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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1999


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Christian Walter

IX. Menschenrechte und Minderheiten

d. Minderheiten

    95. In seiner Ansprache vor der Vollversammlung der 48. Generalversammlung der Vereinten Nationen wies Bundesaußenminister Kinkel auf die Verbindung zwischen Menschenrechts- und Minderheitenschutz hin:

    "Human rights and protection of minorities belong together. Racism, cultural arrogance and the delusion of wanting to create 'ethnically clean' areas constitute a threat to peace."196

    96. Zum Vorhaben eines Zusatzprotokolls über Minderheitenrechte zur Europäischen Menschenrechtskonvention äußerte sich die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage:

    "Die Bundesregierung hält rechtliche Regelungen zum Schutze nationaler Minderheiten, die ganz wesentlich zur Konfliktprävention in Europa beitragen können, für ein wichtiges Anliegen. Es erscheint auch sinnvoll, entsprechende Regelungen durch Aufnahme in ein Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention der Kontrolle durch die - auf der Grundlage der Konvention eingerichteten - Organe (Europäische Kommission für Menschenrechte und Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) zu unterwerfen. Die Bundesregierung tritt im Ministerkomitee mit großem Nachdruck für das Vorhaben ein und fördert die vorbereitenden Arbeiten, die derzeit im Europarat auf Expertenebene in dem Ende 1992 neu eingerichteten Ausschuß zum Schutz nationaler Minderheiten (DH-MIN) durchgeführt werden. Diese Arbeiten beziehen neben den anderen bereits vorliegenden Vorschlägen auch den in der Empfehlung 1203 (1993) der Parlamentarischen Versammlung enthaltenen Entwurf des Ausschusses für Recht und Menschenrechte für ein Zusatzprotokoll ein."197

    97. In der gemeinsamen deutsch-lettischen Erklärung über die Grundlagen der Beziehungen zwischen den beiden Staaten vom 20. April 1993 ist folgende Klausel zum Minderheitenschutz enthalten:

    "Beide Seiten stimmen darin überein, daß den Bürgern deutscher Abstammung in Lettland sowie den Bürgern lettischer Abstammung in Deutschland gemäß ihrer freien Entscheidung die Pflege der Sprache, Kultur und nationalen Traditionen sowie die freie Religionsausübung ermöglicht werden. Beide Seiten bekräftigen, daß die Erhaltung der kulturellen Identität und der Lebensrechte dieser Bürger eine bedeutende Funktion beim Ausbau der Beziehungen einnimmt. Dementsprechend ermöglichen und erleichtern sie im Rahmen der geltenden Gesetze der anderen Seite Förderungsmaßnahmen zugunsten dieser Personen und ihrer Organisationen."198
    Wortgleiche Klauseln sind in der deutsch-estnischen Erklärung über die Grundlagen der Beziehungen199 und der deutsch-litauischen Erklärung über die Grundlagen der Beziehungen200 enthalten. Auch in die deutsch-ukrainische201 und die deutsch-georgische Erklärung über die Grundlagen der Beziehungen202 sind vergleichbare Bestimmungen aufgenommen.

    98. In ihrer Denkschrift zum deutsch-rumänischen Vertrag über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa203 betonte die Bundesregierung die Bedeutung der minderheitenrechtlichen Regelungen des Vertrages:

    "Angesichts der Bedeutung der Minderheitenfrage für die weitere Entwicklung der bilateralen und multilateralen Beziehungen enthält der Vertrag eine rechtlich verbindliche Regelung des Status und der Rechte der deutschen Minderheit in Rumänien. Die deutsche Minderheit wird in ihrer Existenz förmlich anerkannt. Sie erhält eine gesicherte Grundlage für ihre Entfaltung in der angestammten Heimat, indem der europäische Standard der Minderheitenrechte, wie er insbesondere im Dokument des Kopenhagener Treffens über die menschliche Dimension der KSZE niedergelegt ist, in dem Vertrag völkerrechtlich verbindlich festgeschrieben wird. Darüber hinaus werden wesentliche Rechte der deutschen Minderheit im einzelnen genannt und ihre Förderung sowie ihr Schutz beiderseitig bindend ebenso festgelegt wie das Recht der Rumäniendeutschen auf Beteiligung an Entscheidungen, die die Erhaltung der Identität betreffen. Diese Regelung des Minderheitenschutzes kann als beispielhaft gelten.
    Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang auch der speziellen Schiedsklausel im Minderheitenartikel zu, die vorsieht, daß bei Meinungsverschiedenheiten über Auslegung und Verwirklichung des vereinbarten Minderheitenschutzes die geltenden KSZE-Streitregelungsverfahren Anwendung finden."204

    99. In seiner Erklärung in der Plenarsitzung beim Gipfeltreffen des Europarats in Wien betonte der Bundeskanzler, daß es zwar verschiedene Mittel gebe, um einen wirksamen Schutz der Rechte nationaler Minderheiten zu erreichen, daß aber insbesondere ein multilaterales Übereinkommen zum Minderheitenschutz erforderlich sei:

    "Wir haben - vor allem im Rahmen der KSZE - einen hohen Standard politischer Verpflichtungen zum Schutz nationaler Minderheiten vereinbart. Es muß uns jetzt darum gehen, auf dieser Grundlage Regelungen zum Schutz nationaler Minderheiten in einer Rahmenkonvention und in einem Zusatzprotokoll verbindlich festzulegen. Zu einem solchen Zusatzprotokoll gehört selbstverständlich auch eine klare Definition des Begriffs der nationalen Minderheiten."205
    Zur Bedeutung des Minderheitenschutzes führte Bundeskanzler Kohl beim Symposium "Migration und Kulturwandel" des österreichischen Rundfunks in Wien am 5. Oktober folgendes aus:
    "In früheren Jahren haben wir auf dem individuellen Recht bestanden, das eigene Land verlassen und wieder dorthin zurückkehren zu dürfen. Heute müssen wir aber das eigentlich selbstverständliche Recht zum Verbleib im eigenen Land zu einem Kernelement des internationalen Zusammenlebens machen. Die internationale Gemeinschaft muß Instrumente weiterentwickeln, um politischen Praktiken von Ländern entgegenzuwirken, die Emigration erzeugen. Die Völkergemeinschaft muß das 'Recht zu bleiben' als eine wichtige logische Entsprechung zum 'Recht wegzugehen' durchsetzen."206

    100. In einer Antwort auf eine Große Anfrage zur Situation der niederdeutschen Sprache vertrat die Bundesregierung die Auffassung, daß Niederdeutsch nicht als Regional- oder Minderheitensprache im Sinne des Art. 1 der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen207 qualifiziert werden könne.

    "Mit Beschluß vom 14. April 1993 beantragte die Konferenz Norddeutschland, Niederdeutsch zu Teil II der Charta zu benennen. Bei Niederdeutsch handelt es sich nicht um eine Regional- oder Minderheitensprache im Sinne des Art. 1 der Charta. Dessen ungeachtet ist die Bundesregierung bereit, dem Antrag der Konferenz Norddeutschland zu entsprechen. Zwar sieht die Charta keine ausdrückliche Anmeldung für Sprachen vor, die unter Teil II der Charta fallen. Die Bundesregierung hat sich jedoch in Absprache mit den betroffenen Ländern entschlossen, über diese Regelung hinauszugehen und im Europarat speziell auch Niederdeutsch zu notifizieren, d. h. Teil II der Charta anzuwenden, um die Schutz- und Förderwürdigkeit dieser Sprache auch im internationalen Rahmen des Europarats zu dokumentieren."208
    Außerdem wurde mit den Vertretern der betroffenen Bundesländer Brandenburg, Sachsen und Schleswig-Holstein Einvernehmen darüber erzielt, Dänisch und Sorbisch als Minderheitensprachen im Sinne der Charta zu Teil 3 der Charta zu benennen209.

    101. Das am 10. Juli 1992 in Moskau unterzeichnete Protokoll über die Zusammenarbeit zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Russischen Föderation zur stufenweisen Wiederherstellung der Staatlichkeit der Rußland-Deutschen210 ist mit Wirkung vom 23. März 1993 von der russischen Regierung in Kraft gesetzt worden. Die Bundesregierung bewertete das Inkrafttreten dieser deutsch-russischen Vereinbarung als eine "bedeutsame Initiative für die Selbstverwaltung der Rußland-Deutschen"211.
    Die Situation der Rußland-Deutschen in den Krisengebieten der ehemaligen Sowjetunion war mehrfach Gegenstand von Antworten der Bundesregierung auf schriftliche Parlamentarische Anfragen. Die Bundesregierung habe veranlaßt, daß die Anträge von Aussiedlern aus Krisengebieten im Bundesverwaltungsamt sofort bearbeitet würden. Auch hätten die Länder zugesagt, bei solchen Anträgen das Zustimmungsverfahren zu beschleunigen212. Die Bundesregierung stehe über die in allen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, bis auf Turkmenistan und Tadschikistan, vorhandenen Botschaften mit den deutschen Minderheiten in ständigem Kontakt. Die betroffenen Deutschen würden konsularisch betreut213. Insgesamt sei die Politik der Bundesregierung gegenüber den Deutschen in den Ländern der GUS darauf gerichtet, ihnen durch gezielte kulturelle, gemeinschaftsfördernde, humanitäre und wirtschaftliche Hilfsmaßnahmen Perspektiven für den Verbleib in ihrer angestammten Heimat zu geben. Die Bundesregierung respektiere aber auch die Entscheidung der Deutschen, die trotz dieser Möglichkeiten ausreisen wollten. Sie versuche durch Maßnahmen verschiedenster Art, die Rußland-Deutschen über das gesellschaftliche, berufliche, wirtschaftliche und soziale Leben in Deutschland zu informieren und damit ihre Entscheidung zu erleichtern. Sie lasse beispielsweise deutschsprachige Zeitungen und Zeitschriften in Begegnungsstätten und anderen Institutionen in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion verbreiten214.
    Um sich über die Lage der Deutschstämmigen in Tadschikistan vor Ort zu informieren habe die Bundesregierung noch im Dezember 1992 eine fact-finding-mission aus Vertretern des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums des Innern und des Deutschen Roten Kreuzes nach Tadschikistan entsandt. Dabei sei es auch darum gegangen, Unterstützungsmöglichkeiten vor Ort zu prüfen215.
    Am 1. und 2. November 1993 fand die vierte Sitzung der deutsch-russischen Regierungskommission für die Angelegenheiten der Rußland-Deutschen statt. Neben dem Beschluß, die in der Durchführung befindlichen Projekte auch im Jahre 1994 fortzuführen, wurde als neues Vorhaben die Errichtung von bäuerlichen Betrieben von Rußland-Deutschen im Raum Sankt Petersburg in Aussicht genommen. Dabei werden auf deutscher Seite die Bundesregierung und die Regierung des Landes Baden-Württemberg die Finanzierung von Wohngebäuden und Betrieben übernehmen, die russische Seite stellt die äußere Erschließung des Geländes sicher. Für die Entwicklung einer deutsch-russischen Verwaltungshochschule erklärte die deutsche Seite ihre Bereitschaft, die Entwicklung von Hochschulpartnerschaften, Fortbildungspraktika sowie Dozentenaustausch, Stipendien u.Ä. zu unterstützen. Auch wurde die Gründung einer deutsch-russischen Universität in Aussicht genommen216.

    102. In einer Antwort auf eine schriftliche Parlamentarische Anfrage brachte die Bundesregierung ihre Auffassung zum Ausdruck, daß die von der Bundesregierung verfolgten Ziele, die Integration der deutschen Minderheit in Polen in ihr polnisches Umfeld zu fördern und gleichzeitig den Deutschen in Polen Schutz ihrer Rechtsstellung sowie Erhaltung bzw. Wiedergewinnung der eigenen deutschen Identität in Sprache und Kultur zu gewähren, kompatibel seien.

    "Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit hat mit seinen umfassenden Bestimmungen im Minderheitenbereich die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß der Prozeß der Assimilation der deutschen Minderheit in Polen zum Stillstand gebracht und Maßnahmen zur Erhaltung ihrer Identität möglich wurden. Zwischen der Förderung der Erhaltung dieser Identität und dem Ziel, die deutsche Minderheit in Polen in ihr polnisches Umfeld zu integrieren, besteht kein Widerspruch. Die Bemühungen um eine Erhaltung ihrer Identität als Minderheit haben auf Dauer nur Aussicht, wenn die Angehörigen der deutschen Minderheit in Polen von ihren polnischen Mitbürgern als Nachbarn akzeptiert werden. Dies setzt beständige Anstrengungen auf beiden Seiten voraus: bei der Mehrheitsbevölkerung Verständnis für das Identitätsbedürfnis der Minderheit, auf seiten der Minderheit ein Verhalten als loyale Bürger des polnischen Staates."217

    103. Auf die Frage nach ihrer Haltung zur Entfernung von Ortsschildern in ungarischer Sprache in den Wohngebieten der ungarischen Minderheit in der Slowakei durch slowakische Behörden antwortete die Bundesregierung:

    "Der Bundesregierung ist bekannt, daß es in der Slowakei in jüngster Zeit erneut zur demonstrativen Demontage eines ungarisch-sprachigen Ortsschildes gekommen ist, die auf seiten der örtlichen ungarisch-stämmigen Bevölkerung ebenso demonstrative Proteste zur Folge hatte. Der Vorgang sollte nicht überbewertet werden. Die Bundesregierung nimmt den Fall dennoch im Hinblick auf die Tatsache ernst, daß sich die Slowakei im Zusammenhang mit der Aufnahme in den Europarat verpflichtet hat, die Empfehlungen der parlamentarischen Versammlung auch in der Frage der zweisprachigen Ortsbeschilderung umzusetzen. [...] Die Bundesregierung wird sich auch weiterhin nachdrücklich für die Einhaltung der europäischen Standards der Minderheitenrechte, wie sie u. a. im Rahmen des Europarats und der KSZE definiert sind, einsetzen. Sie ist der Auffassung, daß ein Land, das dem Europarat beitritt, die gesetzten Mindeststandards erfüllen muß. Deshalb sollte das Ministerkomitee als politisches Entscheidungsgremium die Möglichkeit behalten, die Erfüllung der Mindestanforderungen zu überprüfen. Die Bundesregierung wird in Abstimmung mit den Partnern in der EG auch im Komitee der Ministerbeauftragten des Europarats die Problematik anhängig machen."218

    104. Die Bundesregierung hat die Situation in Tibet auch unter dem minderheitenrechtlichen Gesichtspunkt der ethnischen, religiösen und kulturellen Eigenständigkeit der Tibeter kritisiert219.
 


    196UN Doc.A/48/PV.8, 14; Positions of Germany (Anm. 1), 3.
    197Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drs. 12/4721; vgl. auch Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Parlamentarische Anfrage, BT-Drs. 12/4951, 14.
    198Bull. Nr. 33 vom 24.4.1993, 288.
    199Bull. Nr. 35 vom 5.5.1993, 304, 306.
    200Bull. Nr. 66 vom 29.7.1993, 695, 696.
    201Bull. Nr. 53 vom 17.6.1993, 557, 560.
    202Bull. Nr. 57 vom 30.6.1993, 598, 600.
    203Vgl. dazu bereits Langenfeld (Anm. 7), Ziff. 94.
    204BT-Drs. 12/4273, 14.
    205Bull. Nr. 91 vom 26.10.1993, 1026.
    206Bull. Nr. 85 vom 13.10.1993, 970.
    207EuGRZ 1993, 154; vgl. dazu Langenfeld (Anm. 7), Ziff . 77.
    208Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage, BT-Drs. 12/6073, 4.
    209Ebenda, 5.
    210Bull. Nr. 45 vom 30.4.1992, 410 ff.; zum Inhalt des Protokolls vgl. bereits Langenfeld (Anm. 7), Ziff. 78.
    211Bull. Nr. 25 vom 25.3.1993, 215.
    212Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Parlamentarische Anfrage, BT-Drs. 12/4792, 6.
    213Vgl. die Nachweise oben Ziff. 49.
    214Antwort der Bundesregierung auf eine Schriftliche Anfrage, BT-Drs. 12/4792, 7.
    215Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Parlamentarische Anfrage, BT-Drs. 12/4735, 2.
    216Bull. Nr. 95 vom 4.11.1993, 1066 f.
    217Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Parlamentarische Anfrage, BT-Drs. 12/5189, 4.
    218Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Parlamentarische Anfrage, BT-Drs. 12/5622, 3 f.
    219Vgl. bereits oben, Ziff. 91.