Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Logo Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

Sie befinden sich hier: Publikationen Archiv 2003

Tätigkeitsbericht für das Jahr 2003


II. Abgeschlossene Forschungsvorhaben

A. Allgemeines Völkerrecht

3. Terrorism as a Challenge for National and International Law

Vor dem Hintergrund der Anschläge des 11. September 2001 auf New York und Washington und der Reaktion der USA und Großbritanniens mit dem Einsatz von Waffengewalt, sollten auf dem Symposium "Terrorism as a Challenge for National and International Law" am 23. und 24. Januar 2003 die neueren Entwicklungen im nationalen und internationalen Recht der Bekämpfung des (internationalen) Terrorismus analysiert werden. Am Symposium nahmen ca. 110 Personen teil, darunter nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Praktiker aus Bundesministerien und vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in Genf. In Vorbereitung der Tagung wurden Landesberichte erstellt, in denen die Rechtsentwicklung vor und nach dem 11. September 2001 in ausgewählten Ländern und Rechtsordnungen analysiert wurde, um einerseits besondere Problemfelder der nationalen Terrorismusbekämpfung sichtbar zu machen und andererseits mögliche strukturelle Veränderungen in der Gesetzgebung nach dem 11. September 2001 aufzuzeigen. Diese Landesberichte gingen in Querschnittsreferate ein, die auf der Konferenz vorgetragen wurden.

Mit den Vorträgen verfolgte das Institut zum einen das Ziel, jüngeren Wissenschaftlern ein Forum für die Präsentation ihrer Forschungsergebnisse zu schaffen, und zum anderen diente die Einbeziehung von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die nicht am hiesigen Institut tätig sind, einer größeren Breitenwirkung und dem unmittelbaren wissenschaftlichen Austausch. Zum Einstieg in die Diskussion und zur Prüfung der in den Referaten aufgestellten Thesen waren renommierte Wissenschaftler aus dem In- und Ausland (A. Aust, London; Y. Dinstein, Newport, Rhode Island, USA; J. A. Frowein, Heidelberg; C. Greenwood, London; C. Tomuschat, Berlin und R. Wolfrum, Heidelberg) gebeten worden, jeweils eines der Referate zu kommentieren.

Das gesamte für die Konferenz erarbeitete Material steht bis zur Veröffentlichung des Tagungsbandes online im Internet zur Verfügung (http://edoc.mpil.de/conference-on-terrorism/index). Das Institut erhofft sich von dieser Form der Publikation eine besonders zeitnahe und intensive Rezeption der Beiträge. Eine erste Auswertung der Zugriffsdaten auf diese Seite bestätigt diese Erwartung.

Inhalt und Ergebnisse der Tagung lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. Sowohl im nationalen wie im internationalen Recht ist eine Tendenz zur Ausweitung des Terrorismusbegriffes festzustellen. Neuere Definitionen verlangen nicht mehr notwendig Gewalt gegen Personen, um von Terrorismus zu sprechen, sondern schließen Gewalt gegen öffentliches und teilweise sogar privates Eigentum und Infrastruktureinrichtungen ein. Einigkeit bestand in der Diskussion darüber, daß es höchst bedauerlich ist, daß auch die westlichen Staaten sich dafür ausgesprochen haben, Maßnahmen von offiziellen Streitkräften in Bürgerkriegssituationen grundsätzlich vom Anwendungsbereich internationaler Anti-Terrorismuskonventionen auszunehmen.

2. Aus den Landesberichten und den auf internationaler Ebene getroffenen Maßnahmen ergibt sich, daß diese seit dem 11. September 2001 sich verstärkt den Fragen der finanziellen Ressourcen von terroristischen Vereinigungen zuwenden. Die finanzielle Unterstützung wird als Beihilfe zum Terrorismus gewertet und es findet eine verstärkte internationale Zusammenarbeit bei der Überwachung der Finanzströme statt. Als rechtsstaatlich bedenklich wurde die Entwicklung in verschiedenen Staaten zu einer besonderen Anti-Terror-Gerichtsbarkeit eingeschätzt.

3. Unter dem Gesichtspunkt wichtiger Grundrechte (Recht auf Privatleben, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit) wurden eine Reihe von Einzelmaßnahmen kritisiert, die in die nationale Gesetzgebung nach dem 11. September 2001 aufgenommen wurden. Dazu gehören etwa Abhöranordnungen nach dem Foreign Intelligence Surveillance Act in den USA und die Möglichkeiten zur Weiterleitung von Daten nach dem "Anti-Terrorism Crime and Security Act" im Vereinigten Königreich.

4. Der völkerrechtliche Teil der Tagung bewegte sich zwischen zwei Polen. Auf der einen Seite gibt es den Normbestand eines internationalen Sicherheitsrechts klassischer Prägung, dessen Gegenstand die zwischenstaatliche Gewaltanwendung ist. Auf der anderen Seite lassen sich Elemente eines internationalen "Polizeirechts" ausmachen, dessen Gegenstand die - notfalls unter Einsatz von Waffengewalt stattfindende - Verfolgung von schweren Straftaten ist. Neben der Repression umfaßt dieses vor allem auch präventive Maßnahmen, mit denen vermieden werden soll, daß der Einsatz bewaffneter Gewalt überhaupt erforderlich wird. Die zur Terrorismusbekämpfung angenommenen internationalen Konventionen sind Ausdruck eines Wertekonsenses, dessen Anfänge schon vor dem 11. September 2001 liegen, der sich aber seither deutlicher herausbildet. Der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung kann in der Anti-Terrorismus-"Gesetzgebung" durch die verbindliche Resolution 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen gesehen werden, in der der Sicherheitsrat zum ersten Mal seine Befugnisse nach Kapitel VII der Satzung der Vereinten Nationen einsetzte, um den "normalen" Weg der Normschaffung durch einen internationalen Vertrag - der die Zustimmung der beteiligten Staaten für den Eintritt der rechtlichen Bindungswirkung voraussetzt - durch einen Organakt zu ersetzen. Die mit solchen Maßnahmen verbundenen Wirkungen in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten schaffen erhebliche Rechtsschutzprobleme, weil bislang im Rahmen der Vereinten Nationen ein Individualrechtsschutz nur unzureichend gewährleistet ist, die Gerichte der Mitgliedstaaten in solchen Fällen aber in ihren Rechtsschutzmöglichkeiten beschränkt sind.

5. Mit Blick auf den Krieg in Afghanistan wurden Inhalt und Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts nach Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen einer kritischen Analyse unterzogen. Als Ergebnis läßt sich ein erheblicher Wandel feststellen, der vor allem dadurch bedingt ist, daß die bisherige Grundannahme, Selbstverteidigung finde nur gegen die unmittelbar durch einen anderen Staat autorisierten Angriffe statt, revidiert werden muß. Die damit verbundenen Folgewirkungen für das Völkerrecht wurden auf der Veranstaltung intensiv und auch kontrovers diskutiert. Das Spektrum reichte von der These, das bestehende zwischenstaatliche Recht reiche völlig zur Bewältigung aus (Dinstein), bis zur Forderung nach grundsätzlicher Neukonzeption des internationalen Sicherheitssystems (Reisman).

6. Erörtert wurde schließlich auch die Frage der Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts in militärischen Auseinandersetzungen, die in der Folge terroristischer Anschläge stattfinden. Durch die Anwendung des Kriegsvölkerrechts werden Terroristen nicht privilegiert, weil sie keinen Kombattantenstatus haben und aus diesem Grund keine rechtmäßigen militärischen Angriffe führen können. Umgekehrt können sie Ziel militärischer Angriffe sein, weil die Bestimmungen zum Schutz der Zivilbevölkerung nicht in vollem Umfang auf sie anwendbar sind. Uneinigkeit bestand über die Frage, ob neben dem Kriegsvölkerrecht eine Anwendung der internationalen Konventionen zur Terrorismusbekämpfung möglich ist oder sein sollte.

Mit der Veröffentlichung des Tagungsbandes in Buchform, die für die Jahreswende 2003/2004 bevorsteht, wird das Projekt abgeschlossen sein. Der Band wird auf ca. 800-900 Seiten, neben einem Überblick über die sozialwissenschaftliche Diskussion über Terrorismus, die nationale Rechtsentwicklung in einer Reihe von Ländern (Kanada, Deutschland, die Europäische Union, Frankreich, Großbritannien, Israel, Italien, Islamische Konventionen zur Terrorismusbekämpfung, Japan, Rußland, Spanien, Türkei und USA) dokumentieren und analysieren. Außerdem werden die völkerrechtlichen Mechanismen der Bekämpfung des internationalen Terrorismus dargestellt und kritisch bewertet. Das Institut hofft damit ein nützliches Handbuch für die weiteren rechtlichen Diskussionen um die Bekämpfung des internationalen Terrorismus vorzulegen. Der praktische Nutzen des Bandes soll dadurch erhöht werden, daß er in einem Anhang die wichtigsten rechtlichen Dokumente zur Terrorismusbekämpfung enthält.

Das Institut ist der Deutschen Stiftung Friedensforschung dankbar dafür, daß sie dieses umfassende Forschungsprojekt maßgeblich mitfinanziert hat.