Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law Logo Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law

You are here: Publications Archive Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2001

2001


Inhalt | Zurück | Vor

J. Christina Gille


I. Völkerrecht und innerstaatliches Recht

      1. Nach einem Kammerbeschluß des BVerfG vom 14.3.2001 (1 BvR 1931/96 - NJOZ 2001, 2151) liegt bei einer Differenzierung von ausländischen Staatsangehörigen gegenüber Deutschen nach dem Merkmal der völkerrechtlichen Gegenseitigkeitsverbürgung kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde war die Versagung von Leistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) an eine jugoslawische Staatsangehörige, die 1990 in Deutschland Opfer eines Vergewaltigungsversuchs geworden war, mit der Begründung, es sei kein Entschädigungstatbestand gegeben, insbesondere fehle es im Verhältnis zu Jugoslawien an der Gegenseitigkeit. Die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht ersichtlich. Bezüglich der Ungleichbehandlung gegenüber Deutschen habe das BVerfG bereits wiederholt entschieden, daß bei einer Differenzierung nach dem Merkmal der Gegenseitigkeitsverbürgung nicht an die bloße Eigenschaft als Ausländer angeknüpft, sondern vielmehr innerhalb der Gruppe "Ausländer" nach dem Fehlen oder Vorhandensein der Gegenseitigkeit unterschieden werde. Als Erscheinungsform des völkerrechtlichen Gegenseitigkeitsprinzips diene die Gegenseitigkeitsverbürgung der Wahrnehmung eigener staatlicher Belange gegenüber anderen Staaten mit dem Zweck, die Rechtsstellung deutscher Staatsangehöriger im Ausland zu verbessern oder zu festigen. Hierbei handele es sich um ein legitimes und sachgerechtes Anliegen des Gesetzgebers. Die Gegenseitigkeitsverbürgung könne auch nicht als ein zur Zweckerreichung völlig ungeeignetes Mittel bezeichnet werden. Die Bemühungen um Gegenseitigkeit seien nicht erfolglos geblieben wie Unterzeichnung eines entsprechenden Übereinkommens durch die Mitgliedstaaten des Europarates2 zeige. Ebenfalls verletze die Ungleichbehandlung gegenüber Angehörigen eines EG-Mitgliedstaates Art. 3 Abs. 1 GG nicht. Die Zugehörigkeit zu einem Mitgliedstaat der EG stelle ein sachgerechtes Differenzierungsmerkmal dar. Die Bundesrepublik Deutschland habe als deren Mitglied das primäre Gemeinschaftsrecht und damit auch das Diskriminierungsverbot des Art. 12 Satz 1 EGV3 unmittelbar anzuwenden. Dem trage � 1 Abs. 4 Nr. 1 OEG Rechnung.

      2. In einem Kammerbeschluß vom 14.8.2001 (2 BvR 1140/00 - NStZ 2001, 658) befaßte sich das BVerfG mit den Maßnahmen der deutschen Bundesregierung und 13 weiterer Staaten gegenüber der Republik Österreich im Zusammenhang mit der Bildung einer Koalitionsregierung unter Beteiligung der FPÖ. Bei diesen Maßnahmen handelte es sich insbesondere um ein Statement der portugiesischen Präsidentschaft der EU4 im Namen der 14 Mitgliedstaaten, in dem bilaterale Reaktionen auf die Regierungsbeteiligung der FPÖ angedroht worden waren. Diese waren von der deutschen Regierung in der Folge entsprechend durchgeführt worden. Der Beschwerdeführer rügte eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip. Das BVerfG sah in den gegen Österreich gerichteten Maßnahmen jedenfalls auch Handlungen der "XIV", also der Bundesrepublik Deutschland und der 13 anderen Staaten als Völkerrechtssubjekte auf der völkerrechtlichen Ebene. Offenbleiben könne, ob die Akte der "XIV" und insbesondere die Stellungnahme der portugiesischen Präsidentschaft dem EUV5 unterlegen hätten. Der Beschwerdeführer sei jedenfalls durch die Maßnahmen nicht unmittelbar in Grundrechten betroffen, was auch für den Bereich der auswärtigen Gewalt Voraussetzung der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde sei. Aus den Grundrechten ergebe sich insoweit kein allgemeiner Gesetzesvollziehungsanspruch. Adressat der Akte der Bundesregierung und der anderen Staaten sei die Republik Österreich. Die behauptete Völkerrechtswidrigkeit der Maßnahmen begründe für sich genommen keine besondere Nähe des Beschwerdeführers zum Sachverhalt. Auch auf Art. 25 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 10 EMRK6 könne die Verfassungsbeschwerde nicht gestützt werden, wobei dahinstehen könne, ob Art. 10 EMRK als regionales Völkergewohnheitsrecht i.S.d. Art. 25 GG anzusehen sei, dessen individualschützende Wirkung der Einzelne gestützt auf Art. 2 Abs. 1 GG geltend machen könne. Dies würde allenfalls die Beschwerdebefugnis österreichischer Staatsbürger als derjenigen, deren Meinungsäußerung beschnitten worden sein könnte, begründen können.

      3. Mit Urteil vom 20.3.2001 (X ZR 177/98 - BGHZ 147, 137) stellte das BPatG klar, daß, wenn ein europäisches Patent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland sowohl in einem deutschen Beschränkungsverfahren als auch im europäischen Einspruchsverfahren beschränkt wird, nur als geschützt verbleibt, was zugleich nach beiden Entscheidungen noch unter Schutz steht. Die Entscheidung des BPatG erging in einem Nichtigkeitsverfahren gegen ein Patent, das zuvor bereits Gegenstand eines bestandskräftig gewordenen Beschränkungsbeschlusses des Deutschen Patentamts und einer Änderung durch die beschränkte Aufrechterhaltung im europäischen Einspruchsverfahren gewesen war. Beide Änderungen seien für das weitere Verfahren zu beachten. Für die Entscheidung über den Einspruch folge dies ohne weiteres aus der in Art. 68 EPÜ7 geregelten Wirkung der in Bestandskraft erwachsenen beschränkt aufrechterhaltenden Entscheidung. Die Konkurrenz der Entscheidungen im nationalen Beschränkungsverfahren und im europäischen Einspruchsverfahren sei gesetzlich nicht geregelt. Da von einer Wirksamkeit beider Entscheidungen auszugehen sei, müßten schon zur Vermeidung der Gefahr späterer Erweiterungen durch eine weniger oder anders beschränkende zweite Entscheidung beide Beschränkungen beachtlich sein. Demnach könne als geschützt insgesamt nur das verbleiben, was zugleich nach beiden Entscheidungen noch unter Schutz stehe.

      4. Das BSG unterstrich in einem Urteil vom 24.7.2001 (B 4 RA 45/99 R - Juris), daß es sich bei Bundesgesetzen zu Sozialversicherungsabkommen in der Regel um Spezialregelungen im Verhältnis zum innerstaatlichen Recht handelt, die durch ein allgemeines späteres Gesetz nicht außer Kraft gesetzt werden können. Der Kläger, ein israelischer Staatsbürger, der als Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung i.S.d. BEG anerkannt war, stritt mit der BfA über den Wert seines Rechts auf Regelaltersrente. Im einzelnen ging es um die Anwendung von Art. 22 Nr. 3 des deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommens8 (DISVA), nach dem deutsche Träger bestimmte israelische Beitragszeiten zu berücksichtigen haben. Das BSG sah keinen Anhalt dafür, daß die Bundesrepublik Deutschland durch ihr Gesetzgebungsorgan mittels notwendig einseitiger innerstaatlicher Gesetzgebung diese völkerrechtliche Vertragspflicht habe obsolet werden lassen und damit völkerrechts- und verfassungswidrig habe leerlaufen lassen wollen. Art. 22 Nr. 3 DISVA sei vielmehr vertragsgetreu bei der Feststellung der durch Anrechnungszeiten erworbenen Rangstellenwerte auch innerhalb der neuen Regeln der �� 71-74 SGB VI zu befolgen. Somit seien die nach Art. 22 Nr. 3 DISVA nur für den Rangstellenwert von Ausfallzeiten der deutschen Pflichtbeitragszeiten gleichgestellten israelischen Versicherungszeiten keine Beitragszeiten i.S. der �� 71-73 SGB VI. Andernfalls würde der Durchschnittswert aus deutschen Beitragszeiten abkommenswidrig zum Nachteil der von Art. 22 Nr. 3 DISVA Begünstigten gesenkt. Eine vertragsgetreue Anwendung des Art. 22 Nr. 3 DISVA könne nur dadurch erfolgen, daß die israelischen Zeiten zeitgleich gelagerte Versicherungslücken im deutschen Versicherungsverlauf schließen und insoweit die Anzahl der belegbaren Kalendermonate verringern würden. Die These, Art. 22 Nr. 3 DISVA sei mit Inkrafttreten des SGB VI zum 1.1.1992 obsolet geworden, lasse sich auch nicht mit dem Hinweis halten, das SGB VI sei gegenüber den Gesetzen zum DISVA und zum Änderungsabkommen das spätere Gesetz (lex posterior). Schon � 30 Abs. 2 SGB I, � 6 SGB IV und � 104 Abs. 3 SGB VI wiesen, indem sie für den Bereich des Sozialrechts des SGB den Anwendungsvorrang über- und zwischenstaatlichen Rechts betonten, in eine andere Richtung, auch wenn sie als dem Range nach einfache Bundesgesetze ebenso wie die Vertragsgesetze zu Sozialversicherungsabkommen einer (grundsätzlich) jederzeitigen Abänderbarkeit durch ein späteres Parlamentsgesetz unterliegen würden, da die lex posterior-Regel alle ranggleichen Gesetze mit gleichem (zeitlichen, örtlichen, persönlichen und sachlichen) Geltungsbereich erfasse. Art. 22 Nr. 3 DISVA enthalte aber als Bestandteil des Gesetzes zum DISVA und zum Änderungsabkommen eine lex specialis, während die �� 71-74 SGB VI nur allgemeine Vorschriften über den Rangstellenwert beitragsfreier Zeiten enthielten. Ein allgemeines späteres Gesetz könne (ohne eine seine Allgemeinheit aufhebende spezielle Norm) ein früheres Gesetz nicht außer Kraft setzen. Bei Bundesgesetzen zu Sozialversicherungsabkommen handele es sich aber in der Regel um Spezialregelungen im Verhältnis zum innerstaatlichen Recht. Die Praxis der BfA verstoße zudem gegen die allgemeine Regel des Völkerrechts, daß völkerrechtliche Verträge einzuhalten seien (pacta sunt servanda). Diese habe Vorrang vor allen Bundesgesetzen und sei ein Pflichten begründender Bestandteil des Bundesrechts (Art. 25 GG). Das DISVA und das Änderungsabkommen seien völkerrechtlich wirksam, die jeweiligen Vertragsgesetze innerstaatlich gültig. Zwar könne der Bundestag gültige Gesetze erlassen, die mit gültigen völkerrechtlichen Verträgen unvereinbar seien. Ein Gesetz dürfe aber nur dann i.S. eines solchen Vertragsbruchs ausgelegt und angewandt werden, wenn ein dem Gebot der vertragsfreundlichen Auslegung genügendes Verständnis schlechthin ausgeschlossen sei. Folglich habe die BfA israelische Zeiten nach Art. 22 Nr. 3 DISVA berücksichtigen müssen.




      2 Europäisches Übereinkommen über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten vom 24.11.1983, ETS 116, BGBl. 1997 II, 740.

      3 Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25.3.1957, BGBl. 1957 II, 766, i.d.F. des Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte vom 2.10.1997, BGBl. 1998 II, 387.

      4 Bulletin Quotidien Europe No. 7645 (2000), 9.

      5 Vertrag über die Europäische Union vom 7.2.1992, BGBl. 1992 II, 1523, i.d.F. des Vertrages von Amsterdam (Anm. 3).

      6 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950, BGBl. 1952 II, 685, 953; BGBl. 1968 II, 1116, 1120; i.d.F. des Protokolls Nr. 11 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 11.5.1994, BGBl. 1995 II, 579.

      7 Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente vom 5.10.1973, BGBl. 1976 II, 826.

      8 Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über die Soziale Sicherheit vom 17.12.1973, BGBl. 1975 II, 246, 443; geändert durch Abkommen vom 7.1.1986, BGBl. 1986 II, 863, 1099; Zusatzabkommen vom 12.2.1995, BGBl. 1996 II, 298.