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Tätigkeitsbericht für das Jahr 2003


XI. Symposien und Tagungen

E. Doktorandentagung: "Die (un-)einheitliche Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik "

Im Lichte der sicherheitspolitischen Differenzen in Europa, insbesondere im Zuge der Irak-Krise Anfang des Jahres 2003, veranstalteten Annika Weidemann (Institut für Sicherheitspolitik, Kiel) und Annette Simon (ehemals MPI für Völkerrecht, Heidelberg) mit Unterstützung der Zeit- und Haniel Stiftung sowie der Studienstiftung des Deutschen Volkes am 19. und 20. September 2003 eine Kurztagung für Doktoranden zum Thema "Die (un-) einheitliche Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik". Im Zentrum der Tagung stand die Frage nach der Zukunft des in Köln 1999 vom Europäischen Rat (ER) angegangenen Projekts der ESVP. Die Tagung wählte einen interdisziplinären und praxisnahen Ansatz; sie vereinte Vorträge von Wissenschaftlern sowie Praktikern aus EU, NATO, Auswärtigem Amt und einer NGO aus dem Bereich der europäischen Sicherheitspolitik.

Im Einführungsvortrag, der im Rahmen der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht stattfand, gab Prof. Griller vom Forschungsinstitut für Europafragen an der Wirtschaftsuniversität Wien einen Ausblick, wie der zweite Pfeiler der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), in dessen Rahmen sich die ESVP entwickelt, nach dem EU-Verfassungsentwurf aussehen wird. Der Fokus seines Vortrags lag dabei auf der Institutionenreform sowie der Frage nach der Einführung supranationaler Elemente in den heutigen zweiten Pfeiler. Hinsichtlich der Institutionenreform kritisierte Prof. Griller die fehlenden Mitentscheidungskompetenzen des Europäischen Parlaments im Bereich der GASP sowie das Vorsitzkonzept im ER. Auch die neu geschaffene Position des EU-Außenministers mit seinem "doppelten Hut" als Vizepräsident der Kommission und gleichzeitig Vorsitzender des ERs bei auswärtigen Angelegenheiten bewertete er kritisch. Der Versuch, mehr Kohärenz, Effizienz und Transparenz in der Außenpolitik zu schaffen, sei auf Kosten von Verfassungsprinzipien wie der Gewaltenteilung und der mangelhaften Verantwortlichkeit geschehen. Angesichts der leichten Stärkung supranationaler Elemente in der GASP aber der gleichzeitig fehlenden Kontrolle durch den EuGH brachte Prof. Griller den Gedanken eines neuen Supranationalismus auf. Dabei verwies er auch auf das weiterhin ungelöste Vorrangproblem bei der Überschneidung von Wirtschafts- und Außenpolitik, das eine klare Trennung intergouvernementaler von supranationalen Kompetenzen unmöglich mache.

Prof. Krause vom Institut für Sicherheitspolitik in Kiel bereitete anschließend den politisch-theoretischen Hintergrund der aktuellen Differenzen in der ESVP auf. Er führte die unterschiedlichen sicherheitspolitischen Positionen in Europa auf drei Schulen zurück: auf der einen Seite sah er Großbritannien, das vorrangig die Anlehnung an den amerikanischen Partner verfolge, auf der anderen Seite Frankreich, das sich für ein eigenständiges Europa einsetze und dazwischen Deutschland, das zwischen diesen beiden Positionen zu vermitteln suche und dabei die Vorherrschaft des Völkerrechts betone. Insgesamt hob Prof. Krause hervor, daß es sich bei der ESVP nicht um eine "Joint" sondern eine "Common Security and Defence Policy" handele, die sich eben gerade aus verschiedenen nationalstaatlichen Ansichten zusammensetze und Differenzen in sich berge. Für eine "Joint Security and Defence Policy" sei ein europäischer Staat erforderlich, der jedoch bisher mit der ESVP nicht angestrebt werde.

Einen Abriß der rechtlichen Verankerung der ESVP in der GASP gab Dr. Martenczuk von der Europäischen Kommission. Er skizzierte Aufgaben, Grundlagen und Grenzen der ESVP. Neben dem Europäischen Rat als zentrales Entscheidungsorgan wies er auf die 2001 geschaffenen beratenden Organe des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees und des Militärausschusses sowie den Militärstab hin. Aber genauso wie die Entscheidung im Rat letztendlich durch die Mitgliedsstaaten gefällt werde, sei die ESVP auch bei der Umsetzung, aufgrund der wenigen eigenen Institutionen, auf die Mitgliedsstaaten und die NATO angewiesen. Durch die unterschiedliche Bündniseinbindung der Mitgliedsstaaten seien dabei flexible Umsetzungsmechanismen aber auch die Einbindung von Drittstaaten erforderlich. Insoweit hob Dr. Martenczuk die im EU-Verfassungsentwurf vorgesehenen verschiedenen Formen der engeren Zusammenarbeit hervor, wies aber auch auf die daraus resultierende Spaltung der EU in verschiedene Gruppen von Mitgliedsstaaten hin. Für die Zukunft erklärte Dr. Martenczuk vor allem eine stärkere Übertragung der Entscheidungsfindung und Kontrolle über die Fähigkeiten von den Mitgliedsstaaten hin auf Gemeinschaftsmechanismen für erforderlich.

Anschließend skizzierte Boris Ruge, stellvertretender Leiter des ESVP-Referats im Auswärtigen Amt, die Rolle der ESVP in der deutschen Sicherheitspolitik. Als die beiden Pfeiler deutscher Sicherheitspolitik stellte er die Beziehungen zu den USA sowie die Einbindung in die EU heraus. Dabei betonte er, daß ESVP nicht für Verteidigung sondern für ziviles und militärisches Krisenmanagement stehe. Die ESVP sei zudem territorial auf Europa und seine Peripherie begrenzt. Die strategische Partnerschaft der EU mit der NATO wertete er als nicht einfach. Dabei sah er den aktuellen Streitpunkt der Einrichtung eines europäischen militärischen Hauptquartiers für EU-eigene-Operationen ohne Rückgriff auf NATO-Strukturen nicht als Gefahr für NATO-Strukturen an. Für die Zukunft forderte Boris Ruge einen verstärkten Dialog über strategische Fragen mit den USA sowie größere deutsche Bemühungen um militärische und zivile Fähigkeiten zur Bewältigung von Aufgaben der ESVP.

In einem weiteren Vortragsblock sprachen Annalisa Monaco vom International Security Information Service Europe sowie Klaus Kleffner, Leiter der Defence Capablilities Section des Internationalen Stabs der NATO, über das Verhältnis zwischen NATO und EU bei der europäischen Sicherheit. Während Annalisa Monaco von einer Komplementarität der Organisationen ausging, stellte Klaus Kleffner den Gedanken der Kooperation in den Vordergrund. Annalisa Monaco sah die Aufgabenverteilung zwischen den Organisationen durch die begrenzten militärischen und finanziellen Mittel sowie den mangelnden politischen Willen der EU vorgegeben: Die Amerikaner würden global im Rahmen von ad-hoc-Koalitionen der Willigen tätig, der NATO kämen vor allem Post-Conflict Stabilisierungsaufgaben zu und die EU wäre auf ihre Nachbarschaft und Gegenden beschränkt, in denen die NATO als Ganzes nicht tätig werden wolle. Für eine Änderung der Aufgabenverteilung zwischen EU und NATO sah Annalisa Monaco nur Raum, wenn die EU ihre Fähigkeiten verbessere und in ihr Sicherheitskonzept auch den Einsatz von "hard power" aufnehme. Klaus Kleffner begründete sein Kooperationsmodell vor allem mit der zunehmenden Überschneidung der Mitgliedschaften und damit auch der Sicherheitsinteressen von EU und NATO. Entscheidend für eine erfolgreiche Kooperation sei, daß sie ihre Identität und autonomen Entscheidungsfindungsmechanismen akzeptierten und sich nicht gegenseitig ihre Fähigkeiten nähmen. In der späteren Diskussion waren sich Annalisa Monaco und Klaus Kleffner einig, daß eine klare territoriale oder inhaltliche Aufgabenzuweisung an NATO und EU momentan weder erforderlich noch wünschenswert sei, sondern die Zuständigkeiten vielmehr der weiteren Entwicklung der beiden Organisationen überlassen werden müßten.

Zuletzt präsentierte Dr. Heiko Borchert, Dr. Heiko Borchert & Co., Consulting and Research, Luzern, verschiedene Thesen zur Zukunft der ESVP. Er begrüßte den Entwurf einer europäischen Sicherheitsstrategie durch Javier Solana, Generalsekretär des ER und Hoher Vertreter der GASP, kritisierte jedoch, daß er den Einsatz der vorhandenen Instrumente offen ließe und nicht die engere Zusammenarbeit zwischen den Institutionen fordere. Weiterhin erklärte Dr. Borchert die Spezialisierung innerhalb der EU genauso wie das Zusammenführen von Ressourcen als unausweichlich für eine zukünftige ESVP. Dies erfordere mehr Supranationalität und Gemeinsamkeit auf europäischer Ebene. Für die Implementierung der ESVP sei die Schaffung einer Europäischen Rüstungsagentur ein wesentlicher Schritt, jedoch müsse gleichzeitig die Kooperation der Regierungen mit den Vertragspartnern verbessert werden. Die Umsetzung der ESVP im Rahmen der GSAP verlange ein gesamtheitlicheres Verständnis von Sicherheitspolitik, sowohl auf der Ebene der Gefahrenwahrnehmung als auch der Umsetzung. Insoweit verwies Dr. Borchert auch auf die Notwendigkeit einer Harmonisierung nationaler Planungs- und Entscheidungsprozesse für die ESVP hin.

Die abschließende Panel Diskussion führte zu der Schlußfolgerung, daß die Entwicklung der ESVP Zeit brauche und eine tatsächlich gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik letztendlich - jedenfalls nach außen - die Staatsqualität der EU erfordere. Es bestand insoweit aber ebenfalls Einigkeit darüber, daß für die EU, wenn sie nicht in Bedeutungslosigkeit versinken wolle, an dieser Entwicklung kein Weg vorbei führe.