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Tätigkeitsbericht für das Jahr 2003


X. Aktivitäten im Wissenstransfer

G. "Conflict Resolution with and without a State"; MPG 2005+

Das Kooperationsprojekt "Conflict Resolution with and without a State" mit den Max-Planck-Instituten für Ethnologie (Halle), Rechtsgeschichte (Frankfurt) und Internationales Strafrecht (Freiburg) begann im Rahmen des Programmes MPG 2005+ nach einer Vorbereitungsphase mit einem ersten Treffen einzelner Direktoren und Referenten der Max-Planck-Institute im Oktober 2003 in Halle. Ziel des Kooperationsprojektes ist es, interdisziplinär Reaktionsformen auf abweichendes Verhalten bei dem Fehlen zentraler Durchsetzungsinstanzen zu untersuchen und zu vergleichen. Die 2003 begonnene Diskussion soll 2004 in erweitertem Rahmen fortgesetzt werden. Das Projekt wird von Dr. Silja Vöneky betreut.

Wegen der fehlenden zentralen Zwangsgewalt und der daraus folgenden Notwendigkeit der Durchsetzung des Völkerrechts durch die Mitglieder der Völkerrechtsgemeinschaft selbst, ähneln die Reaktionsmechanismen des Völkerrechts - zumindest in Teilen - den Reaktionsmechanismen traditioneller Gemeinschaften, die ebenfalls über keine zentrale Zwangsgewalt verfügen, und Reaktionsformen, die in der Rechtsgeschichte dokumentiert sind. Es gibt allerdings auch im Völkerrecht den Versuch einer Monopolisierung von Gewalt und einer Zentralisierung der Rechtsordnung, der gerade in letzter Zeit vermehrt unter dem Begriff der "Konstitutionalisierung" des Völkerrechts diskutiert wird.

Für die Durchsetzung des Völkerrechts stehen verschiedene Formen der (dezentralen) Durchsetzung zur Verfügung. Zu unterscheiden sind dabei Formen der konfrontativen Durchsetzung völkerrechtlicher Pflichten - z.B. durch Sanktionen oder durch die Anwendung von Gewalt als Ausnahme vom Gewaltverbot - von nichtkonfrontativen Verfahren der Streitbeilegung, zu denen vor allem die sog. diplomatische Verfahren (Verhandlung, Vermittlung, Untersuchung, Vergleich) gehören, und die Streitbeilegung durch Gerichte.

Festzustellen ist dabei, daß es im Völkerrecht grundsätzlich keinen numerus clausus der Streitbeilegungsmittel gibt. Es ist auch die Modifikation (insbesondere durch Verfahren innerhalb von Internationalen Organisationen) oder Kombination von Mitteln möglich, ebenso wie - grundsätzlich - die freie Wahl zwischen den Mitteln. Das macht die Mittel und Möglichkeiten der Streitbeilegung im Völkerrecht vielfältig und flexibel.

Zu beachten ist außerdem, daß die Staaten der grundsätzlichen Pflicht zur friedlichen Streitbeilegung unterliegen. Gegenmaßnahmen, die der betroffene Staat ergreift, sind grundsätzlich nur zulässig, solange sie nicht die Schwelle des Gewaltverbotes überschreiten. Ob solch ein Gewaltverbot für (Rechts-)Ordnungen ohne zentrale Durchsetzungsgewalt aus ethnologischer und rechtsgeschichtlicher Sicht eher die Ausnahme oder die Regel ist, muß weiter untersucht werden.

Schließlich ist auf die "Machtsensibilität" der einzelnen Streitbeilegungsmittel hinzuweisen und auf ihre grundsätzliche Staatenzentriertheit. Letzteres ist insbesondere ein Problem in asymmetrischen Konflikten, wie beispielsweise bei Konflikten mit Terroristen, oder in Fällen der sog. "failed states".

Auch sind im Völkerrecht die Probleme der überschneidenden und parallelen Kompetenzen und Rechtskreise nicht gelöst, wie auch nicht die Probleme bei der Durchsetzung von Gemeinschaftsinteressen, d.h. den Pflichten erga omnes und dem ius cogens. Ähnliche Überschneidungsprobleme paralleler Rechtskreise finden sich auch in Rechtsordnungen seit dem 12. Jahrhundert, bei der Konkurrenz zwischen weltlichen und religiösen Reaktions- und Kompensationssystemen.