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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1999


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Ludger Radermacher


XIII. Europäisches Gemeinschaftsrecht

11. Assoziierungsabkommen Europäische Gemeinschaften - Türkei

       96. In einem die Zulassung einer Beschwerde ablehnenden Beschluß vom 27.8.1999 (18 B 1448/99 - InfAuslR 1999, 485) betonte das OVG Nordrhein-Westfalen, daß Art. 37 des Zusatzprotokolls vom 23.11.1970175 zum Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei176 dem Antragsteller subjektive Aufenthaltsrechte auch dann nicht verleiht, wenn ihm eine unbefristete Arbeitserlaubnis erteilt worden ist. Dieses in Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH stehende Ergebnis177 folge daraus, daß sich Art. 37 des Zusatzprotokolls nach seinem eindeutigen Wortlaut nicht mit der Begründung eines eigenständigen assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts befasse. Hiermit würden die Mitgliedstaaten lediglich zum Erlaß einer Regelung verpflichtet, die in bezug auf die Arbeitsbedingungen und das Entgelt keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Diskriminierung gegenüber solchen Arbeitnehmern enthält, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten seien. Die systematische Stellung dieser Vorschrift unter Titel II - Freizügigkeit und Dienstleistungsverkehr - in Kapitel I - Arbeitskräfte - zeige, daß in Art. 37 des Zusatzprotokolls die Zugehörigkeit des türkischen Arbeitnehmers zum regulären Arbeitsmarkt bereits vorausgesetzt sei. Allein Art. 36 des Zusatzprotokolls sowie der in Ausführung dieses Protokolls erlassene Beschluss Nr. 1/80178 und hier namentlich Art. 6, würde die zur Verwirklichung der Freizügigkeit notwendigen arbeits- und aufenthaltsrechtlichen Regelungen erfassen. Seien diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so könne die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch dann nicht beansprucht werden, wenn das Arbeitsamt eine unbefristete Arbeitserlaubnis bzw. eine Arbeitsberechtigung nach § 2 Arbeitsgenehmigungsverordnung erteilt habe. Art. 6 ARB 1/80 ergebe keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Erteilung einer Arbeitserlaubnis zugleich anspruchsbegründend für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sei.

       97. Das VG Sigmaringen klärte mit Beschluß vom 14.10.1999 (1 K 2011/99 - InfAuslR 2000, 169 ff.) die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt i.S.d. Art. 6 ARB 1/80179 gegeben ist. Dem Beschluß zugrunde lag der Antrag einer türkischen Lehrerin auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Arbeitgeber der Lehrerin war das türkische Erziehungsministerium. Der Antrag wurde abgelehnt. Von dem in § 4 Abs. 6 S. 1 der ArbeitsaufenthalteVO (AAV)180 vorgesehenen Ausschluß der Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis sei auch aufgrund der Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80 nicht abzusehen. Der durch diese Vorschrift nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung eröffnete Zugang zu jeder Beschäftigung im Lohn- oder Gewerbeverhältnis verlange, daß der Beschäftigte während dieser Zeit dem regulären Arbeitsmarkt angehört habe. Nach der Rechtsprechung des EuGH komme es hierfür maßgeblich darauf an, ob das Arbeitsverhältnis im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates lokalisiert werden könne oder ob es eine hinreichend enge Verknüpfung mit diesem Gebiet aufweise. Hierbei seien der Ort der Einstellung des türkischen Staatsangehörigen, das Gebiet, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird, sowie die auf den Arbeitnehmer anzuwendenden nationalen Vorschriften im Bereich des Arbeitsrechts und der sozialen Sicherheit zu berücksichtigen.181. Mit der Vorschrift solle vermieden werden, daß aufgrund einer irregulären Erwerbstätigkeit eine Verfestigung und damit ein Übergang in den regulären Arbeitsmarkt stattfinden könne. Bei den nichtregulären Arbeitsverhältnissen könne es sich um Sonderarbeitsverhältnisse handeln, die nur für bestimmte Personengruppen vorgesehen seien, nicht den ökonomischen Regeln der Marktkräfte unterlägen und somit als Grundlage für eine Verfestigung nicht in Frage kämen. Hiervon ausgehend gehöre die Antragstellerin nicht dem regulären Arbeitsmarkt an, da ihr Arbeitgeber das Türkische Ministerium für Erziehung sei, ihr Gehalt vom türkischen Generalkonsulat ausgezahlt werde, und sie weder dem deutschen Sozialversicherungsrecht noch dem Beamten(versorgungs)recht unterfalle. Freiwerdende Stellen würden durch aus der Türkei entsandte Kräfte besetzt. Durch diese enge Verknüpfung werde die Bedeutung des in Deutschland gelegenen Einsatzortes völlig überlagert. Aus einer Qualifikation der Antragstellerin als Arbeitnehmerin - in Abgrenzung von einer Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung i.S.d. Art. 39 Abs. 4 EGV - lasse sich nicht auf die Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt schließen. Diese Ansicht vermenge in unzulässiger Weise den Begriff des Arbeitnehmers mit dem Tatbestandsmerkmal der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt.




      175 BGBl. II 1972, 385.

      176 Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Türkei, ABlEG Nr. 217 vom 29.12.1964, 3687-3700.

      177 EuGH, Urteil vom 2.3.1999 - Rs. C - 416/96 (El-Yassini).

      178 Beschluß Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19.9.1980.

      179 Ibid.

      180 ArbeitsaufenthalteVO vom 18.12.1990, BGBl. 1990 I 2994, geändert durch VO vom 15.8.1994, BGBl. I 2115.

      181 EuGH, Urteil vom 30.9.1997, Rs. C 8/96 - Ertanir.