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Tätigkeitsbericht für das Jahr 2000


VIII. Zusammenarbeit mit anderen Forschungseinrichtungen des In- und Auslands

C. Tagung des Minerva Center for Human Rights zum Thema „Religion, Secularism and Human Rights“

Vom 13. bis 15. Februar fand in Jerusalem eine Tagung des Minerva Center for Human Rights statt, die sich mit dem Verhältnis zwischen Religionsfreiheit und säkularen Menschenrechten in liberalen Demokratien am Ende des 20. Jahrhunderts befaßte.

Das Thema der Tagung nahm die Säkularisierungsprozesse moderner Gesellschaften einerseits und die wachsenden religiös-fundamentalistischen Tendenzen andererseits auf, nicht nur im Verhältnis verschiedener Gesellschaften zueinander, sondern gerade auch innerhalb vormals mehr oder weniger homogener, nun aber zunehmend multireligiöser Gesellschaften. In ein und derselben Verfassungsordnung lassen sich zunehmend unterschiedliche Menschenrechtskonzepte ausmachen, je nachdem, ob sie in einem religiösen oder in einem säkularen Umfeld verwurzelt sind. Das Problem, wie religiöse und säkulare Auffassungen innerhalb einer Rechtsordnung koexistieren können, ohne die grundlegenden menschenrechtlichen Gewährleistungen dieser Rechtsordnung zu relativieren, stellt sich nicht nur in Israel, sondern auch in anderen demokratisch-rechtsstaatlich verfaßten multireligiösen Gesellschaften. Die Tagung führte Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus unterschiedlichen Rechts- und Kulturkreisen, mithin unterschiedliche Perspektiven zu den philosophischen, sozialen und juristischen Fragestellungen des säkular-religiösen Spannungsverhältnisses zusammen.

Den Referaten vorangestellt war eine Eröffnungsveranstaltung, in deren Rahmen Prof. Yoram Dinstein von der Juristischen Fakultät der Universität Tel Aviv im Hinblick auf das Genozid-Verbot und die humanitäre Intervention zu den kollektiven Rechten religiöser Gruppen Stellung bezog.

Im ersten Teil der Tagung, die sich der Religionsfreiheit aus universeller Perspektive widmete, referierten aus dem Institut Prof. Frowein zur EMRK und Dr. Giegerich zur Religionsfreiheit als Gleichheitsproblem. Prof. Raday von der Juristischen Fakultät der Hebräischen Universität Jerusalem entfaltete das Spannungsverhältnis zwischen säkularen und religiösen Bestandteilen der Rechtsordnung aus verfassungsrechtlicher Perspektive.

Der zweite Teil der Tagung war den Religionsgemeinschaften gewidmet. Dr. Barzilai, Politikwissenschaftler aus der Universität Tel Aviv, erläuterte das Phänomen der ultraorthodoxen Gemeinschaften in Israel, Prof. Ketscher von der Juristischen Fakultät der Universität Kopenhagen erläuterte die skandinavischen Volkskirchen und Dr. Marauhn vom Institut entfaltete aus vergleichender Perspektive Status, Rechte und Pflichten von Religionsgemeinschaften.

In den sich anschließenden rechtsvergleichenden Vorträgen von Prof. Shetreet (Hebräische Universität, Jerusalem), Prof. Last Stone (Yeshiva Universität), Prof. Freiherr von Campenhausen (Kirchenrechtliches Institut der EKD, Göttingen), Richter Cohn (vormals israelischer Oberster Gerichtshof), Prof. Galanter (Universität Wisconsin) und Dr. Sapir (Bar Ilan Universität) ging es um die religionsrechtliche Überformung oder Ausgestaltung des Personenstandsrechts in Israel und Indien, aber auch um die Berücksichtigung religiöser Normen im säkularen amerikanischen Familienrecht, des weiteren um die Beteiligung von Religionsgemeinschaften an der Besetzung von Gerichten oder staatlichen Ämtern wie auch um das entgegengesetzte Modell staatlicher Neutralität.

Die Diskussionen verliefen lebhaft und kontrovers. Insgesamt vermittelte die Tagung einen Einblick in die kulturelle Bedingtheit von Recht und machte deutlich, daß das Verhältnis zwischen säkularem Recht und religiösen Wertvorstellungen am Ende des 20. Jahrhunderts nach wie vor eine Fülle von Fragen aufwirft, die sich allein mit den historisch überkommenen Regelungsmodellen nicht lösen lassen.



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