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Tätigkeitsbericht für das Jahr 2001


IX. Aktivitäten im Wissenstransfer

G. Gutachterliche Stellungnahme für das Bundesforschungsministerium zu Rechtsfragen betreffend die Ausweisung von Schutzgebieten in der deutschen AWZ

Im Zusammenhang mit der geplanten Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes hat Prof. Wolfrum eine gutachterliche Stellungnahme für das Bundesforschungsministerium zu den völker- und staatsrechtlichen Aspekten einer Ausweisung von Schutzgebieten in der deutschen AWZ abgegeben. Darin legt er zunächst dar, daß eine solche Ausweisung von Meeresschutzgebieten jenseits des Küstenmeeres unter naturschutzfachlichen Gesichtspunkten durchaus sinnvoll ist. Entscheidend ist insoweit, daß bei rein ökologischer Betrachtungsweise auch im marinen Bereich, einschließlich der Gebiete außerhalb der nationalen Souveränität, ein nicht anthropozentrisches, ökosystemar ausgerichtetes Schutzkonzept, wie es der Idee der Schutzgebietsausweisungen zugrunde liegt, zum Zwecke der Erhaltung der Biodiversität und der Sicherung von Funktionsabläufen im Naturhaushalt geboten erscheint. Die juristisch relevante Unterscheidung von Küstenmeer und AWZ spielt dabei zunächst keine Rolle.

Eine Analyse der einschlägigen Bestimmungen des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (SRÜ) zeigt indes, daß eine unilaterale Ausweisung von Schutzgebieten jenseits des Küstenmeeres seevölkerrechtlich nicht unproblematisch ist. Zwar weist Art. 56 Abs. 1 lit. b) (iii) SRÜ den Küstenstaaten pauschal die Befugnis zum Schutz und zur Bewahrung der Meeresumwelt in der AWZ zu. Doch ist die Vorschrift im Zusammenhang mit den Regelungen von Teil XII des Seerechtsübereinkommens zu lesen, durch welche die küstenstaatlichen Kompetenzen über den Meeresumweltschutz konkretisiert werden. Teil XII SRÜ geht nun aber von einem quellenbezogenen Ansatz aus, so daß Gegenstand küstenstaatlicher Rechtssetzungsakte in der AWZ grundsätzlich nur die einzelnen Verschmutzungsquellen, nicht dagegen der Schutz der marinen Umwelt als solcher sein kann; einen allgemeinen Naturschutz des Meeresraumes im Sinne eines Schutzes des bestehenden Zustandes oder einer Meereslandschaft kennt das Seerechtsübereinkommen nicht. Art. 211 Abs. 6 lit. a) SRÜ, der den Schutz besonders empfindlicher Meeresgebiete gegenüber der Seeschiffahrt zum Gegenstand hat, erlaubt zwar eine Ausweisung von Sondergebieten, knüpft diese aber in verfahrensrechtlicher Hinsicht an eine Abstimmung mit der International Maritime Organization (IMO).

Explizit aufgegriffen wird der ökosystemare Ansatz, wie er dem Schutzgebietskonzept zugrundeliegt, allerdings in Art. 194 Abs. 5 SRÜ. Doch dürfte sich auch aus dieser Bestimmung letztlich keine umfassende Kompetenzgrundlage der Küstenstaaten zur Ergreifung naturschutzrechtlicher Maßnahmen, inklusive der Ausweisung von Schutzgebieten in der AWZ, herleiten lassen. Dies belegen sowohl der Wortlaut als auch die systematische Stellung der Vorschrift. Damit lässt sich eine Befugnis der Küstenstaaten zur Ausweisung von Meeresschutzgebieten in der AWZ außerhalb des Anwendungsbereiches von Art. 211 Abs. 6 lit. a) SRÜ im Ergebnis allenfalls im Wege einer Gesamtschau der Umweltschutzbestimmungen von Teil XII des Seerechtsübereinkommens bejahen. Aus dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity - CBD) ergibt sich insoweit nichts anderes, wie sowohl Art. 4 lit. a) CBD als auch die Konfliktregelung des Art. 22 Abs. 2 CBD belegen. Gleiches gilt für das Übereinkommen über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebietes (Helsinki-Konvention), das als Regionalabkommen die wesentlichen Grundsätze des Seerechtsübereinkommens unberührt läßt (vgl. Art. 197, 237 und 311 SRÜ).

Damit ist auch klargestellt, daß die Bundesrepublik zur Ausweisung von Meeresschutzgebieten außerhalb des Küstenmeeres auch europarechtlich keinesfalls verpflichtet sein kann. Denn zwar ergibt sich sowohl aus der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) als auch aus der Vogelschutzrichtlinie (Vogelschutz-RL) der Europäischen Gemeinschaft (EG) eine grundsätzliche Rechtspflicht der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zur Ausweisung von Schutzgebieten. Angesichts der Tatsache aber, daß die EG ihrerseits Vertragspartei des Seerechtsübereinkommens ist, ihre Rechtsakte mithin SRÜ-konform auszulegen sind, können die FFH-Richtlinie und die Vogelschutzrichtlinie jenseits der Küstenmeere der Mitgliedstaaten von vornherein nicht anwendbar sein.

Nimmt man gleichwohl an, daß die Ausweisung von Meeresschutzgebieten in der AWZ völkerrechtlich zulässig und europarechtlich möglicherweise sogar geboten ist, so stellt sich die Frage, inwieweit die Belange der wissenschaftlichen Meeresforschung zu berücksichtigen sind. Dabei ist zu bedenken, daß das Seerechtsübereinkommen durch eine ausgesprochene Forschungsfreundlichkeit gekennzeichnet ist. So erkennt Art. 238 SRÜ zunächst das grundsätzliche Recht aller Staaten zur wissenschaftlichen Meeresforschung an; Art. 239 SRÜ verpflichtet die Vertragsparteien, die Entwicklung und Durchführung der wissenschaftlichen Meeresforschung zu fördern und zu erleichtern; und schließlich sollen die Staaten nach Art. 243 SRÜ zusammenarbeiten, um günstige Bedingungen für die Durchführung der wissenschaftlichen Meeresforschung zu schaffen. Speziell für die AWZ gilt insoweit zwar zunächst, dass Meeresforschung nur mit Zustimmung des Küstenstaates unternommen werden kann (Art. 246 Abs. 2 SRÜ); doch ist diese Zustimmung nach Art. 246 Abs. 3 SRÜ im Regelfall zu erteilen. Lediglich unter den Bedingungen von Art. 246 Abs. 5 SRÜ kann die Zustimmung zur Durchführung eines Vorhabens der wissenschaftlichen Meeresforschung versagt werden. Der Bestimmung des Art. 246 SRÜ liegt dabei die Unterscheidung zwischen Grundlagenforschung und anwendungsbezogener Forschung zugrunde. Hieraus ergibt sich insgesamt, dass eine Ausweisung von Meeresschutzgebieten in der AWZ eine Beschränkung der wissenschaftlichen Meeresforschung jedenfalls dann nicht zu rechtfertigen vermag, wenn es sich um Grundlagenforschung i.S.v. Art. 246 Abs. 3 SRÜ handelt.

Unter staatsrechtlichen Gesichtspunkten interssant ist schließlich die Frage der innerstaatlichen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern bezüglich einer etwaigen Ausweisung von Meeresschutzgebieten in der AWZ. Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes läßt sich dabei aus der Rahmenkompetenz des Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 GG betreffend den Naturschutz herleiten. Schwieriger gestaltet sich die Rechtslage im Bereich der Verwaltungskompetenzen. Sachgerecht und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden dürfte es sein, dem auf der Grundlage von Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG errichteten Bundesamt für Naturschutz (BfN) die Wahrnehmung der naturschutzrechtlichen Vollzugszuständigkeiten in der AWZ zu übertragen. Da es allerdings keinen Bundesvollzug von Landesgesetzen gibt, kann das BfN nur insoweit tätig werden, als es um den Vollzug des gesetzlichen Rahmens und gegebenenfalls etwaiger nach Art. 75 Abs. 2 GG ergangener in Einzelheiten gehender oder unmittelbar geltender Regelungen geht; im Übrigen muß es bei einem Vollzug der zur Ausfüllung des bundesgestzlichen Rahmens erlassenen landesrechtlichen Vorschriften durch die Landesbehörden bleiben.