktiv machten, sei die Regelung des § 32 BremLMG jedenfalls gerechtfertigt, da sie der Aufrechterhaltung eines pluralistischen Rundfunks- und Fernsehwesens und somit einem zwingenden Allgemeininteresse diene. Zudem habe die Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf die essentielle Funktion gesetzlich bestimmter Rundfunkprogramme für die demokratische Ordnung und das kulturelle Leben in Deutschland73 Rücksicht zu nehmen. Dies folge aus der Verpflichtung der Union nach Art. F Abs. I EUV a.F. (jetzt Art. 6 Abs. 3 EUV n.F.) zur Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten. Die wesentlichen Elemente der nationalen Verfassungsordnung, die zu den unverwechselbaren Eigenarten der Mitgliedstaaten beitrügen, seien zu respektieren. Zum andere trage die Gemeinschaft nach Art. 128 Abs. 4 EGV a.F. bei ihrer Tätigkeit aufgrund anderer Bestimmungen des Vertrages den kulturellen Aspekten Rechnung. Es sei somit eine Kulturverträglichkeitsprüfung veranlaßt.




      72 EGMR, NJW 1990, 615 - Radio Groppera AG ./. Schweiz.

      73 BVerfGE 73, 118, 157 f.