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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1993


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Christian Walter

XV. Europäische Gemeinschaften

b. Außenbeziehungen

    210. Am 31. März 1993 erging das Zustimmungsgesetz zu dem Abkommen vom 2. Mai 1992 über den europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen)540. Mit dem EWR-Abkommen wird die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den EFTA-Staaten auf eine neue vertragliche Grundlage gestellt. Die EFTA-Staaten werden weitgehend in den Binnenmarkt der Gemeinschaft einbezogen. Auf der Grundlage voller Gegenseitigkeit wird die Freizügigkeit von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital auf die EFTA-Staaten ausgedehnt541. Da die Schweiz aufgrund eines negativen Volksentscheids vom 6. Dezember 1992 nicht an dem EWR-Abkommen teilnehmen konnte, die übrigen Mitgliedstaaten aber an dem Abkommen festhalten wollten, wurde eine Anpassung erforderlich. Das Anpassungsprotokoll beschränkt sich weitgehend auf technische Anpassungen, die infolge der Nichtteilnahme der Schweiz erforderlich wurden. Materiell-rechtliche Änderungen beziehen sich lediglich auf das Inkrafttreten des EWR-Abkommens im allgemeinen und für Liechtenstein im besonderen, die Möglichkeit eines späteren Beitritts der Schweiz zum EWR, die Zinszuschüsse beim Finanzierungsmechanismus sowie den Zeitpunkt der Teilnahme der EFTA-Staaten an Rahmenprogrammen der Gemeinschaft, z. B. in der Forschung. Das Zustimmungsgesetz zu dem Anpassungsprotokoll vom 17. März 1993 erging am 25. August 1993542. Das Gesetz zur Ausführung des EWR-Abkommens (EWR-Ausführungsgesetz) vom 27. April 1993543 wurde am 27. September 1993 angepaßt544.

    211. Am 22. Juli 1993 stimmte der Bundestag dem Abkommen vom 16. Dezember 1991 über eine Zusammenarbeit und eine Zollunion zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik San Marino zu545. Mit dem Abkommen vom 16. Dezember 1991 soll die Republik San Marino in das Zollgebiet der Gemeinschaft einbezogen werden. Bislang waren die Beziehungen zwischen der Gemeinschaft und San Marino nur durch einen einseitigen Beschluß der Gemeinschaft sowie durch das 1939 zwischen Italien und San Marino geschlossene Abkommen geregelt. Es handelt sich um ein gemischtes Abkommen, das Materien regelt, die teils in die Kompetenz der Gemeinschaft, teils in die Kompetenz der Mitgliedstaaten fallen. Die Zollunion umfaßt die Befreiung von allen Einfuhr- und Ausfuhrzöllen (Art. 5 und 6). Außerdem ist mit ihr ein Verbot aller mengenmäßigen Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung im Handel zwischen San Marino und der Gemeinschaft verbunden (Art. 9). In den Art. 14 – 19 ist eine Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien geregelt, die Art. 20 – 22 enthalten sozialrechtliche Bestimmungen.
    Am 20. Dezember 1993 unterzeichneten die Gemeinschaft und Indien ein Kooperationsabkommen über Partnerschaft und Entwicklung546.

    212. Zur Beitrittsperspektive der assoziierten mittel- und osteuropäischen Länder heißt es in den Schlußfolgerungen des Vorsitzenden der Tagung der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft vom 21. und 22. Juni 1993 in Kopenhagen:

    "Der Europäische Rat hat heute beschlossen, daß die assoziierten mittel- und osteuropäischen Länder, die das wünschen, Mitglieder der Europäischen Union werden können. Der Beitritt kann erfolgen, sobald ein assoziiertes Land in der Lage ist, den mit einer Mitgliedschaft verbundenen Verpflichtungen nachzukommen und die erforderlichen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen zu erfüllen. Als Voraussetzung für die Mitgliedschaft muß der Beitrittskandidat eine institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten verwirklicht haben; sie erfordert ferner eine funktionsfähige Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union Stand zu halten. Die Mitgliedschaft setzt voraus, daß die einzelnen Beitrittskandidaten die aus einer Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen übernehmen und sich auch die Ziele der politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion zu eigen machen können. [...]. Der Europäische Rat war sich darin einig, daß die künftige Zusammenarbeit mit den assoziierten Ländern auf das nunmehr feststehende Ziel einer Mitgliedschaft abzustimmen ist "547.
    Die Beitrittsperspektive wurde auch in einer gemeinsamen Erklärung der Außenminister von Deutschland, Frankreich und Polen vom 12. November 1993 bestätigt:
    "Wir bekräftigen, daß Polen und die anderen assoziierten Staaten in Mittel- und Osteuropa berufen sind, der Europäischen Union anzugehören, sobald sie die hierfür notwendigen Voraussetzungen erfüllen. Eingedenk der Tatsache, daß die Zusammenarbeit mit den assoziierten Staaten auf das Ziel des Beitritts ausgerichtet ist, werden Deutschland und Frankreich Polen bei diesem Prozeß nachdrücklich unterstützen"548.
    Am 26. August 1993 ergingen die Zustimmungsgesetze zu den Assoziierungsabkommen mit Polen549 und Ungarn550. Am 1. Februar 1993 wurde ein Assoziierungsabkommen mit Rumänien551 und am 8. März 1993 ein Assoziierungsabkommen mit Bulgarien552 geschlossen. Aufgrund der Auflösung der Tschechoslowakei zum 1. Januar 1993 mußte das am 16. Dezember 1991 unterzeichnete Assoziierungsabkommen angepaßt werden553. Dies geschah durch den Abschluß zweier neuer Abkommen am 4. Oktober 1993 mit der Slowakischen Republik554 und der Tschechischen Republik555. Die beiden Abkommen stimmen im wesentlichen mit dem zuvor mit der Tschechoslowakei geschlossenen Abkommen überein556.

    213. In ihrer Antwort auf eine Schriftliche Anfrage äußerte sich die Bundesregierung zur Frage, warum die Anwendung des Handelsteiles des Assoziierungsabkommens mit Bulgarien nicht wie bei den anderen Assoziierungsabkommen durch ein Interimsabkommen über die vorläufige Anwendbarkeit in Kraft gesetzt werden konnte. Sie wies darauf hin, daß die Inkraftsetzung durch einen EG-internen Streit über das Schutzklauselverfahren blockiert sei, der allerdings nicht das Interimsabkommen als solches betreffe. Die Kommission habe eine Durchführungsverordnung vorgeschlagen, mit der ihr die Kompetenz für alle Schutzklauseln bei Marktstörungen zugewiesen werde und der Rat lediglich auf die Möglichkeit verwiesen sei, mit qualifizierter Mehrheit die Kommissionsentscheidung zu modifizieren (negative Mehrheit). Zu ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der Einführung eines solchen Verfahrens führte die Bundesregierung aus:

    "Die EG-Kommission hat dem Rat vor einiger Zeit zum allgemein geltenden handelspolitischen EG-Entscheidungsverfahren vorgeschlagen, ihr - entgegen der geltenden Regelungen - die Kompetenz für alle handelspolitischen Schutzmaßnahmen zu übertragen und dem Rat lediglich die Möglichkeit zu belassen, mit qualifizierter Mehrheit die Kommissionsentscheidung zu modifizieren (negative Mehrheit). Nach dem bisherigen Verfahren kann die Kommission zwar vorläufige Maßnahmen treffen, die jedoch außer Kraft treten, wenn sie der EG-Rat innerhalb von 3 Monaten nicht mit positiver qualifizierter Mehrheit bestätigt (Art. 15 der VO (EWG), 288/82). Dieses Verfahren gibt der Bundesrepublik Deutschland und anderen Mitgliedstaaten, die für eine liberale Handelspolitik eintreten, die Möglichkeit, ungerechtfertigte protektionistische Maßnahmen durch ihre blockierende Minderheit zu verhindern. Diese liberalen Staaten befürchten, daß durch eine Zustimmung zur Bulgarien-Verordnung ein Präjudiz in dieser grundsätzlichen Frage geschaffen würde"557.

    214. Zum Verhältnis des Abfallexportverbots aus Art. 39 des Lomé-IV-Übereinkommens zu der in Art. 11 des Baseler Übereinkommens über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung558 vorgesehenen Möglichkeit, mehrseitige oder regionale Übereinkünfte oder andere Vereinbarungen mit Vertragsparteien oder Nichtvertragsparteien des Baseler Übereinkommens auch hinsichtlich von Sekundärrohstoffen zu schließen559, führte die Bundesregierung aus:

    "Das Verbot aus Art. 39 des Lomé-IV-Übereinkommens, das den Export gefährlicher Abfälle in AKP-Staaten untersagt, wurde von der EG durch Art. 18 der EG-Abfallverbringungsverordnung 259/93 umgesetzt. Die Bundesregierung hat deshalb AKP-Staaten kein Angebot für Vereinbarungen über den Export von Sekundärrohstoffen in diese Staaten gemacht"560.



    540BGBl. 1993 II, 266; in Kraft seit 1.1.1994, BGBl. 1993 II, 2436 und 1994 II, 515.
    541Vgl. dazu bereits Langenfeld (Anm. 7), Ziff. 178.
    542BGBl. 1994 II, 1294.
    543BGBl. 1993 I, 512.
    544BGBl. 1993 I, 1666.
    545BGBl. 1993 II, 1130.
    546Bull. Nr. 1 vom 4.1.1994, 7.
    547Bull. Nr. 60 vom 8.7.1993, 632.
    548Bull. Nr. 100 vom 18.11.1993, 1122.
    549BGBl. 1993 II, 1316; vgl. dazu bereits Marauhn (Anm. 135), Ziff. 168.
    550BGBl. 1993 II, 1472; vgl. dazu bereits Marauhn, ibid., Ziff. 168.
    551BGBl. 1994 II, 2957.
    552BGBl. 1994 II, 2753.
    553Vgl. dazu bereits Langenfeld (Anm. 7), Ziff. 179.
    554BGBl. 1994 II, 3126.
    555BGBl. 1994 II, 3320.
    556Vgl. dazu FAZ vom 5.10.1993, 6.
    557Antwort der Bundesregierung auf eine Schriftliche Anfrage, BT-Drs. 12/5905, 52.
    558Vgl. dazu bereits oben Ziff. 190
    559Vgl. dazu bereits oben Ziff. 202.
    560Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drs. 12/6278, 4.