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You are here: Publications Archive Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2001

2001


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J. Christina Gille


XIII. Deutschlands Rechtslage nach 1945 und deutsche Wiedervereinigung

2. Wiedervereinigung

d) Regelung von Vermögensfragen

      92. In einem Kammerbeschluß vom 22.2.2001 (1 BvR 198/98 - Neue Justiz 2001, 419) entschied das BVerfG, daß einerseits die Regelungen des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes, nach denen dem Nutzer eines fremden, im Beitrittsgebiet belegenen Grundstücks ein Ankaufsrecht grundsätzlich zur Hälfte des Bodenwerts eingeräumt wird, andererseits die Regelungen, die die Bodenwertermittlungen betreffen, nicht gegen Art. 14 oder Art. 3 GG verstoßen.251 Die Geltendmachung des dem Nutzer nach � 15 Abs. 1 i.V.m. den �� 61 ff. SachenRBerG zustehenden Ankaufsrechts führe zwar dazu, daß der bisherige Grundstückseigentümer sein Eigentum verliere. Darin liege jedoch keine Enteignung i.S.v. Art. 14 Abs. 3 GG, sondern es handele sich um die Angleichung der in der Deutschen Demokratischen Republik entstandene Nutzungsverhältnisse an das Immobiliarsachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs.252 Die vorliegend angegriffenen Bestimmungen des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes seien Teil dieses Regelungskonzepts und bestimmten i.S.v. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG den Inhalt und die Schranken des (Grundstücks-)Eigentums. � 15 Abs. 1 i.V.m. � 19 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 2, 3 Nr. 1, Abs. 3, � 61 und � 68 SachenRBerG stehe nach den in der Rechtsprechung des BVerfG aufgestellten Maßstäben mit Art. 14 Abs. 1 GG im Einklang und diene als Teil des Regelungskonzepts, mit dem auf dem Gebiet des Sachenrechts die Rechtseinheit in Deutschland wiederhergestellt werden solle, einem legitimen Regelungsziel. Die Einräumung des Rechts des Nutzers auf Ankauf des von ihm genutzten Grundstücks grundsätzlich zur Hälfte des Bodenwerts führe auch zu einem angemessenen, auch die Belange des Grundstückseigentümers hinreichend berücksichtigenden, Interessenausgleich. Der Gesetzgeber habe hier sachgerecht berücksichtigt, daß der Übergang von der sozialistischen Planwirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft zu grundlegenden Veränderungen auf dem Immobilienmarkt, insbesondere zu einem explosionsartigen Anstieg der Grundstückspreise, geführt habe, und daß diese Bodenwertsteigerungen nicht auf einer wirtschaftlichen Leistung des Grundstückseigentümers oder des Nutzers beruhten und daher für beide Seiten einen unerwarteten Gewinn darstellten. Ebenfalls führten die Regelungen über die Ermittlung des Bodenwerts in � 19 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 2, 3 Nr. 1 und Abs. 3 SachenRBerG zu keiner unangemessenen Benachteiligung der Grundstückseigentümer. Es sei sachgerecht, auch hinsichtlich der Anknüpfung an den Wert eines baureifen Grundstücks, daß allein der Bodenwert Bemessungsgrundlage für den Erbbauzins oder den Ankaufspreis sei, da nur die nach der Wiedervereinigung eingetretenen Bodenwertsteigerungen zwischen Grundstückseigentümern und Nutzern hälftig aufgeteilt werden sollten. Soweit nach � 15 Abs. 1 SachenRBerG Grundstückseigentümer, deren Grundstücke der Sachenrechtsbereinigung unterfielen, gegenüber den Nutzern dieser Grundstücke benachteiligt würden, sei dies im übrigen auch deshalb hinreichend sachlich gerechtfertigt, weil die Nutzer auf den Grundstücken bauliche Werte geschaffen hätten, aufgrund der Rechtslage und der Rechtswirklichkeit in der Deutschen Demokratischen Republik darauf hätten vertrauen dürfen, die von ihnen errichteten Gebäude und baulichen Anlagen unbefristet nutzen zu können, und bei einem Ankauf des Gebäudes oder der Anlage durch den Grundstückseigentümer ihre Wohnung oder Betriebsstätte verlieren würden.

      93. Mit Beschluß vom 10.10.2001 (1 BvL 17/00 - BVerfGE 104, 74) stellte das BVerfG die Unvereinbarkeit von � 1 Abs. 3 des Gesetzes über die Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen vom 27.9.1994 (EntschG) mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG fest. Nach � 1 Abs. 3 EntschG war die Gewährung einer Entschädigung für Grundstücke i.S.d. � 1 Abs. 2 VermG ausgeschlossen, die aufgrund nicht kostendeckender Mieten und infolgedessen eingetretener oder unmittelbar bevorstehender Überschuldung durch Eigentumsverzicht, Schenkung oder Erbausschlagung in Volkseigentum übernommen wurden (sogenannte "kalte Enteignung") und nicht restituiert werden konnten.

      Das BVerfG sah in dieser Regelung keinen Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG, weil eine vermögenswerte Rechtsposition, in die � 1 Abs. 3 EntschG hätte eingreifen können, niemals bestanden habe. Aus den Grundrechten lasse sich auch nicht herleiten, daß die Bundesrepublik Deutschland Vermögensschäden wiedergutmachen müsse, für deren Zustandekommen eine nicht an das Grundgesetz gebundene Staatsgewalt wie die DDR die Verantwortung trage.

      Auch im Hinblick auf das Sozial- und Rechtsstaatsprinzip begegne � 1 Abs. 3 EntschG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

      Jedoch widerspreche die Regelung des � 1 Abs. 3 EntschG dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Von � 1 Abs. 3 EntschG betroffene Berechtigte i.S.d. � 2 Abs. 1 VermG würden in zweierlei Hinsicht schlechter behandelt als andere Alteigentümer. Zum einen würden sie gegenüber denen benachteiligt, die sich auf einen der Schädigungstatbestände des � 1 Abs. 1 und 3 VermG berufen und, wenn eine Rückgabe des Vermögenswertes ausgeschlossen sei, gemäß � 1 Abs. 1 Satz 1 EntschG Entschädigung beanspruchen könnten. Zum anderen bestehe im Binnenbereich des � 1 Abs. 2 VermG eine Benachteiligung im Vergleich zu den Eigentümern, die ebenfalls nach � 1 Abs. 1 Satz 1 EntschG entschädigungsberechtigt seien, weil das nicht restituierbare Grundstück unter den Voraussetzungen des � 1 Abs. 2 VermG durch Enteignung in Volkseigentum übernommen worden sei.

      � 1 Abs. 2 VermG insgesamt sei eine Regelung, die wie � 1 Abs. 1 und 3 VermG dazu bestimmt sei, Unrecht wieder gut zu machen, das den Betroffenen in vermögensrechtlicher Hinsicht unter der Verantwortung der DDR zugefügt worden sei. Für Vermögenswerte, die von Schädigungsmaßnahmen im Verständnis des � 1 Abs. 1 und 3 VermG betroffen worden seien, und für Grundstücke i.S.d. � 1 Abs. 2 VermG, die förmlich enteignet worden seien, komme dieser wiedergutmachungsrechtliche Charakter konsequent darin zum Ausdruck, daß sie nicht nur nach dem Vermögensfragensgesetz der Restitution unterlägen, sondern daß für ihren Verlust, wenn die Rückübertragung ausgeschlossen sei, gemäß � 1 Abs. 1 Satz 1 EntschG auch Entschädigung gewährt werde.

      Es sei systemwidrig und indiziere einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, wenn der Gesetzgeber zwar für die Fälle des � 1 Abs. 1 und 3 VermG und für die des � 1 Abs. 2 VermG, soweit sie die Übernahme in Volkseigentum durch Enteignung beträfen, neben der Restitution in Natur auch die Entschädigung nach dem Entschädigungsgesetz vorgesehen habe, diese Möglichkeit aber für die Fälle des � 2 Abs. 2 VermG ausgeschlossen habe, in denen die Übernahme in Volkseigentum auf Eigentumsverzicht, Schenkung oder Erbausschlagung beruht habe. Für den durch die Systemwidrigkeit indizierten Verstoß sei vorliegend auch keine sachlich hinreichende Rechtfertigung erkennbar. Die Benachteiligung der Betroffenen gegenüber den nach � 1 Abs. 1 oder 3 VermG Restitutionsberechtigten könne nicht damit gerechtfertigt werden, daß das Eigentum an Grundstücken i.S.d. � 1 Abs. 2 VermG dort, wo es durch Eigentumsverzicht, Schenkung oder Erbausschlagung in Volkseigentum übernommen worden sei, letztlich aufgrund eigener Entscheidung aufgegeben worden sei. Weiterhin könne die Benachteiligung der Betroffenen auch nicht damit gerechtfertigt werden, daß es sich bei den Maßnahmen i.S.d. � 1 Abs. 2 VermG nur um ein mittelbar wirkendes und eher langfristig angelegtes Systemunrecht gehandelt habe, da auch � 1 Abs. 1 lit. d VermG Sachverhalte systembedingten Unrechts erfasse, ohne einen Entschädigungsausschluß vorzusehen. Es fehle daher an Unterschieden, die die Benachteiligung rechtfertigen könnten. Gleichermaßen gebe es keine Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung der von � 1 Abs. 3 EntschG Betroffenen im Binnenbereich des � 1 Abs. 2 VermG. Auch insoweit komme der Gesichtspunkt der "eigenen Entscheidung" als Rechtfertigungsgrund nicht in Betracht.




      251 Im Anschluß hieran zur Verfassungsmäßigkeit von � 12 Abs. 2 SachenRBerG siehe BVerfG, Kammerbeschluß vom 15.3.2001 (1 BvR 533/99 - VIZ 2001, 328); sowie zur Verfassungsmäßigkeit von � 121 Abs. 2 SachenRBerG siehe BVerfG, Kammerbeschluß vom 16.5.2001 (1 BvR 933/99 - VIZ 2001, 483).

      252 Vgl. hierzu BVerfG, Beschluß vom 8.4.1998 (1 BvR 1680/93 u. a. - BVerfGE 98, 17).