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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1994


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Christian Walter

XII. Zusammenarbeit der Staaten

a. Politische Zusammenarbeit

    114. Am 4. März 1993 leitete die Bundesregierung das Ratifikationsverfahren für den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu dem Übereinkommen vom 23. Oktober 1991 über Kambodscha ein241. Das Übereinkommen über Kambodscha besteht aus dem Übereinkommen über eine umfassende politische Regelung des Kambodscha-Konflikts, dem Übereinkommen über die Souveränität, Unabhängigkeit, territoriale Unversehrtheit und Unverletzlichkeit, Neutralität und nationale Einheit Kambodschas, der Schlußakte der Pariser Kambodscha-Konferenz sowie der Erklärung über die Wiederherstellung und den Wiederaufbau Kambodschas. In ihrer Denkschrift führte die Bundesregierung für den Beitritt der Bundesrepublik aus:

    "Der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den beiden Übereinkommen setzt ein deutliches Zeichen ihres andauernden Engagements für Kambodscha. Er entspricht ferner der Aufforderung, des Deutschen Bundestages an die Bundesregierung, die VN-Mission in Kambodscha zu unterstützen. Aus diesen beiden Übereinkommen lassen sich weder völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland zur Beteiligung an der VN-Übergangsbehörde UNTAC noch konkrete personelle oder finanzielle Verpflichtungen zur Teilnahme an den friedenserhaltenden Maßnahmen der VN in Kambodscha herleiten."242
    Das Abkommen sieht die Durchführung freier und fairer, von den Vereinten Nationen organisierter und bestätigter Wahlen vor. Bis zu deren Durchführung soll in einer Übergangszeit eine Übergangsbehörde der Vereinten Nationen in Kambodscha (United Nations Transitional Authority in Cambodia, UNTAC) eingerichtet werden. Die kambodschanische Staatsgewalt soll von einem "Obersten Nationalrat" ausgeübt werden. Das Abkommen sieht weiter den Abzug aller ausländischen Kräfte und die Verifikation des Abzugs durch UNTAC vor. Gleichzeitig soll mit seinem Inkrafttreten ein Waffenstillstand wirksam werden. Außerdem enthält das Abkommen eine Verpflichtung zur Einhaltung der Menschenrechte und Vorschriften über die Behandlung von Flüchtlingen und Vertriebenen. In einer Anlage 1 zum Abkommen wird das Mandat von UNTAC ausführlich festgelegt. Anlage 2 enthält die näheren Bestimmungen für den Abzug der Streitkräfte und den Waffenstillstand. Anlage 3 regelt das Nähere für die Durchführung der Wahlen, Anlage 4 die Repatriierung kambodschanischer Flüchtlinge und Vertriebener.

    115. Am 16. und 17. März 1993 fand die 2. Ministertagung der Außenminister der Ostseestaaten statt. Der Rat befürwortete grundsätzlich den Vorschlag, für die Ostseestaaten einen Hochkommissar für Menschenrechte und nationale Minderheiten einzusetzen. Er beauftragte den Ausschuß Hochrangiger Beamter und die Arbeitsgruppe "Unterstützung neuer demokratischer Institutionen", ihre diesbezügliche Arbeit gemeinsam mit einschlägigen Institutionen der KSZE mit dem Ziel fortzusetzen, ein konkretes Mandat für den Hochkommissar auszuarbeiten. Außerdem beschloß der Rat, in Zusammenarbeit mit den Universitäten von Tartu und Wilna eine Europafakultät in Riga einzurichten. Hierdurch soll Studenten und Professoren aus den Ländern der Region eine Ausbildungsmöglichkeit in den Fächern öffentliche Verwaltung, Betriebswirtschaft, Rechtswissenschaft und Wirtschaftswissenschaft angeboten werden.

    116. Auf den Sitzungen des Europäischen Rats am 29. Oktober 1993 und am 10./11. Dezember 1993 wurde die Frage eines Stabilitätspakts für Europa erörtert. Mit dem Stabilitätspakt solle die Minderheitenfrage geregelt und die Unverletzlichkeit der Grenzen in höherem Maße gewährleistet werden. Der Pakt soll so angelegt sein, daß er in geographischer Hinsicht offen und ausbaufähig ist, allerdings sollen Länder, in denen es bereits offene Konflikte gibt, nicht angesprochen werden. Weitere Einzelheiten sind in einem zusammenfassenden Bericht zum Stabilitätspakt enthalten, der den Ergebnissen des Europäischen Rats von Brüssel als Anlage beigefügt ist243.

    117. Am 13. September 1993 erging das Zustimmungsgesetz zu dem Vertrag vom 21. April 1992 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa244.

    118. Mit der Abgabe gemeinsamer Erklärungen stellte die Bundesregierung die Beziehungen zu den baltischen Staaten auf jeweils neue rechtliche Grundlagen. Am 20. April 1993 wurde die gemeinsame deutsch-lettische Erklärung245, am 29. April 1993 die deutsch-estnische246 und am 21. Juli 1993 die deutsch-litauische gemeinsame Erklärung247 abgegeben. Die Erklärungen stimmen inhaltlich im wesentlichen überein. Die Parteien erklären sich jeweils darin einig, ihre Beziehungen auf allen Ebenen entwickeln und vertiefen zu wollen. Dabei würden sie diese Beziehungen im Einklang mit dem Völkerrecht, der Achtung der Grundsätze der souveränen Gleichheit und territorialen Integrität, des Verbots der Drohung mit und Anwendung von Gewalt sowie der Achtung der Menschen- und Minderheitenrechte gestalten. Deutschland erklärt seinen Willen, jeweils im Rahmen seiner Möglichkeiten die Heranführung der baltischen Staaten an die Europäische Gemeinschaft zu fördern. Weiter enthalten die Erklärungen Zusammenarbeitsversprechen auf den Gebieten Wirtschaft, Kultur, Umweltschutz, Bekämpfung der organisierten Kriminalität und Pflege von Kriegsgräbern. Die deutsch-litauische Erklärung enthält zusätzlich eine Klausel, in der beide Seiten erklären, daß sie keine Gebietsansprüche haben und solche auch in Zukunft nicht erheben werden.

    119. Auch die Grundlagen der Beziehungen mit der Republik Georgien und der Ukraine wurden durch gemeinsame Erklärungen neu gestaltet248. Beide Seiten bekräftigen ihr Bekenntnis zu den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen und den Dokumenten der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.

    "Deutschland und die Ukraine [Georgien] werden ihre Beziehungen im Einklang mit dem Völkerrecht, der Achtung der Grundsätze der souveränen Gleichheit, der territorialen Integrität, der Unverletzlichkeit der Grenzen, der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten, des Verbots der Drohung mit und Anwendung von Gewalt sowie der Achtung der Menschenrechte, einschließlich der Rechte der nationalen Minderheiten, gestalten.
    Beide Seiten bekräftigen das Recht aller Völker, frei und ohne Einmischung von außen ihr Schicksal zu bestimmen und ihre politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung nach eigenem Wunsch zu gestalten."
    Im übrigen enthalten die gemeinsamen Erklärungen Aussagen zu Abrüstung und Rüstungskontrolle, Kultur, Kriegsgräberfürsorge, Fragen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, der Zusammenarbeit in den Bereichen Forschung und Technologie, Umweltschutz und Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Die Erklärung mit der Ukraine enthält zusätzlich die Aussage, daß beide Seiten die territoriale Integrität der jeweils anderen Seite achten werden.

    120. Zur Interpretation der gleichlautenden Briefe in Ziff. 5 des deutsch-polnischen Nachbarschafts- und Freundschaftsvertrages führte die Bundesregierung aus:

    "Die Bundesregierung teilt die im Beschluß vom 8. September 1993 vertretene Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, die lautet: 'Die gleichlautenden Briefe bringen in Ziff. 5 die übereinstimmende Auffassung beider Vertragsparteien zum Ausdruck, daß der Vertrag sich nicht mit Vermögensfragen befasse. Im Hinblick auf die beide Vertragsparteien bindende Regelung in Art. 31 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Buchst. a des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (BGBl. 1985 II S. 926) kann eine gegenteilige Auslegung des Vertrages ausgeschlossen werden.'"249



    241BT-Drs. 12/4469.
    242BT-Drs. 12/4469, 45.
    243Bull. Nr. 10 vom 2.2.1994, 82 ff.
    244BGBl. 1993 II, 1774; in Kraft seit dem 21.12.1993, BGBl. 1994 II, 302; vgl. dazu bereits ausführlich Langenfeld (Anm. 7), Ziff. 94.
    245Bull. Nr. 33 vom 24.4.1993, 286.
    246Bull. Nr. 35 vom 5.5.1993, 304.
    247Bull. Nr. 66 vom 29.7.1993, 695.
    248Bull. Nr. 53 vom 17.6.1993, 557 (Ukraine); Bull. Nr. 57 vom 30.6.1993, 598 (Georgien).
    249Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Parlamentarische Anfrage, BT-Drs. 12/6077, 1 f.