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You are here: Publications Archive Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2001

2001


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J. Christina Gille


XII. Europäische Gemeinschaften

4. Niederlassungsfreiheit

      77. Das OLG Hamm bestätigte in einem Beschluß vom 1.2.2001 (15 W 390/00 - NJW 2001, 2183) seine Ansicht, daß auch nach der Entscheidung des EuGH im Fall Centros202 die Sitzverlegung einer in Deutschland gegründeten GmbH ins EG-Ausland zur Auflösung der Gesellschaft führt und deshalb im Handelsregister nicht eingetragen werden kann.203 Die Verlegung des Sitzes einer im Inland gegründeten GmbH ins Ausland führe nach deutschem Recht infolge der Sitztheorie regelmäßig zu ihrer Auflösung. Die Verlegung des statutarischen und des effektiven Sitzes der Gesellschaft führe zu einer Änderung des Personalstatuts. Zwar könne die alleinige Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes einer Gesellschaft für den Fortbestand ihres Personalstatuts unschädlich sein, sofern die Verlegung in einen der Gründungstheorie folgenden Mitgliedstaat erfolge, da dies zu einer nach Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EGBGB zu beachtenden Rückverweisung auf das deutsche Sachrecht führe. Anders verhalte es sich aber, wenn auch der statutarische Sitz der Gesellschaft in einen der Gründungstheorie folgenden Staat verlegt werde. Die Gesellschaft sei dann nicht anerkennungsfähig, weil sie nicht nach dem Recht ihres statutarischen Sitzes gegründet worden sei. Nach deutschem Recht führe der Wechsel des Personalstatuts zwingend zur Auflösung und Abwicklung der Gesellschaft. Die Anwendung der Sitztheorie im deutschen internationalen Privatrecht werde nicht durch die Niederlassungsfreiheit nach den Art. 43 und 48 EGV (früher Art. 52 und 58 EGV) berührt. Dies folge aus der Rechtsprechung des EuGH im Fall Daily Mail204, nach der die Art. 52, 58 EGV205 den Gesellschaften nationalen Rechts kein Recht gewähren, den Sitz ihrer Geschäftsleitung - unter Wahrung ihrer Eigenschaft als Gesellschaft des Mitgliedstaats ihrer Gründung - in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen. Aus der späteren Entscheidung des EuGH im Fall Centros, die nur die sogenannte sekundäre Niederlassungsfreiheit betroffen habe, ergebe sich nichts anderes. Zweifel an der Übertragbarkeit der Centros-Entscheidung auf die primäre Niederlassungsfreiheit würden untermauert durch die weitere Vorlage des BGH206 an den EuGH zur Frage, ob eine in einem Mitgliedstaat gegründete Gesellschaft Anspruch auf Anerkennung ihrer Rechts- und Parteifähigkeit nach Verlegung ihres effektiven Verwaltungssitzes in das Inland habe. Jedenfalls für den Fall der Sitzverlegung einer im Inland gegründeten Gesellschaft ins Ausland müsse es bei der Anwendung der Grundsätze aus der Entscheidung des EuGH im Fall Daily Mail bleiben, da der EuGH im Fall Centros nicht habe erkennen lassen, für die Beurteilung der Gemeinschaftsrechtskonformität nationalen Rechts in Bezug auf den Wegzug einer im Inland gegründeten Gesellschaft die Grundsätze aus seiner früheren Entscheidung Daily Mail aufgeben zu wollen.




      202 EuGH, Urteil vom 9.3.1999 (C-212/97, Centros Ltd/Erhvervsog Selskabsstyrelsen - Slg. 1999, I-1459).

      203 Im gleichen Sinne unter Berücksichtigung der hoheitlichen Interessen des Zuzugsstaates sowie des Vorentwurfes einer Richtlinie zur Verlegung des Gesellschaftssitzes innerhalb der EU: OLG Düsseldorf, Beschluß vom 26.3.2001 (3 Wx 88/01 - BB 2001, 901).

      204 EuGH, Urteil vom 27.9.1988 (81/87, The Queen/Treasury and Commissioners of Inland Revenue, ex parte Daily Mail and General Trust PLC - Slg. 1988, 5483).

      205 EG-Vertrag (Anm. 3) in der ursprünglichen Fassung.

      206 BGH, Beschluß vom 30.3.2000 (VII ZR 370/98 - EuZW 2000, 412); vgl. Stahn (Anm. 1), 544 [77]; der EuGH hat inzwischen über diese Vorlagefrage mit Urteil vom 5.11.2002 (C-208/00, Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH [NCC] - erhältlich unter http://curia.eu.int/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de) entschieden und einen Verstoß gegen Art. 43 und 48 EGV bejaht für den Fall, daß ein Mitgliedstaat nach einer Sitzverlegung die Rechtsfähigkeit und Parteifähigkeit einer Gesellschaft, die diese nach dem Recht ihres Gründungsstaats besitzt, nicht anerkennt.