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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


700. DIPLOMATISCHER SCHUTZ

Nr.93/1

Die Bundesrepublik Deutschland schuldet kraft Verfassungsrechts keine Entschädigung für die Unterlassung diplomatischer Vorstöße zugunsten von Einzelpersonen, die nach der vertretbaren außenpolitischen Einschätzung der Bundesregierung erfolglos bleiben müßten.

By virtue of constitutional law, the Federal Republic of Germany does not owe compensation for the failure to take diplomatic measures in favor of individuals which would have no chance of success, according to the justifiable foreign policy judgment of the federal executive.

Bundesverfassungsgericht (3.Kammer des Zweiten Senats), Beschluß vom 8.9.1993 (2 BvR 2121/92 u.a.), Juris Dok.Nr.342892 (ZaöRV 55 [1995], 825 f.)

Entscheidungsauszüge:

      Eine Annahme der Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung ist zur Durchsetzung der in §90 Abs.1 BVerfGG genannten Rechte nicht angezeigt. Die Beschwerdeführer sind durch Handlungen oder Unterlassungen von Organen der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17. Juni 1991 (BGBl. 1991 II S.1315) nicht in ihren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt.
      1. Der deutsch-polnische Nachbarschafts- und Freundschaftsvertrag beeinträchtigt die Beschwerdeführer nicht in ihrem Eigentumsrecht. Ungeachtet der ersten Erwägung seiner Präambel, wonach der Vertrag dazu dienen soll, die leidvollen Kapitel der Vergangenheit abzuschließen, trifft er selbst keinerlei Regelung in bezug auf das Eigentum von aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten vertriebenen oder geflohenen Personen und ihren Erben. Dies ergibt sich aus dem im Zusammenhang mit der Unterzeichnung des Vertrages erfolgten Briefwechsel. Die gleichlautenden Briefe bringen in Ziffer 5 die übereinstimmende Auffassung beider Vertragsparteien darüber zum Ausdruck, daß der Vertrag sich nicht mit Vermögensfragen befasse. Im Hinblick auf die beide Vertragsparteien bindende Regelung in Art.31 Abs.1 i.V.m. Abs.2 Buchst.a) des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23.Mai 1969 (BGBl. 1985 II S.926) kann eine gegenteilige Auslegung des Vertrages ausgeschlossen werden. Angesichts der oft genug bestätigten Rechtsauffassung der Bundesregierung zu diesen Eigentumsfragen, die der polnischen Seite seit langem bekannt und während der Vertragsverhandlungen aufrechterhalten worden ist, besteht auch keine Verwirkungsgefahr.
      2. Eine Grundrechtsverletzung liegt auch nicht darin, daß die Bundesrepublik Deutschland die von den Beschwerdeführern behaupteten Rechtspositionen gegenüber der Republik Polen nicht vertraglich oder in sonstiger Weise gesichert hat ... [s.343 [92/1]]. Ebensowenig stellt es sich als Grundrechtsverletzung dar, daß die Bundesregierung keine anderweitigen konkreten Schritte unternommen hat, um den Beschwerdeführern zur Durchsetzung der Rechte zu verhelfen, die sie dem polnischen Staat gegenüber geltend machen. Angesichts der rechtlichen Umstrittenheit dieser Ansprüche und der politischen Lage im deutsch-polnischen Verhältnis wären deutsche Vorstöße in diese Richtung nach der aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zu beanstandenden Einschätzung der Bundesregierung erfolglos und zudem politisch schädlich.
      3. Schließlich sind die Beschwerdeführer auch dadurch nicht in ihren Grundrechten verletzt, daß der deutsche Gesetzgeber keine Entschädigungsregelung zu ihren Gunsten getroffen hat ... Soweit die Beschwerdeführer eine entschädigungspflichtige Aufopferung für das gemeine Wohl darin sehen, daß die Bundesregierung Rechte, die sie gegenüber der Republik Polen geltend machen, aus vorrangig erscheinenden außenpolitischen Gründen nicht durchsetzt, kann ihnen aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht gefolgt werden. Die Bundesrepublik Deutschland schuldet kraft Verfassungsrechts keine Entschädigung für die Unterlassung diplomatischer Vorstöße, die nach der vertretbaren außenpolitischen Einschätzung der Bundesregierung erfolglos bleiben müßten.