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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1993


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Christian Walter

XVIII. Rechtsfolgen der Wiedervereinigung

a. Ausländische Streitkräfte in Deutschland

    267. Am 18. März 1993 wurde ein Abkommen zur Änderung des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut geschlossen648. Ziel des Änderungsabkommens ist eine Neuregelung des rechtlichen Status der Streitkräfte der verbündeten Staaten in der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die veränderten rechtlichen, politischen und militärischen Verhältnisse in Deutschland und Europa nach der Herstellung der deutschen Einheit. Das Änderungsabkommen sieht folgende Neuregelungen gegenüber der bisherigen Rechtslage vor: Land- und Luftübungen der Entsendestaaten bedürfen der Zustimmung, wenn sie außerhalb der Liegenschaften, die den Streitkräften zur ausschließlichen Benutzung überlassen sind, durchgeführt werden sollen; deutsches Recht gilt grundsätzlich auch auf den Liegenschaften, die den Streitkräften der Entsendestaaten zur ausschließlichen Nutzung überlassen sind; das Verbot der Todesstrafe in der Bundesrepublik Deutschland ist durch die Entsendestaaten zu beachten; Sonderregelungen auf den Gebieten des Zivil- und Strafprozeßrechts und des Verkehrswesens unterliegen Einschränkungen; eine aktive Mitwirkung der Entsendestaaten beim Umweltschutz ist ebenso vorgesehen wie die Anwendung des deutschen Umweltrechts; das Arbeitsrecht und das Arbeitsschutzrecht werden an die Regelungen angeglichen, die für die Bundeswehr gelten; die Zahl der anzuwendenden Zustimmungstatbestände wurde erheblich erhöht; schließlich wurde eine eigene Kündigungsklausel für das Zusatzabkommen aufgenommen, das bisher nur über die Kündigung des NATO-Truppenstatuts oder die Aufhebung des Vertrags über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Oktober 1954 beendet werden konnte. Weiter wurde ein Abkommen zu Art. 45 Abs. 1 des Zusatzabkommens geschlossen, welches die Verfahren zur Anmeldung, Koordinierung und Genehmigung von Manövern und anderen Übungen der Streitkräfte der Entsendestaaten in der Bundesrepublik Deutschland regelt649.

    268. Durch ein Übereinkommen mit Kanada und mit dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland wurde das Abkommen vom 3. August 1959 über die Durchführung von Manövern und anderen Übungen im Raum Soltau-Lüneburg in der durch das Abkommen vom 12. Mai 1970 geänderten Fassung außer Kraft gesetzt650. Weiter wurden Verwaltungsabkommen zu Art. 60 (Telekommunikationswesen), über die Benutzung von Truppenübungsplätzen, Luft-/Bodenschießplätzen und Standortübungseinrichtungen geschlossen. Ferner gab es bilaterale Notenwechsel mit den Entsendestaaten zu Fragen der Beschäftigung örtlicher Zivilbediensteter bei den Streitkräften der Entsendestaaten in der Bundesrepublik Deutschland und zur Gleichbehandlung der Bundeswehr in den Staatsgebieten der Entsendestaaten (Gegenseitigkeit)651.
    Hinsichtlich der Todesstrafe betonte die Bundesregierung, es sei vor dem Hintergrund des Art. 102 des Grundgesetzes ein wesentliches Verhandlungsziel gewesen, daß künftig Strafverfahren, in denen nach dem Recht des Entsendestaats die Verhängung der Todesstrafe nicht auszuschließen sei, im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland unterblieben. Hierzu seien im einzelnen zwei Änderungen erfolgt: Im Falle von konkurrierender Strafgerichtsbarkeit, bei der der Bundesrepublik Deutschland nach Art. VII Abs. 3b NATO-Truppenstatut ein Vorrecht zur Ausübung der Gerichtsbarkeit zustehe, sei vereinbart worden, daß der in Art. 19 Abs. 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut gewährte Verzicht auf das den deutschen Behörden gewährte Vorrecht insoweit eingeschränkt werde, als er nicht mehr in Fällen drohender Todesstrafe gelte. Zudem könne nunmehr ein im Einzelfall auf Ersuchen eines Entsendestaates gewährter Verzicht auf Ausübung der Strafgewalt (Art. VII Abs. 3c NATO-Truppenstatut) von einer Zusicherung abhängig gemacht werden, daß die Todesstrafe nicht verhängt wird. Insofern könne ein derartiges Verfahren auch nicht gegen den Willen der Bundesrepublik Deutschland in einen Entsendestaat verlagert werden. Bei ausschließlicher Gerichtsbarkeit der Entsendestaaten und bei konkurrierender Gerichtsbarkeit mit einem Vorrecht der Entsendestaaten bestimme der neue Art. 18a des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut, daß schon die Durchführung eines Strafverfahrens, das zur Verhängung der Todesstrafe in der Bundesrepublik Deutschland führen könne, nicht mehr gestattet sei. Damit sei gegenüber der bisherigen Regelung, die lediglich die Vollstreckung der Todesstrafe in der Bundesrepublik Deutschland untersage, eine Verbesserung erreicht worden.

    269. Einen britischen Vorschlag, bei der Prüfung von Übungsmöglichkeiten für die britischen Streitkräfte im Gegenzug für den britischen Verzicht auf Übungen im Soltau-Lüneburg-Gebiet Truppenübungsplätze in den neuen Bundesländern in Betracht zu ziehen, lehnte die Bundesregierung unter Hinweis auf den "Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland" vom 12. September 1990 ("Zwei-Plus-Vier-Vertrag") ab652. Zur Frage einer künftigen Übungstätigkeit auch durch oder mit NATO-Verbündeten auf dem Übungsplatz Colbitz-Letzlinger-Heide antwortete die Bundesregierung:

    "Nach den Bestimmungen des "Vertrags über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland" vom 12. September 1990 ("Zwei-Plus-Vier-Vertrag") ist bis zum Abschluß des Abzugs der ehemaligen sowjetischen Truppen eine Stationierung oder die Ausübung irgendwelcher anderer militärischer Tätigkeiten durch Streitkräfte anderer Staaten in den neuen Bundesländern ausgeschlossen. Darunter fällt auch der vorübergehende Aufenthalt von Truppenteilen der NATO-Partner auf einem Truppenübungsplatz. Auch nach dem Abzug der ehemaligen sowjetischen Streitkräfte werden verbündete Streitkräfte in diesem Teil Deutschlands weder stationiert noch dorthin verlegt. Entscheidungen über eine zeitlich befristete Nutzung von Truppenübungsplätzen durch Streitkräfte der NATO-Staaten werden von der Bundesregierung unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Vertragspartei getroffen. Es gibt jedoch keinerlei Planungen, bestimmte Truppenübungsplätze NATO-Partnern zu überlassen."653

    270. Zur Haftung des Bundes gegenüber juristischen Personen in den neuen Bundesländern hinsichtlich von Schäden, die außerhalb der GUS-Liegenschaften durch den Übungsbetrieb im allgemeinen sowie den Tiefflugverkehr der ehemaligen Sowjetarmee und heutigen GUS-Truppen im besonderen vor bzw. nach dem 3. Oktober 1990 verursacht worden sind, antwortete die Bundesregierung auf eine Schriftliche Anfrage:

    "Der Bund haftet nicht für die von den ehemaligen sowjetischen Streitkräften und heutigen Streitkräften der Westgruppe der Truppen (WGT) vor oder nach dem 3. Oktober 1990 im Gebiet der neuen Bundesländer verursachten Schäden. Für die Abgeltung von Schäden, die vor dem 3. Oktober 1990 von den ehemaligen sowjetischen Streitkräften verursacht worden sind, ist auch nach der staatlichen Vereinigung das Recht maßgebend, das im Zeitpunkt des Schadensereignisses gegolten hat. In Anwendung der maßgebenden, im Jahre 1957 zwischen der ehemaligen DDR und der ehemaligen UdSSR abgeschlossenen völkerrechtlichen Abkommen (Stationierungs- und Rechtshilfeabkommen) sind in jahrzehntelang geübter Staatenpraxis Schäden außerhalb zugewiesener Liegenschaften, die durch den allgemeinen Übungsbetrieb und den Flugverkehr der sowjetischen Streitkräfte an Grundstücken, somit auch an Grundstücken juristischer Personen, verursacht worden sind, nicht abgegolten worden und können danach auch heute nicht mehr abgegolten werden. Andere Schäden, auch von juristischen Personen, wurden und werden in den noch nicht abgeschlossenen Schadensfällen weiterhin auf der Grundlage der genannten völkerrechtlichen Abkommen und der Anwendung des Schadensersatzrechts der ehemaligen DDR mit der in den Abkommen festgelegten Beteiligung der ehemals sowjetischen Truppendienststellen, jetzt Truppendienststellen der WGT, abgewickelt. Für Schäden, die von den Streitkräften der WGT nach dem 3. Oktober 1990 in den neuen Ländern verursacht worden sind, haftet die WGT nach den im Aufenthalts- und Abzugsvertrag (AAV) getroffenen Vereinbarungen. Soweit es sich um Schäden juristischer Personen des öffentlichen Rechts handelt, die der Vertragspartei Bundesrepublik Deutschland zuzurechnen sind (Bund, Länder und Gemeinden), können diese - mit Ausnahme von Schäden an zugewiesenen Liegenschaften - nach Art. 23 AAV auf der Grundlage des deutschen Entschädigungsrechts mit den Dienststellen der WGT reguliert werden. Soweit andere juristische Personen durch die Streitkräfte der WGT geschädigt werden, stehen ihnen Entschädigungsansprüche gem. Art. 24 AAV nach dem anwendbaren deutschen Recht zu, die vor den deutschen Behörden und Gerichten gegen den Rechtsträger der WGT verfolgt werden können."654



    648BGBl. 1994 II, 2594.
    649BGBl. 1994 II, 2635.
    650BGBl. 1994 II, 2643.
    651Vgl. zum ganzen ausführlich die Denkschrift der Bundesregierung zum Abkommen, BT-Drs. 12/6477, 58 ff.
    652Antwort der Bundesregierung auf eine Schriftliche Anfrage, BT-Drs. 12/4434, 51.
    653Antwort der Bundesregierung auf eine Schriftliche Anfrage, BT-Drs. 12/4434, 52.
    654BT-Drs. 12/4792, 20.