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Tätigkeitsbericht für das Jahr 2000


I. Entwicklung, Struktur und Forschungskonzeption des Instituts

Das Institut entstand 1924 als Institut für ausländisches öffentliches Recht der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Berlin und wurde 1949 von der Max-Planck-Gesellschaft als Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg neu gegründet. Unter der Leitung von zwei hauptamtlichen Diretoren beschäftigen sich ca. 20 Wissenschaftler kontinuierlich mit grundsätzlichen Fragestellungen und aktuellen Entwicklungen auf den Gebieten des Völkerrechts und des ausländischen Verfassungs- und Verwaltungsrechts. Im Institut arbeiten zudem ca. 15 bis 20 Assistenten, Doktoranden und Mitarbeiter auf Honorarbasis als Teilzeitbeschäftigte. Bei ihrer Arbeit können die Wissenschaftler auf die Dienste der Bibliothek des Instituts und deren umfassende Literatur- und Dokumentenbestände zum Völkerrecht und zum ausländischen öffentlichen Recht zurückgreifen. Vervollständigt wird das Personal des Instituts durch die in der Dokumentation, im Sekretariatsdienst, in der Verwaltung sowie in der für die Betreuung der Publikationen des Instituts zuständigen Redaktion und im Stab der "Public International Law Bibliography" tätigen Mitarbeiter.

Das Institut ist nicht in Abteilungen untergliedert. Vielmehr arbeiten die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Instituts in der Regel sowohl über Fragen des Völkerrechts als auch im Bereich der Rechtsvergleichung. Die wissenschaftlichen Referenten, aber auch die am Institut beschäftigten Doktoranden, haben jeweils bestimmte Teilgebiete des Völkerrechts und/oder die Entwicklung des Staats- und Verwaltungsrechts in ausgewählten Ländern bzw. Ländergruppen zu beobachten und über wichtige Ereignisse zu berichten.

Wichtigstes Hilfsmittel bei der Durchführung der Forschungsvorhaben des Instituts ist die Bibliothek, deren Bestand sich Ende 2000 auf ca. 493.000 Bände belief. Damit ist sie auf den Gebieten des Völkerrechts und des ausländischen öffentlichen Rechts die größte in Europa und eine der bedeutendsten der Welt. Ihre umfangreichen Sammlungen werden jedes Jahr von zahlreichen Gästen aus dem In- und Ausland genutzt.

Traditionsgemäß steht das Institut darüber hinaus den mit völkerrechtlichen oder rechtsvergleichenden Fragestellungen befaßten Behörden und Gerichten des Bundes wie dem Bundesverfassungsgericht und dem Auswärtigen Amt zu Auskünften, Gutachten und Beratungen zur Verfügung. Die Mitwirkung des Instituts an der praktischen Fortentwicklung von Völker- und Verfassungsrecht vollzieht sich ferner durch die Teilnahme von Institutsmitgliedern an internationalen Konferenzen und die Mitgliedschaft in nationalen und internationalen Gremien. Das Institut ist durch seine Direktoren sowohl im Völkerrechtswissenschaftlichen Beirat als auch im VN-Politischen Beirat des Auswärtigen Amtes vertreten. In den vergangenen Jahrzehnten haben die Direktoren des Instituts wichtige Funktionen auf internationaler Ebene wahrgenommen: Richter, Präsident und Vizepräsident am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Prof. Bernhardt), Richter am Internationalen Gerichtshof (Prof. Mosler), Mitglied und Vizepräsident der Europäischen Menschenrechtskommission (Prof. Frowein), Richter und Vizepräsident am Internationalen Seegerichtshof, Mitglied des VN-Ausschusses gegen Rassendiskriminierung sowie Mitglied der deutschen Delegation zu den Konsultativverhandlungen unter dem Antarktisvertrag und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Recht (Prof. Wolfrum). Darüber hinaus nehmen sie vielfältige Beratungsfunktionen auf temporärer Basis wahr. So arbeitete Prof. Frowein im Berichtszeitraum zusammen mit dem ehemaligen finnischen Staatspräsidenten Martti Ahtisaari und dem ehemaligen spanischen Außenminister Marcelino Oreja in einer Expertengruppe, die von den 14 Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Zusammenhang mit der von ihnen nach der Beteiligung der FPÖ an der österreichischen Bundesregierung im Februar 2000 beschlossenen Einschränkung der bilateralen Beziehungen zu Österreich den Auftrag erhalten hatte, die menschenrechtliche und politische Entwicklung in Österreich zu begutachten und darüber einen Bericht zu erstellen (unten IX. A.).

Das Institut gibt eine eigene Zeitschrift, die „Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht“ (Heidelberg Journal of International Law), heraus. Seit 1997 erscheint ferner jährlich das „Max Planck Yearbook of United Nations Law“. Die am Institut durchgeführten Forschungsvorhaben werden in einer eigenen Schriftenreihe, den „Beiträgen zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht“ publiziert.

Das Institut veröffentlicht darüber hinaus mit dem „World Court Digest“ ein systematisch aufbereitetes Kompendium der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofes. Seit 1975 erscheint die „Public International Law Bibliography“, eine umfassende Bibliographie des völkerrechtlichen Schrifttums.

Seit Beginn des Jahres 1998 stellt das Institut überdies seine wissenschaftlichen Angebote auch im Internet zur Verfügung. Das „Virtuelle Institut“ (http://www.mpil.de) steht für ein Gesamtkonzept mit Pilotcharakter im Rahmen der Geisteswissenschaften, das der interessierten Fachöffentlichkeit einen möglichst vollständigen Zugriff auf grundlegende und aktuelle Informationsressourcen des Völkerrechts und des ausländischen öffentlichen Rechts ermöglichen soll (unten V.).

Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht verbindet seit seiner Gründung die Pflege des Völkerrechts mit der Rechtsvergleichung im Verfassungs- und Verwaltungsrecht, um die organisatorischen Grundlagen und die Ausübung der öffentlichen Funktionen des Staates in allen ihren Erscheinungsformen zu erfassen. Die Forschungsarbeit des Instituts beruht auf der Einsicht, daß sich das Völkerrecht und das nationale öffentliche Recht in immer stärkerem Maße gegenseitig durchdringen und daher eine intensive Beschäftigung mit beiden Rechtsmaterien und ihren wechselseitigen Beziehungen notwendig ist, um die Voraussetzungen und die Struktur moderner Staatlichkeit am Ende des 20. Jahrhunderts analysieren und verstehen zu können. Im Bereich der Rechtsvergleichung werden zu diesem Zweck Fragestellungen behandelt, die in allen modernen Staatswesen oder in homogen zusammengesetzten Staatengruppen geregelt sind oder nach Regelung drängen.

Einen wichtigen Schwerpunkt der vergangenen Jahre bildete dabei die wissenschaftliche Begleitung und Analyse des verfassungsrechtlichen Reformprozesses insbesondere in den mittel- und osteuropäischen Staaten, aber auch in den Ländern Lateinamerikas, Asiens und Afrikas. In diesem Prozeß ist es zur Übernahme rechtsstaatlicher und demokratischer Verfassungskonzeptionen in vielen Teile dieser Erde gekommen, was die Frage aufwirft, inwieweit von einer „Globalisierung“ des zuerst in Nordamerika und Westeuropa verwirklichten Modells des freiheitlichen Verfassungsstaats gesprochen werden kann. Mit einem wichtigen Teilaspekt dieser übergreifenden Fragestellung hat sich im Berichtszeitraum das aus Anlaß des 75jährigen Bestehens des Instituts abgehaltene wissenschaftliche Symposium zu dem Thema „Religionsfreiheit und rechtliche Bindung“ beschäftigt, in dessen Mittelpunkt die Bedeutung der individuellen und kollektiven Religionsfreiheit für die Verfassungsordnungen multireligiöser Gesellschaften stand (dazu unten II. B. und X. A., ferner VIII. C.). Fragen der Verfassungsvergleichung standen darüber hinaus auch im Berichtsjahr im Mittelpunkt mehrerer Kolloquien mit hochrangigen Besucherdelegationen ausländischer Verfassungsgerichte (s. unten VIII. B., E.). Eine zentrale, schwerpunktmäßig allerdings im Verwaltungs- und nicht im Verfassungsrecht anzusiedelnde Frage des öffentlichen Rechts der Gegenwart betraf schließlich das Gutachten zum Einwanderungsrecht ausgewählter ausländischer Staaten (IX. B.)

Auch auf der internationalen Ebene sind seit dem Zweiten Weltkrieg und verstärkt im letzten Jahrzehnt Regelwerke und Institutionen geschaffen worden, die über den Rahmen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit weit hinausgehen und die Frage aufwerfen, inwieweit auch im Bereich des Völkerrechts von Konstitutionalisierungsprozessen gesprochen werden kann. Den Anfang machten die (west-) europäischen Staaten mit der Schaffung eines regionalen Menschenrechtsschutzsystems auf der Grundlage der EMRK und der Gründung der Europäischen Gemeinschaften. Mit dem Ende des Kalten Krieges, der Ausdehnung der EMRK auf die Staaten Osteuropas sowie der Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union hat die europäische Integration eine neue Qualität angenommen, die die Vorstellung eines gemeinsamen europäischen Verfassungsraumes nicht länger als utopische Vision erscheinen läßt. Zugleich hat die weltweite Verflechtung zwischen den Staaten weiter zugenommen. Das UN-System ist mit dem Zusammenbruch der bipolaren Ordnung des Kalten Krieges zumindest teilweise von den Fesseln befreit worden, die eine effektive Wahrnehmung seiner friedensichernden und friedenschaffenden Funktionen bis dahin unmöglich gemacht hatten. Neue Kodifikationen im Bereich des internationalen Wirtschafts- und Umweltrechts spiegeln das Bedürfnis der Staaten nach einer immer engeren Kooperation zur Regelung globaler Probleme wider. Zugleich bemüht man sich um die Schaffung neuer Mechanismen, die eine wirksame Einhaltung und Durchsetzung der vereinbarten bzw. allgemein anerkannten Normen in der Praxis sicherstellen. Die Einsetzung internationaler Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda durch die Vereinten Nationen sowie die Konvention über die Schaffung eines Ständigen Internationalen Strafgerichtshofes sind hierfür ebenso ein Beleg wie der Ausbau der Streibeilegungsmechanismen im Umwelt- und Wirtschaftsvölkerrecht durch die Einrichtung des Internationalen Seegerichtshofes und die Etablierung des WTO-Panelsystems. Vor diesem Hintergrund hat das Institut in den letzten Jahren einen Schwerpunkt seiner Forschungstätigkeit auf die Beschäftigung mit den rechtlichen und politischen Grundlagen, Instrumenten und Grenzen trans- und internationaler Konstitutionalisierungsprozesse gelegt. Diese Fragestellung spiegelt sich in mehreren nachfolgend dargestellten Veröffentlichungen und Veranstaltungen des Instituts zu den Bereichen internationale Gerichtsbarkeit (II. C., X. B.), UN-Recht (II. D.) sowie internationales Wirtschafts- und Umweltrecht (unten II. E., II. F. und X. C.) wider. Sie war darüber hinaus im Berichtszeitraum Gegenstand einiger speziell auf die verfassungs- und völkerrechtlichen Auswirkungen der gegenwärtig ablaufenden Globalisierungs- und Europäisierungsprozesse zugeschnittener Projekte (s. unter II. G., II. H. und VIII. A.).



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