Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Logo Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

Sie befinden sich hier: Publikationen Archiv Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland 1994

Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1994


Inhalt | Zurück

Christian Walter

XVIII. Rechtsfolgen der Wiedervereinigung

c. Kriegs-, Besatzungs- und Teilungsfolgen

    273. Zur Frage der Entschädigung von lettischen Bürgern, die im 2. Weltkrieg zwangsweise zu den deutschen Streitkräften rekrutiert worden waren und im Verlauf der Kämpfe und des Vormarsches der Sowjetarmee in deren Gefangenschaft geraten waren, antwortete die Bundesregierung:

    "Entschädigungen für Zwangsrekrutierungen zur deutschen Wehrmacht wären Reparationsleistungen. Der Bundesrepublik Deutschland sind solche Leistungen untersagt. Nach Art. 5 Abs. 2 des Abkommens über deutsche Auslandsschulden - Londoner Schuldenabkommen (LSchA) vom 27. Februar 1953 - ist bereits eine Prüfung der aus dem 2. Weltkrieg herrührenden Forderungen von Staaten, die sich mit Deutschland im Kriegszustand befanden oder deren Gebiet von Deutschland besetzt war und von Staatsangehörigen dieser Staaten gegen das Reich oder im Auftrag des Reiches handelnde Stellen oder Personen bis zur endgültigen Regelung der Reparationsfrage zurückgestellt. Gesetzliche Regelungen über Ausgleichsleistungen an Personen, die als ausländische Staatsangehörige zum Dienst in der deutschen Wehrmacht gezwungen wurden, sind der Bundesrepublik Deutschland damit untersagt."696

    274. In einer Antwort auf eine Schriftliche Anfrage betonte die Bundesregierung, daß die "deutsch-polnische Vermögensfrage" nicht erledigt sei. Vielmehr sei in Nr. 5 des Briefwechsels zum Vertrag vom 17. Juni 1991 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit697 die Regelung der Vermögensfrage ausdrücklich offengehalten. Der Notenwechsel vom 27./28. September 1990 beschränke sich darauf, die vom Deutschen Bundestag mit Gesetz vom 24. März 1955698 in innerstaatliches Recht transformierten Vorschriften des Vertrages aufzuheben. Bei einigen wenigen Bestimmungen seien die Vertragspartner Frankreich, Großbritannien und die USA zum Schutze ihrer eigenen Interessen zu einer Streichung nicht bereit gewesen. In keinem Fall habe der Notenwechsel neue Verpflichtungen begründet - weder im Verhältnis zu den drei Vertragspartnern noch gegenüber dritten Staaten. Er habe somit keine konstitutive Wirkung gehabt699.

    275. Zur Frage einer Entschädigung für die Vertreibung deutscher Staatsangehöriger nach dem 2. Weltkrieg führte die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Schriftliche Anfrage aus:

    "Nach Völkerrecht sind Enteignungen grundsätzlich nur gegen die umgehende Zahlung einer angemessenen effektiven Entschädigung zulässig. Dies gilt entsprechend für andere Fälle der Vermögensentziehung. Die Bundesregierung hat daher auch die Vertreibung der Deutschen stets verurteilt und die entschädigungslose Einziehung ihres Vermögens nie gebilligt. Die Bundesregierung hat ihre Rechtsauffassung wiederholt klargestellt, zuletzt in den Verhandlungen zu den Verträgen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen sowie der CSFR über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit. Diese Klarstellungen haben ihren Niederschlag jeweils in den im Vertrag vereinbarten Briefwechseln gefunden. Den betreffenden Regierungen ist der Standpunkt der Bundesregierung also bekannt. Sie sind jedoch bislang nicht bereit, Rückgewähr- und Entschädigungsansprüche anzuerkennen oder in Verhandlungen darüber einzutreten. Die Bundesregierung ist im Rahmen der ihr gegebenen Möglichkeiten weiterhin um den Schutz der Interessen der deutschen Vertriebenen bemüht."700

    276. Zur Frage der Rehabilitierung derjenigen Angehörigen der deutschen Wehrmacht, die in Schauprozessen in dem Jahre 1945 und 1946 als für die Katyn-Morde verantwortlich verurteilt wurden, heißt es in einer Antwort auf eine Schriftliche Anfrage:

    "Die Bundesregierung hat sich jahrelang - zunächst gegenüber der sowjetischen und dann gegenüber der russischen Seite - darum bemüht, für diejenigen Deutschen eine Rehabilitierung zu erreichen, die durch sowjetische Militärtribunale zu Unrecht verurteilt oder durch den NKWD verfolgt wurden. Ergebnis dieser Bemühungen war die im Dezember 1992 zwischen Präsident Jelzin und Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl vereinbarte "gemeinsame Erklärung". Danach sind alle durch die Sowjetunion zu Unrecht verurteilten Deutschen moralisch rehabilitiert. Dies gilt auch für diejenigen Deutschen, die in Schauprozessen in den Jahren 1945 und 1946 wegen Verbrechen verurteilt wurden, die in Wirklichkeit durch sowjetische Dienststellen in Katyn begangen wurden. Außerdem können die betreffenden sowjetischen Urteile aufgehoben werden. Dazu muß der Weg des individuellen Rehabilitierungsverfahrens beschritten werden."701

    277. Zur Frage der Entschädigung für Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in den baltischen Staaten sagte die Staatsministerin im Auswärtigen Amt im Deutschen Bundestag:

    "Nach der nunmehr vorliegenden Zustimmung des Bundesministeriums der Finanzen besteht innerhalb der Bundesregierung Einigkeit darüber, daß auch den wenigen überlebenden Opfern nationalsozialistischer Verfolgung in den baltischen Staaten geholfen werden muß. [...] Die Bundesregierung wird zum Zweck der Hilfe in den nächsten Tagen Vorgespräche mit den Regierungen Estlands, Lettlands und Litauens führen. Ziel dieser Gespräche wird es sein, Möglichkeiten für Investitionen im humanitären Bereich zu erkunden, die nach unseren Vorstellungen den individuellen Bedürfnissen der Opfer möglichst nahe kommen sollen."702
    Zur gleichen Frage heißt es in einer Antwort auf eine Schriftliche Anfrage:
    "Verfolgte und ihre Hinterbliebenen waren bzw. sind nach dem - in den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen fallenden - Bundesentschädigungsgesetz regelmäßig nur dann anspruchsberechtigt, wenn sie in einer räumlichen Beziehung zum Gebiet der Bundesrepublik Deutschland bzw. zum Gebiet des früheren Deutschen Reiches in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 gestanden haben (vgl. �� 4, 150, 160 BEG und Art. V BEG-Schlußgesetz). Der Gesetzgeber war zu dieser Abgrenzung gezwungen, weil eine Ausdehnung der Entschädigungsregelungen auf NS-Verfolgte in allen Staaten zu finanziell nicht mehr tragbaren Belastungen für die Bundesrepublik Deutschland geführt hätte. Außerdem wäre durch ein Abgehen vom Territorialprinzip die Grenze zwischen Wiedergutmachung und reparationsrechtlichen Tatbeständen verwischt worden. Nach den Grundsätzen des Völkerrechts kann der aus Kriegs- und Besatzungshandlungen erwachsene Schaden nur von Staat zu Staat, nicht aber als Einzelanspruch vom Geschädigten unmittelbar gegen den schadenstiftenden Staat geltend gemacht werden."703

    278. Auf der Grundlage des am 21. Dezember 1992 ergangenen Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes704 wurde am 2. Juni 1993 das Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz) neu gefaßt. Die Neufassung berücksichtigt die zwischen dem 3. September 1971705 und dem 21. Dezember 1992706 ergangenen Änderungen des Bundesvertriebenengesetzes.

    279. Ebenfalls am 5. Oktober 1993 leitete die Bundesregierung das Ratifikationsverfahren zu dem Abkommen vom 16. Dezember 1992 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Russischen Föderation über Kriegsgräberfürsorge ein. Das Abkommen knüpft an die in den 50er und 60er Jahren mit den westlichen Staaten geschlossenen Kriegsgräberabkommen an. Die Bundesregierung führte in ihrer Denkschrift aus, daß es sich um das erste mit mittel- und osteuropäischen Staaten geschlossene derartige Abkommen handele707. Zweck des Abkommens ist die Erhaltung und Pflege der Kriegsgräber der Vertragsparteien im jeweils anderen Staat.

    280. In einer Antwort auf eine Schriftliche Anfrage äußerte sich die Bundesregierung zur Einhaltung der sich aus dem Genfer Abkommen ergebenden Pflichten zum Schutz von Kriegsgräbern auf dem Gebiet der tschechischen Republik:

    "In Art. 30 des Vertrages vom 27. Februar 1992 mit der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit, der im Verhältnis zur tschechischen Republik weiterhin Geltung hat, wurde ausdrücklich vereinbart, daß die Regierungen die Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft schützen und erhalten. Auf dieser Grundlage beabsichtigt die Bundesregierung den Abschluß eines bilateralen Kriegsgräberabkommens mit der tschechischen Republik. Den Entwurf für ein solches Abkommen hat die Botschaft Prag der tschechischen Regierung im Juli dieses Jahres übermittelt. Eine offizielle Reaktion wird in Kürze erwartet."708



    696Antwort der Bundesregierung auf eine Schriftliche Anfrage, BT-Drs. 12/5105, 4.
    697BGBl. 1991 II, 1315; vgl. dazu Langenfeld (Anm. 7), Ziff . 93.
    698BGBl. 1955 II, 213.
    699Antwort der Bundesregierung auf eine Schriftliche Anfrage, BT-Drs. 12/5054, 2.
    700Antwort der Bundesregierung auf eine Schriftliche Anfrage, BT-Drs. 12/4434, 7.
    701Antwort der Bundesregierung auf eine Schriftliche Anfrage, BT-Drs. 12/5622, 4.
    702BT-PlPr., 189. Sitzung, 16352.
    703Antwort der Bundesregierung auf eine Schriftliche Anfrage, BT-Drs. 12/4885, 27.
    704BGBl. 1992 I, 2094; vgl. dazu bereits ausführlich Langenfeld (Anm. 7), Ziff. 226.
    705BGBl. 1971 I, 1565 und 1807.
    706BGBl. 1992 I, 2094.
    707BT-Drs. 12/5837, 12.
    708Antwort der Bundesregierung auf eine Schriftliche Anfrage, BT-Drs. 12/5874, 1.