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Tätigkeitsbericht für das Jahr 2001


IX. Aktivitäten im Wissenstransfer

E. Die Gewährleistung der freien Forschung an und mit Genen und das Interesse der wirtschaftlichen Nutzung ihrer Ergebnisse. Gutachten für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Im Juni ist Prof. Wolfrum mit einem Gutachten unter dem oben genannten Titel für die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen beauftragt worden, an dem aus dem Institut auch Prof. Stoll und Ass. Raible mitgewirkt haben. Gegenstand des Gutachtens war ein Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen, BT-Drs. 14/5642 vom 23. März 2001, und die damit verbundenen außerordentlich kontrovers diskutieren Fragen der Gewährleistung der Forschungsfreiheit und der Innovationstätigkeit gerade kleinerer und mittelständischer Unternehmen.

Die Begutachtung hat damit aus dem größeren Problemzusammenhang der Patentierung biotechnologischer Erfindungen, die sich vorrangig auch mit ethischen Fragen befaßt, einen oft übersehenen wirtschaftrechtlichen und forschungspolitischen Teilbereich herausgegriffen. Dabei geht es darum, wie in diesem Bereich der Patenschutz gestaltet werden muß, um dem Anliegen, Innovationen zu fördern, gerecht zu werden. Insoweit stellt sich nach den Ausführungen der Begutachtung wesentlich das Problem, daß die Anreizwirkung, die in der Erwartung eines späteren Patenschutzes und seines möglichen Umfangs ausgeht, in ein Verhältnis zu den damit beschränkten Möglichkeiten Dritter gesehen werden muß, darauf aufbauend weitere Forschung und Entwicklung zu betreiben und gegebenenfalls selbst bei positivem Abschluß den Schutz des Patentrechts in Anspruch nehmen zu können.

Dieses Verhältnis zwischen einer ersten Erfindung und ihrem Schutz und den rechtlichen Spielräumen Dritter für eine damit in Bezug stehende Forschung und Entwicklung und ihre Aussichten auf einen späteren eigenen Patentschutz wird zunächst aus einer verfassungsrechtlichen Perspektive untersucht. Dabei sind die Forschungsfreiheit nach Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes und die Wirtschaftsgrundrechte, insbesondere Artikel 14 und Artikel 12 des Grundgesetzes wesentliche Ausgangspunkte. Wesentliche Ergebnisse dieses Abschnittes liegen in der Erkenntnis, daß die Forschungsfreiheit nach Artikel 5 Abs. 3 inzwischen sehr weit geht und insbesondere auch die Forschungstätigkeit in einem gewerblichen Rahmen einbezieht. Dabei werden die jüngeren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Forschungsfreiheit und des Patentschutzes umfassend gewürdigt. Daneben wird der im Verfassungsrecht bisher weniger deutlich angesprochene Aspekt der Rechte Dritter auf freie wettbewerbliche Betätigung gegenüber einem bestehenden Schutzrecht angesprochen. Es wird darüber hinaus hervorgehoben, daß aus verfassungsrechtlicher Sicht der Schutz geistigen Eigentums einerseits und die verfassungsrechtlich geschützten Rechte Dritte an Forschung, Entwicklung und Verwertung andererseits nicht allein für die besonderen Ausnahmetatbestände des Patenrechts, insbesondere das sogenannte "Forschungsprivileg" eine Rolle spielen, sondern auch Bedeutung für die Frage haben, was als Ausdruck der Voraussetzungen eines Patents überhaupt patentiert werden darf und wie der Umfang des erteilten Patenrechts abzugrenzen ist.

An diese verfassungsrechtlichen Betrachtungen schließt sich eine Darstellung der Forschung, Entwicklung und Innovation im Bereich der Biotechnologie an, in der besonders zum Ausdruck kommt, daß in diesem Bereich eine enge Vernetzung der unterschiedlichen Akteure, Universitäten, Forschungsinstitute und Industrie festzustellen ist, wobei die einzelnen Forschungsvorhaben, Entwicklungsansätze und Ergebnisse oft in einem engen Bezug zueinander stehen. Darauf aufbauend wird kurz die Patentierungs- und Lizenzpraxis in diesem Bereich aus vergleichender Sicht dargestellt. Die Betrachtung kommt zu dem Ergebnis, daß sowohl die Höhe der Anforderungen für die Patentierung und die daraus resultierende große Anzahl an Patenten als auch der Umfang dieser einzelnen erteilten Patentrechte Anlaß zur Besorgnis gibt. So sind einerseits in der Vergangenheit Gene und Gensequenzen oft mit nur kursorischen und hypothetischen Angaben zur gewerblichen Anwendbarkeit patentiert worden. Andererseits sind in diesem Bereich regelmäßig sogenannte Stoffpatente erteilt worden, bei denen nicht das Verfahren der Herstellung oder Verwendung, sondern die Substanz, und im Fall von Genen und Gensequenzen diese selbst geschützt werden. Als Folge davon erhält damit der Inhaber des Patenrechts das Recht, Dritte von jeglicher Herstellung und Verwendung der Gensequenzen auszuschließen, ohne daß es auf den beabsichtigten Zweck ankäme. Dieses ist insbesondere deswegen von großer und bedenklicher Bedeutung, weil die mannigfaltigen Wirkungen von Genen und Gensequenzen nur in Ansätzen erforscht sind. Außerdem werden sie vielfältig und unter unterschiedlichen Gesichtspunkten und Fragestellungen als "Werkzeuge der Forschung" (research tools) benötigt.

Wie eine anschließende Betrachtung des geltenden Patentrechts ergibt, sind diese Interessen und Belange zur Zeit kaum aureichend berücksichtigt. Das oft und allerdings etwas irreführend so genannte "Forschungsprivileg" in § 11 Nr. 2 des Patentgesetzes stellt gerade solche Versuche nicht frei, bei denen ein geschütztes Gen oder eine entsprechende Sequenz zu anderen und weiterführenden Erkenntniszwecken eingesetzt werden soll. Der Patentschutz in der Form des absoluten Stoffschutzes führt dazu, dass jede weitere Erfindung, die mit dem geschützten Gen bzw. der Sequenz in Zusammenhang steht, zwar patentiert, aber nur mit Zustimmung des Inhabers des ersten Patents genutzt werden darf. Neben dem dafür regelmäßig zu leistenden Entgelt wird damit die Nutzung weiterer Erfindungen und Patente durch den oft langwierigen Aushandlungsprozeß verzögert.

Auf der Grundlage dieser Erörterungen wird die EG-Richtlinie über den Schutz biotechnologischer Erfindungen und der Entwurf des deutschen Umsetzungsgesetzes im einzelnen analysiert. Dabei ist hervorzuheben, daß beide die Vorausetzungen für die Patenterteilung klarer fassen und damit dazu beitragen können, zu verhindern, daß aufgrund überwiegend spekulativer Angaben weitreichende Patenrechte erlangt werden können, die die Forschung und Entwicklung Dritter ungerechtfertigt beschränken.

Nur in unklaren Andeutungen sprechen Richtlinie und Umsetzungsgesetz allerdings das davon zu unterscheidende zweite Problem des Umfangs der einmal erteilten Patentrechte ein. Der absolute Stoffschutz, der sich auf die Gene und Gensequenzen an sich bezieht, und in der Untersuchung nach näherer Prüfung der Patentpraxis und Lizenzpraxis als außerordentlich bedenklich angesehen wird, wird weder von Richtlinie noch Umsetzungsgesetz überhaupt eindeutig angesprochen, geschweige denn wirksam eingegrenzt.

Zustimmend werden anschließend die vielfältigen Stimmen in der patentrechtlichen Literatur und Praxis diskutiert, die auf verschiedene Weise eine Eingrenzung des bis jetzt absoluten Stoffschutzes auf Gene und Sequenzen für möglich, aber auch für notwendig halten.