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Tätigkeitsbericht für das Jahr 2003


II. Abgeschlossene Forschungsvorhaben

A. Allgemeines Völkerrecht

2. Der völkerrechtliche Status des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens nach den Osloer Verträgen (Dissertation)

Die Arbeit von Stephan Sina untersucht den völkerrechtlichen Status des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens, wie er sich vom Beginn des Friedensprozesses an bis zum Ende des Jahres 2001 entwickelt hat. Die Entwicklung im Jahre 2002 wird in einem Nachwort berücksichtigt.

Der völkerrechtliche Status des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens wird maßgeblich von den umfangreichen und detaillierten Übergangsregelungen der Osloer Verträge, die verbindliche völkerrechtliche Abkommen darstellen, geprägt. Kern der Übergangsregelungen ist die Einrichtung einer gewählten Vorläufigen Palästinensischen Selbstregierungsbehörde im Westjordanland und im Gaza-Streifen mit gesetzgebenden, ausführenden und rechtsprechenden Befugnissen. Der Zuständigkeitsbereich der Selbstregierungsbehörde umfaßt in territorialer Hinsicht grundsätzlich Gebiete, die von den israelischen Streitkräften zur Autonomieausübung geräumt worden sind, in funktionaler Hinsicht alle der Selbstregierungsbehörde übertragenen Befugnisse und Verantwortlichkeiten und in personaler Hinsicht grundsätzlich alle Nichtisraelis. Im übrigen übt die israelische Militärregierung weiterhin direkte Herrschaftsgewalt in den Palästinensischen Gebieten aus. Die Zusammenarbeit zwischen beiden Seiten erfolgt durch ein umfangreiches System gemeinsamer Ausschüsse.

Ihrer Rechtsnatur nach stellt die palästinensische Selbstregierung eine weitreichende politische Autonomie dar, die stärker gebiets- als personenbezogen ist und die der Bevölkerung eines nichtstaatlichen Gebiets gegenüber einer Besatzungsmacht gewährt wird. Diese palästinensische Autonomie wird durch die Osloer Verträge und das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes, das durch die Selbstregierung partiell verwirklicht wird, völkerrechtlich abgesichert. Im lokalen Recht der Palästinensischen Gebiete gelten die Osloer Verträge, soweit sie durch israelische Militärproklamationen umgesetzt worden sind. Die Befugnisse und Verantwortlichkeiten der Selbstregierungsbehörde beruhen aber nicht auf einer Autonomiegewährung durch die israelische Militärregierung im Rahmen israelischer Besatzungsherrschaft, da sich diese Herrschaft nicht mehr auf die der Selbstregierungsbehörde übertragenen Regierungsfunktionen erstreckt.

Die Selbstregierungsbehörde ist ein beschränktes Völkerrechtssubjekt. Nach den Osloer Verträgen, die insoweit in der Praxis weitgehend befolgt werden, kann sie lediglich Rechte aus bestimmten Arten völkerrechtlicher Abkommen erwerben, die die PLO zu ihren Gunsten abschließt. Im Rahmen ihres Zuständigkeitsbereichs ist sie aber wie ein Staat zur Gewährung des völkergewohnheitsrechtlichen Mindeststandards gegenüber Ausländern einerseits und Palästinensern unter dem Aspekt der Menschenrechte andererseits verpflichtet. Ferner nimmt die Selbstregierungsbehörde im Zusammenwirken mit der PLO das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes organschaftlich wahr.

Das palästinensische Selbstregierungsregime stellt noch keinen Staat dar, da es die völkerrechtlichen Staatskriterien noch nicht vollständig erfüllt und die bestehenden Defizite an effektiver Regierungsgewalt nicht durch das Recht auf einen eigenen Staat kompensiert werden. In einem weiten Sinne kann es aber als Staat in statu nascendi bezeichnet werden.

Die Entwicklung im Jahre 2002 hat zu einer dramatischen Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Israel und den Palästinensern geführt. Diese neue Stufe der Konfrontation im Rahmen der "Al-Aqsa-Intifada" wird im wesentlichen durch den vollständigen Abbruch der israelischen Beziehungen zu Arafat und die längerfristige Wiederübernahme der vollständigen Besetzungsgewalt im territorialen Zuständigkeitsbereich der Selbstregierungsbehörde, mit Ausnahme des Gaza-Streifens und des Gebietes um Jericho, geprägt. Durch diese israelischen Reaktionen auf die starke Zunahme palästinensischer Terrorakte ist die Selbstregierung nahezu auf den Stand vor dem Interimsabkommen zurückgefallen.

Im Zuge der verstärkten Vermittlungsbemühungen der internationalen Staatengemeinschaft hat das sog. Nahost-Quartett einen Drei-Stufen-Plan entwickelt, der in Abweichung von der Prinzipienerklärung die Errichtung eines palästinensischen Staates bereits vor dem Abschluß der Endstatus-Verhandlungen vorsieht. Die grundsätzliche israelische Zustimmung zu diesem Plan bedeutet eine erhebliche Stärkung des völkerrechtlichen Anspruchs des palästinensischen Volkes auf einen eigenen Staat.