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Tätigkeitsbericht für das Jahr 2000


IX. Aktivitäten im Wissenstransfer

E. Beratung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Vorbereitung einer Stellungnahme zum Problemkreis „Humane embryonale Stammzellen“

Bereits im Dezember 1998 war Prof. Wolfrum vom Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft gebeten worden, den Vorsitz einer Expertengruppe zu übernehmen, die eine Stellungnahme zum Problemkreis „Humane embryonale Stammzellen“ erstellen sollte. Die Expertengruppe, die 1999 den ersten Entwurf einer Stellungnahme ausarbeitete, setzt sich interdisziplinär aus Mitgliedern der Senatskommission für Grundsatzfragen der Genforschung sowie weiteren Experten aus den Fachgebieten Rechtswissenschaften, Philosophie, Medizin, Biologie und Chemie zusammen. Die Arbeit der Gruppe wurde im Jahr 2000 fortgesetzt, wobei es primär um eine Überarbeitung der bereits erstellten Stellungnahme vor dem Hintergrund der neuesten Entwicklungen in diesem Bereich ging.

Der wissenschaftliche Hintergrund für die Erarbeitung der erbetenen Stellungnahme waren Berichte zweier Arbeitsgruppen aus den USA und Israel im November 1998 über erstmals gelungene Versuche, menschliche pluripotente Stammzellen aus durch künstliche Befruchtung entstandenen, überzähligen Embryonen oder aus dem Gewebe abgetriebener Föten zu isolieren und zu kultivieren. Aus diesen Stammzellen lassen sich theoretisch alle rund 210 Zelltypen des menschlichen Körpers entwickeln. Von der Verwendung der embryonalen Stammzellen in der biomedizinischen Forschung versprechen sich Experten revolutionäre therapeutische Möglichkeiten, von der Behandlung von Krebs, Diabetes, der Alzheimerschen Krankheit bis zur Erzeugung von menschlichem Gewebe und Organen im Labor. Die Gewinnung und Verwendung von embryonalen Stammzellen, die das Absterben des frühen Embryos zur Folge hat, wirft umfangreiche Fragen juristischer und ethischer Art auf, die zusammen mit den biomedizinischen Entwicklungen im Rahmen der Stellungnahme erörtert werden sollen.

Inwieweit die Behandlung dieses Themenkomplexes auch im politischen und öffentlichen Interesse steht, zeigt die Tatsache, daß das Bundesministerium für Gesundheit in Zusammenarbeit mit dem Robert-Koch-Institut vom 24.- 26. Mai ein Symposium zum Thema „Fortpflanzungsmedizin in Deutschland“ veranstaltete, bei dem Prof. Wolfrum einen Vortrag über die Frage „Welche Möglichkeiten und Grenzen bestehen für die Gewinnung und Verwendung humaner embryonaler Stammzellen aus juristischer Sicht?“ hielt. Außerdem erbat das Bundesforschungsministerium im Sommer 2000 von Prof. Wolfrum ein Gutachten über die rechtliche Lage der Forschung an Embryonen und embryonalen Stammzellen in Frankreich. Dieses wurde unter Mitwirkung von Frau Seibert-Fohr, die im Frühjahr 2000 die Betreuung dieses Themengebiets am Institut von Frau Dr. Zeller übernommen hatte, ausgearbeitet.

Seit der Veröffentlichung der ersten Stellungnahme der DFG erbrachte die Stammzellforschung weltweit Ergebnisse, die zur Erweiterung und Modifikation der Kenntnisse über die Eigenschaften und Fähigkeiten von Stammzellen beitrugen. So wurde u.a. festgestellt, daß gewebespezifische Stammzellen das Potential aufweisen, sich auch in Zellen anderer Gewebe und Organsysteme zu entwickeln. Nicht nur frühe embryonale Zellen, sondern auch Kerne somatischer Zellen lassen sich in ein Stadium hoher Entwicklungsfähigkeit überführen, so daß die Forschung an und mit adulten Zellen ggf. als Alternative zur embryonalen Stammzellforschung in Betracht kommt.

Hinzu kamen neuere Tendenzen in der rechtlichen Behandlung der Stammzellforschung u.a. in Großbritannien, den USA und Frankreich. Während derzeit noch die Forschung an bis zu 14 Tage alten menschlichen Embryonen in Großbritannien stark eingeschränkt ist, plant die britische Regierung eine Rechtsverordnung (affirmative regulation), um die Forschung an Stammzellen aus überzähligen Embryonen der Invitrofertilisation und an Embryonen, die durch einen Zellkerntransfer in eine Eizelle entstehen, zuzulassen. In den USA, wo die Stammzellforschung aus privaten Mitteln erlaubt ist, jedoch keine Bundesmittel für Forschungen verwendet werden dürfen, die menschlichen Embryonen schaden, gibt es Bestrebungen, durch eine Änderung des Public Health Service Act auch staatliche Mittel für die embryonale Stammzellforschung zur Verfügung zu stellen. Seit Sommer 2000 können US-Bundesmittel verwendet werden, um Forschung an bereits etablierten embryonalen Stammzellen, die eingefrorenen Embryonen entstammen, zu betreiben.

In Frankreich wird auf eine entsprechende Empfehlung des Conseil d'Etat erwogen, die bisher verbotene Forschung mit nachteiligen Folgen für menschliche Embryonen bzw. die Forschung an embryonalen Stammzellen unter engen Bedingungen zu medizinischen Zwecken zuzulassen. Ein entsprechender Entwurf zur Änderung der Bioethikgesetze von 1994 liegt der französischen Nationalversammlung vor.

Bereits in der ersten DFG-Stellungnahme zum Problemkreis „Humane embryonale Stammzellen“ war die Entwicklung einheitlicher europäischer Standards als wünschenswertes Ziel genannt worden. Diese neueren Entwicklungen machten eine Überarbeitung der Expertenstellungnahme erforderlich. Neue Erkenntnisse über die Gewinnungsmöglichkeiten von embryonalen Stammzellen, deren Nutzungspotential und der Verwendbarkeit von Alternativen, wie z.B. von adulten Stammzellen, wurden daher in einer biomedizinischen Diskussionsvorlage dargestellt. Prof. Wolfrum erstellte auf dieser Grundlage ein Gutachten, bei dem die rechtliche Beurteilung der wissenschaftlichen Arbeit an und mit Stammzellen in Deutschland im Vordergrund steht. Das Gutachten kommt zu dem Schluß, daß nach dem Embryonenschutzgesetz die Entnahme von pluripotenten Zellen aus einem Embryo verboten ist. Unzulässig ist auch die Erzeugung von pluripotenten Stammzellen durch die Methode des Zellkerntransfers in entkernte Eizellen, da mit Hilfe derselben Technik Menschen geklont werden können. Erlaubt ist hingegen die Gewinnung von pluripotenten Stammzellen aus dem Gewebe von frühzeitig abgestoßenen toten sowie aus abgetriebenen Feten. Die Einfuhr humaner pluripotenter Stammzellen aus dem Ausland nach Deutschland ist zu wissenschaftlichen Zwecken dann erlaubt, wenn die an der Einfuhr beteiligten Deutschen oder Personen, die zum Zeitpunkt der Tat ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, nicht die Erzeugung solcher Stammzellen aus Embryonen initiieren, fördern oder anders unterstützend beeinflussen.

Von Frau Seibert-Fohr wurden darüber hinaus auch die Rechtslage und die neueren rechtlichen Entwicklungen in den USA, Frankreich und England im Bezug auf die Forschung mit embryonalen Stammzellen dargestellt.

Hinzu kamen Gutachten der Mitglieder der Expertengruppe über die rechtliche Beurteilung der Forschung an adulten gewebsspezifischen Stammzellen in Deutschland, über die ethischen Implikationen der embryonalen Stammzellforschung. Die naturwissenschaftlichen, juristischen und ethischen Gutachten waren Gegenstand umfangreicher Diskussionen in der Expertengruppe und sollen Grundlage für die in Kürze zu erstellende abschließende Stellungnahme der DFG zum Problemkreis „Humane embryonale Stammzellen“ sein.



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