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2001


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J. Christina Gille


IV. Staatsangehörigkeit

3. Mehrfache Staatsangehörigkeit

      16. Der VGH Hessen führte in einem Urteil vom 28.5.2001 (12 UE 3734/00 - ESVGH 51, 256) aus, daß im Verhältnis zwischen innerstaatlich verbindlichem Völkervertragsrecht und sonstigem Bundesrecht der Grundsatz lex posterior derogat legi priori nicht anwendbar ist. Im Streitfall wehrte sich ein italienischer Staatsangehöriger, seine italienische Staatsangehörigkeit durch die Einbürgerung in Deutschland zu verlieren, und verpflichtet zu sein, seinen italienischen Reisepaß Zug um Zug gegen Aushändigung der Einbürgerungsurkunde zur Weiterleitung an die italienischen Behörden abzugeben. Nach Ansicht des VGH komme es auf die mögliche Rechtsgrundlage einer Einbürgerung und auf die jeweils anzuwendenden Regeln über die Vermeidung von Mehrstaatigkeit letztlich nicht an, weil der Kläger in jedem Fall mit der Einbürgerung in Deutschland seine italienische Staatsangehörigkeit verliere. Eine Entscheidung über die Hinnahme von Mehrstaatigkeit werde von der deutschen Einbürgerungsbehörde nur verlangt, wenn die Voraussetzungen des � 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG nicht erfüllt seien. Auf die Bereitschaft des Klägers, seine italienische Staatsangehörigkeit aufzugeben, komme es aber nicht an, weil er sie nach dem insoweit allein maßgeblichen italienischen Recht verliere. Gemäß Art. 1 Abs. 1 des sowohl von Deutschland als auch von Italien ratifizierten Mehrstaaterübereinkommens47 (MSÜ) verlören volljährige Staatsangehörige einer Vertragspartei ihre vorherige Staatsangehörigkeit bei Erwerb der Staatsangehörigkeit einer anderen Vertragspartei infolge einer ausdrücklichen Willenserklärung durch Einbürgerung, Option oder Wiedereinbürgerung. Diese Bestimmungen wendeten sich nicht an die deutsche Einbürgerungsbehörde, sondern regelten die Folgen der Einbürgerung in Deutschland für die italienische Staatsangehörigkeit des Klägers. Sie seien in Italien aufgrund der dortigen Ratifizierung ebenso unmittelbar anwendbar wie in Deutschland. Für das deutsche Recht sei als unstreitig und geklärt anzusehen, daß das MSÜ durch die zwischenzeitlichen Änderungen des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes und des Ausländergesetzes nicht in seiner innerstaatlichen Verbindlichkeit berührt worden sei. Entgegen der Auffassung des VG sei der Grundsatz lex posterior derogat legi priori im Verhältnis zwischen innerstaatlich verbindlichem Völkervertragsrecht und sonstigem Bundesrecht nicht anwendbar.48 Es sei ohne weiteres und ohne ausdrückliche Erklärung des Gesetzgebers zu unterstellen, daß dieser durch die Änderung von Bundesgesetzen nicht die Geltung zuvor ratifizierten Völkervertragsrechts zu beeinträchtigen beabsichtige. Auch wenn der Grundsatz, daß völkerrechtliche Verträge unberührt blieben, nicht mehr wie zuvor noch in � 55 AuslG 1965 im Ausländerrecht ausdrücklich erwähnt werde, gelte er nach wie vor. Ebenso verhalte es sich mit dem MSÜ. Nach alledem verliere der Kläger durch eine Einbürgerung in Deutschland seine italienische Staatsangehörigkeit aufgrund von Art. 1 Abs. 1 MSÜ.

      17. Mit Urteil vom 11.1.2001 (8 K 5678/98 - InfAuslR 2001, 301) entschied das VG Düsseldorf, daß politische Betätigung kein Grund für eine Einbürgerung unter Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit nach � 87 Abs. 1 AuslG ist. Mehrstaatigkeit werde nur hingenommen, wenn der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen aufgeben könne, etwa bei Drohen erheblicher Nachteile insbesondere wirtschaftlicher oder vermögensrechtlicher Art. Gerade der Verlust staatsbürgerlicher Teilhaberechte, wie etwa das aktive und passive Wahlrecht auf allen Ebenen oder die Möglichkeit sonstiger an die Staatsangehörigkeit geknüpfter Mitwirkung bei der staatlichen Willensbildung, sei hiervon nicht erfaßt. Dies stelle lediglich die allgemeine Folge der Entscheidung des Einbürgerungsbewerbers dar, sich unter Hinnahme der rechtspolitischen Entscheidung der Vermeidung der Mehrstaatigkeit einbürgern zu lassen und dadurch die staatsbürgerlichen Teilhaberechte in seinem Herkunftsstaat zu verlieren. Eine doppelte Staatsangehörigkeit als Symbol der Verständigung und Vermittlung zwischen den Nationen sei ebenfalls kein von � 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AuslG erfaßter, erheblicher Nachteil. Erfaßt würden nur objektive Nachteile, hierzu gehöre nicht der Symbolwert einer Doppelstaatigkeit als subjektive Bewertung des Klägers, die derjenigen des Gesetzgebers entgegengesetzt sei. Dieser habe sich bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts entsprechend seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen - etwa aus dem Mehrstaaterübereinkommen49 - bewußt gegen eine weitergehende Hinnahme der Mehrstaatigkeit ausgesprochen. Die Aufgabe oder der Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit sei auch in der am 1.1.2000 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes (� 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG) weiter Voraussetzung für eine Einbürgerung.




      47 Übereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern vom 6.5.1963, BGBl. 1969 II, 1953, 2232.

      48 Siehe hierzu Stahn (Anm. 1), 494 [19].

      49 Siehe Anm. 47.