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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1996


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Christian Walter

XIV. Außenwirtschaftsverkehr und Welthandelsordnung

a. GATT und WTO

    193. Am 15. Dezember 1993 wurde die Uruguay-Runde des GATT abgeschlossen. Die Bundesregierung begrüßte die damit verbundene Liberalisierung des Welthandels. Die Schaffung verbesserter Handelsregeln, einer Welthandelsorganisation und eines effizienten verbindlichen Streitschlichtungsmechanismus werde dem Welthandel einen besseren und sichereren multilateralen Rahmen geben413. Die auf der Abschlußkonferenz erzielten Ergebnisse wurden in der Schlußakte über die Ergebnisse der multilateralen Handelsverhandlungen der Uruguay-Runde am 15. April 1994 in Marrakesch zusammengefaßt414. Die Schlußakte besteht aus dem Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO)415, dem Protokoll von Marrakesch zum Allgemeinen Zoll- und Handelsübereinkommen von 1994416, dem Allgemeinen Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen417, dem Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums418 und einer Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten419. Die Verhandlungen für den Abschluß der 8. GATT-Runde gestalteten sich über den gesamten Berichtszeitraum schwierig. Die Bundesregierung brachte dabei mehrfach in Parlamentarischen Anfragen ihre Haltung zum Ausdruck. Sie hielt beispielsweise einen Beitritt der Mitgliedstaaten neben der Europäischen Gemeinschaft für notwendig. Dies sei unter anderem deswegen erforderlich, weil das Abkommen über eine "Multilateral Trade Organization" (MTO) auch Abkommensteile enthalten werde, bei denen gemeinsame Zuständigkeiten mit der EU und/oder ausschließliche Zuständigkeiten der EU-Mitgliedstaaten bestünden. Eine Mitgliedschaft der Europäischen Union ohne Beteiligung der EU-Mitgliedstaaten würde dieser Situation nicht gerecht werden420.
    Zum Stellenwert des Umweltschutzes im Rahmen der MTO führte die Bundesregierung aus:

    "Die Bundesregierung hält es für notwendig, daß bei einer Umsetzung der bei der MTO angesiedelten Abkommen die Möglichkeit notwendiger Umweltschutzmaßnahmen unangetastet bleibt, so wie dies jetzt schon im geltenden GATT 1947 der Fall ist (Art. XX GATT). Sie begrüßt, daß die Präambel des Entwurfs des MTO-Abkommens ausdrücklich auf die Notwendigkeit einer nachhaltigen umweltverträglichen Entwicklung hinweisen soll. Damit wird auch den bei der UNCED verabschiedeten Prinzipien Rechnung getragen. So werden z. B. die Abkommen der Uruguay-Runde über Dienstleistungen und über die Behandlung von technischen, sanitären und phytosanitären Normen umweltrelevante Gesichtspunkte berücksichtigen. Eine umfassendere Einbeziehung der komplexen Fragen des Verhältnisses von Handel und Umwelt in die Verhandlungen der Uruguay-Runde würde deren Rahmen sprengen. Nach Auffassung einer Vielzahl von Teilnehmern der Uruguay-Runde, insbesondere auch Entwicklungsländern, sind Verhandlungen über detaillierte Regelungen zu Handel und Umwelt für die nächste multilaterale Verhandlungsrunde vorzusehen. Diese Auffassung wird von der Bundesregierung geteilt."421

    In diesem Zusammenhang sprach sich die Bundesregierung auch gegen eine Berücksichtigung der Themen "Menschenrechte" und "Arbeitssicherheit" im Rahmen der MTO aus:
    "Die Themen Menschenrechte und Arbeitssicherheit sowie sozial ausgewogene Entwicklungen gehören nicht zu den Handelsregeln, für die die Abkommen der Uruguay-Runde geschaffen werden sollen. Es besteht kein Anlaß, diese Aufgaben, die gegenwärtig im Rahmen der Vereinten Nationen bzw. der Internationalen Arbeitsorganisation wahrgenommen werden, in diese Abkommen aufzunehmen."422

    Im Hinblick auf die Ergebnisse eines Gutachtens des US-Congressional Research Center, wonach die MTO erheblich in die Hoheitsrechte von souveränen Staaten eingreife und dem US-Kongress Vorgaben bei der Gesetzgebung machen könne, betonte die Bundesregierung, daß nach ihrer Auffassung die MTO nicht in die Hoheitsrechte von souveränen Staaten eingreifen werde423.
    In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage zu den Auswirkungen des GATT-Abkommens auf die deutsche Film- und Fernsehindustrie äußerte sich die Bundesregierung zum Verhältnis des im Ratifikationsstadium befindlichen Europäischen Übereinkommens vom 2. Oktober 1992 über die Gemeinschaftsproduktion von Kinofilmen424 zu den geplanten GATT-Regelungen. Die Bundesregierung betonte, das Europäische Übereinkommen sei niemals Gegenstand der Verhandlungen gewesen. Sie halte die Filmförderung auch in Zukunft für notwendig und sinnvoll. Zu den Auswirkungen des geplanten Dienstleistungsabkommens führte sie aus:
    "Der Entwurf des Rahmenabkommens selbst sieht keine Abbauverpflichtungen für Subventionen oder andere Begrenzungen hinsichtlich Form oder Inhalt vor. Art. XV stellt lediglich fest, daß unter bestimmten Umständen Subventionen eine den internationalen Dienstleistungshandel verzerrende Wirkung haben können und fordert die Mitgliedstaaten auf, in multilaterale Verhandlungen einzutreten, um gemeinsame Regeln für diesen Fall zu entwickeln. Eine solche verzerrende Wirkung ist im Bereich des Kinofilms und der Kinofilmförderung angesichts der marktbeherrschenden Stellung der amerikanischen Filmindustrie nicht begründbar. [...] Die einzig denkbare Verpflichtung in diesem Bereich könnte der Anspruch auf Inländerbehandlung sein. Das in der EG z.Z. vorbereitete EG-Liberalisierungsangebot enthält deshalb einen allgemeinen Subventionsvorbehalt, nach dem die Gewährung von Subventionen der EG oder ihrer Mitgliedstaaten auf in der EG niedergelassene Unternehmen oder Staatsangehörige der EG Staaten beschränkt werden kann. Darüber hinaus will die Kommission in ihr Angebot einen audiovisuell-spezifischen Subventionsvorbehalt aufnehmen."425

    Zu ihrer Haltung zum Dienstleistungsabkommen in diesem Bereich führte die Bundesregierung weiter aus:
    "Die Bundesregierung unterstützt die EG-Kommission in der Absicht, die Einfügung einer Kulturklausel in das Dienstleistungsabkommen zu fordern. Sie folgt damit auch dem Auftrag des Art. 128 EG-Vertrag. Diese Klausel würde es der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten erlauben, ihre kulturellen Wertvorstellungen im audiovisuellen Sektor zu bewahren und weiter zu entwickeln. Sie könnten evtl. späteren weitergehenden Liberalisierungsforderungen anderer MTO-Mitglieder entgegengehalten werden. Im übrigen ist die Gemeinschaft aufgrund des GATS ohnehin in der Lage, den Inhalt ihrer Liberalisierungsverpflichtungen selbst zu bestimmen. Das z.Z. in der EG vorbereitete Liberalisierungsangebot der EG wird die zur Wahrung der Deutschen Rundfunk- und Filmpolitik notwendigen Vorbehalte und Beschränkungen enthalten."426

    194. Im 6. Ausschuß der Generalversammlung der Vereinten Nationen sprach sich der belgische Vertreter für die Europäische Union gegen eine Kodifikation des Internationalen Wirtschaftsrechts aus:

    "Comme nous l'avons constamment affirmé, l'Union européenne ne croit donc pas que le moment soit venu de se livrer à une codification relative au nouvel ordre économique international. Une telle codification supposerait qu'existât au préalable une certaine convergence de vues au sein de la communauté internationale sur les principes et normes admissibles. Or, elle n'en est pas encore là. Il est significatif, à cet égard, que peu de progrès ait été accompli dans les projets de codifications relatifs aux sociétés transnationales et au transfert de la technologie."427



    413Informationserlaß des Auswärtigen Amtes vom 21.12.1993, abgedruckt in: Deutsche Außenpolitik nach der Einheit (Anm. 20), 413 ff.; vgl. auch die Erklärung des Bundesaußenministers in Bull. Nr. 113 vom 17.12.1993, 1251.
    414BGBl. 1994 II, 1441.
    415BGBl. 1994 II, 1443 (englisch), 1625 (deutsch).
    416BGBl. 1994 II, 1453 (englisch), 1631 (deutsch).
    417BGBl. 1994 II, 1473 (englisch), 1643 (deutsch).
    418BGBl. 1994 II, 1565 (englisch), 1730 (deutsch).
    419BGBl. 1994 II, 1598 (englisch), 1749 (deutsch).
    420Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Parlamentarische Anfrage, BT-Drs. 12/6470, 26.
    421Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drs. 12/4389, 4.
    422Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drs. 12/4389, 4 f.; vgl. auch die Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage, BT-Drs. 12/5255, 9.
    423Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage, BT-Drs. 12/5255, 17.
    424BT-Drs. 12/5836; vgl. bereits oben Ziff. 131.
    425Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drs. 12/6339, 6.
    426Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drs. 12/6339, 7.
    427Positions of Germany (Anm. 1), 329.