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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Carsten Stahn


VII. Asylrecht

1. Politische Verfolgung

      36. In seinem Beschluß vom 15.2.2000 (2 BvR 752/97 = InfAuslR 2000, 254) entschied das BVerfG anläßlich der Verfassungsbeschwerde eines kurdischen Asylbewerbers, daß auch Maßnahmen der staatlichen Selbstverteidigung im Rahmen der Terrorismusbekämpfung asylrechtsbegründend sein können. Das BVerfG begründete seine Entscheidung unter Berufung auf seine frühere Rechtsprechung, wonach auch eine nicht asylerhebliche Strafverfolgung in politische Verfolgung umschlagen könne, wenn objektive Umstände darauf schließen lassen, daß der Betroffene wegen eines asylerheblichen Merkmals eine härtere als die sonst übliche Behandlung erleide.41 Zwar seien Maßnahmen des Staates generell keine Verfolgung, wenn sie aktiven Terroristen oder Teilnehmern und Unterstützern von terroristischen Aktivitäten gelten. Jedoch liege auch die betätigte politische Überzeugung im Schutzbereich des Asylgrundrechts. Nicht asylbegründend seien staatliche Maßnahmen nur dann, wenn sie sich auf die Abwehr des Terrorismus beschränkten. Werde hingegen über die Bekämpfung von Straftaten hinaus der politische Gegner unter Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal verfolgt, komme den dabei ergriffenen staatlichen Maßnahmen asylbegründende Wirkung zu. Insbesondere vermöge eine angebliche Terrorismusbekämpfung keinen staatlichen Gegenterror zu rechtfertigen, der darauf gerichtet sei, die nicht unmittelbar beteiligte zivile Bevölkerung in Erwiderung des Terrorismus unter den Druck brutaler staatlicher Gewalt zu setzen. Auch die besondere Intensität der Verfolgungsmaßnahme könne ein Umstand sein, der darauf schließen lasse, daß es sich um Maßnahmen politischer Verfolgung unter dem Mantel der Terrorismusbekämpfung handele. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, ob der Asylbewerber Opfer von besonders extremen, menschenrechtswidrigen Behandlungen geworden sei und ob die staatlichen Maßnahmen härter seien als dies bei der Verfolgung ähnlicher, nicht-politischer Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit der Fall sei.

      37. Das BVerwG hatte in seinem Urteil vom 25.7.2000 (9 C 28/99 = NVwZ 2000, 1426) über das Asylbegehren eines sri-lankischen Staatsangehörigen tamilischer Volkszugehörigkeit zu entscheiden, der seine politische Verfolgung mit dem Argument begründete, er sei als möglicher Anhänger der tamilischen Separatistenorganisation LTTE von sri-lankischen Sicherheitskräften verhaftet, fünf Tage lange in einer verdunkelten Einzelzelle festgehalten sowie geschlagen und mit brennenden Zigaretten mißhandelt worden. Nachdem das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag abgelehnt und das OVG Münster die Klage auf Feststellung der Voraussetzungen des � 51 AuslG abgewiesen hatte, erachtete das BVerwG die Revision als begründet. Es nahm dabei auf die oben dargestellte Rechtsprechung des BVerfG Bezug. Das BVerwG führte unter Berufung auf die Rechtsprechung des BVerfG aus, zulässige Terrorismusbekämpfung könne jedenfalls dann in asylerhebliche Verfolgung umschlagen wenn sie mit erheblichen körperlichen Mißhandlungen oder übermäßig langen Freiheitsentziehungen verbunden sei. In diesen Fällen spreche sogar eine Vermutung dafür, daß sie staatlichen Maßnahmen den Einzelnen zumindest auch wegen seiner asylerheblichen Merkmale treffen und deshalb politische Verfolgung darstellen. Werde Folter angewendet, gelte diese Vermutung in erhöhtem Maße. Der Tatrichter müsse daher sorgfältig prüfen, ob es besondere Gründe gebe, die es erlauben, solche Eingriffe ausnahmsweise nicht als politische Verfolgung anzusehen, etwa weil es sich um "landesübliche" und auch in vergleichbaren Fällen ohne politischen Bezug eingesetzte Maßnahmen handele. Je gravierender die Maßnahme in die Freiheit oder in die körperliche Unversehrtheit eingreife, desto gründlicher müsse diese Prüfung erfolgen. Dabei treffe den Asylbewerber hierfür keine Darlegungs- und Beweislast.

      38. In seinem Beschluß vom 10.8.2000 (2 BvR 260 und 1353/98 = DVBl. 2000, 1518 = EuGRZ 2000, 388)42 nahm das BVerfG zum Prüfungsmaßstab quasi-staatlicher Verfolgung im Rahmen von Art. 16 a Abs. 1 GG Stellung. Das BVerfG hob mit seiner Entscheidung die Urteile des BVerwG vom 4.11.199743 und vom 19.5.199844 auf, worin das BVerwG afghanischen Bürgerkriegsflüchtlingen Asyl verwehrt hatte, denen in ihrem Heimatland angeblich Verfolgung durch die Mudjaheddin drohte. Das BVerwG hatte bei seiner Auslegung des Begriffs der politischen Verfolgung ein enges Verständnis quasi-staatlicher Verfolgung zugrundegelegt. Insbesondere hatte es die Auffassung vertreten, die Gebietsgewalt staatsähnlicher Urheber politischer Verfolgung müsse auf einer organisierten, effektiven und stabilisierten territorialen Hoheitsmacht beruhen, um als "quasi-staatliche" Gebietsgewalt gelten zu können. Dabei seien die Effektivität und die Stabilität regionaler Herrschaftsorganisationen in einem noch andauernden Bürgerkrieg besonders vorsichtig zu bewerten. Solange jederzeit und überall mit dem Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen gerechnet werden müsse, welche die Herrschaftsgewalt regionaler Machthaber grundlegend in Frage stellten, könne sich eine dauerhafte territoriale Herrschaftsgewalt nicht etablieren. Darum seien Machtgebilde, die während eines noch andauernden Bürgerkriegs entstanden seien, nur dann staatsähnlich, wenn sie als Vorläufer neuer oder erneuerter staatlicher Strukturen erschienen. Eine solche Lage entstehe regelmäßig erst dann, wenn in einem Bürgerkriegsgebiet die Fronten über längere Zeit hinweg stabil seien und allenfalls in Randgebieten noch gekämpft werde, was auf die vorhandene Gebietsherrschaft der Taliban nicht zutreffe. Das BVerfG trat diesem Verständnis entgegen. Es führte an, das BVerwG habe durch seine zu eng gefaßte Auslegung politischer Verfolgung die Anforderungen von Art. 16 a Abs. 1 GG überspannt und politische mit staatlicher oder quasi-staatlicher Verfolgung gleichgesetzt. Das Element der "Staatlichkeit" oder "Quasi-Staatlichkeit" von Verfolgung dürfe nicht losgelöst vom verfassungsrechtlichen Tatbestandsmerkmal des "politisch" Verfolgten betrachtet und nach abstrakten staatstheoretischen Begriffsmerkmalen geprüft werden. Es müsse vielmehr in Beziehung gesetzt bleiben zu der Frage, ob eine Maßnahme den Charakter einer politischen Verfolgung i.S.v. Art. 16 a Abs. 1 GG aufweise, vor welcher der Betroffene geschützt werden solle. Dementsprechend beurteile sich die Frage, ob in einer Bürgerkriegssituation nach dem Fortfall der bisherigen Staatsgewalt von einer Bürgerkriegspartei politische Verfolgung ausgehen könne, danach, ob diese zumindest in einem "Kernterritorium" ein Herrschaftsgebilde von gewisser Stabilität i.S. einer "übergreifenden Friedensordnung" errichtet habe. Dieser Maßstab werde verengt, wenn die Möglichkeit politischer Verfolgung bereits mit der Erwägung verneint werde, es fehle bei fortwährend um die Macht kämpfenden Bürgerkriegsparteien an einer dauerhaft verfestigten Gebietsherrschaft nach außen. Denn die anhaltende (äußere) militärische Bedrohung schließe das Bestehen eines staatsähnlichen Herrschaftsgefüges im Inneren nicht aus. Auch könne dem BVerwG nicht in der Annahme gefolgt werden, mit der Herausbildung staatsähnlicher, zu politischer Verfolgung fähiger Strukturen sei nur zu rechnen, "wenn die Bürgerkriegsparteien nicht mehr unter Einsatz militärischer Mittel mit der Absicht, den Gegner zu vernichten, und mit Aussicht auf Erfolg um die Macht im ganzen Bürgerkriegsgebiet kämpfen". Eine solche Erfordernis verfehle die für Art. 16 a Abs. 1 GG maßgebliche Frage nach der Beschaffenheit des Herrschaftsgefüges im Innern des beherrschten Gebiets zwischen dem verfolgten Machthaber und den ihm unterworfenen Verfolgten.

      39. In seinem Beschluß vom 26.10.2000 (2 BvR 1280/99 = InfAuslR 2001, 89) hatte das BVerfG über die Verfassungsbeschwerde eines türkischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit zu entscheiden, der vom OLG Celle als führender PKK-Funktionär wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden war und im wesentlichen beanstandete, daß er bei seiner Klage auf Asylanerkennung zu Unrecht wegen des sogenannten Terrorismusvorbehalts vom Asylgrundrecht ausgeschlossen worden sei. Das BVerfG bestätigte die Grundsätze, welche das BVerwG in seinem vorangegangenem Urteil vom 30.3.199845 zum "Terrorismusvorbehalt" aufgestellt hatte und nahm die Beschwerde nicht zur Entscheidung an. Es führte aus, die Grenze der Asylverheißung werde dort gezogen, wo der Asylsuchende seine politische Überzeugung unter Einsatz militärischer Mittel bestätige, da eine solche Art des politischen Kampfes von der Bundesrepublik Deutschland in Übereinstimmung mit der von ihr mitgetragenen Völkerrechtsordnung grundsätzlich mißbilligt werde. Demgemäß könne kein Asyl beanspruchen, wer danach trachte, seine terroristischen Aktivitäten oder deren Unterstützung von der Bundesrepublik Deutschland aus fortzuführen. Ferner gebe es in einem solchen Fall vom Asylausschluß auch keine "Rückausnahme", falls dem Betroffenen im Verfolgerstaat wegen seiner Aktivitäten eine härtere Bestrafung drohe, als dies sonst zur Verfolgung ähnlicher Taten üblich sei. Denn diese Umstände seien ausschließlich bei der Beantwortung der Frage zu berücksichtigen, ob Maßnahmen des Verfolgerstaates im Rahmen der Terrorismusbekämpfung als politische Verfolgung zu qualifizieren seien. Drohe dem Betroffenen im Verfolgerstaat Folter, Todesstrafe oder menschenrechtswidrige Behandlung oder Bestrafung, bleibe jedenfalls sein Anspruch auf anderweitigen Abschiebungsschutz nach � 53 AuslG unberührt.




      41 Vgl. BVerfGE 89, 315 (336 ff.).

      42 Vgl. dazu auch R. Marx, InfAuslR 2000, 513 sowie M. Sachs, JuS 2001, 181.

      43 BVerwGE 105, 306.

      44 BVerwG, 9 C 5/98 = AuAS 1998, 224.

      45 Siehe dazu Radermacher, Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1999 [17], 217.