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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


211. CHARAKTER UND STATUS

Nr.87/1 [a] Art.25 GG verpflichtet den deutschen Normgeber und -anwender, die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu beachten.
[b] Behörden und Gerichten der Bundesrepublik Deutschland ist es kraft Art.25 GG verwehrt, gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts verstoßenden Akten nichtdeutscher Hoheitsträger im Inland Wirkungen zu geben.
[c] Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art.25 GG gehören das ius cogens, das Völkergewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze.
[a] Art.25 of the Basic Law obligates the German legislature and executive to observe the general rules of public international law.
[b] Art.25 of the Basic Law prohibits German authorities and courts from giving domestic effects to non-German acts of state which violate a general rule of public international law.
[c] The general rules of public international law in the sense of Art.25 of the Basic Law include ius cogens, customary international law and the general principles of law.

Bundesverfassungsgericht, (1. Kammer des Zweiten Senats), Beschluß vom 21.5.1987 (2 BvR 1170/83), NJW 1988, 1462 (ZaöRV 48 [1988], 721) (s.212 [87/2])

Einleitung:

      Der Beschwerdeführer wandte sich gegen die Eintragung einer gegen ihn ergangenen strafrechtlichen Verurteilung durch das Landgericht Florenz/Italien in das Bundeszentralregister. Der des Italienischen nicht hinreichend mächtige Beschwerdeführer rügte, daß diese Verurteilung ohne vollständige Übersetzung der Ausführungen des Gerichts, der Zeugenaussagen sowie der Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung erfolgt sei. Der Generalbundesanwalt und das Oberlandesgericht hätten diese Verletzung völkerrechtlicher Mindeststandards im Eintragungsverfahren nicht unbeachtet lassen dürfen.
      Das Bundesverfassungsgericht bejaht zwar eine aus Art.19 Abs.4 Satz 1 GG folgende Prüfungspflicht im Hinblick auf eine Verletzung von Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art.25 GG, auf deren Verkennung die Entscheidung des Oberlandesgerichts jedoch nicht beruhe. Denn der Beschwerdeführer habe seine Mitwirkungslast nicht erfüllt, die angeblichen Verfahrensmängel vor den Gerichten des erkennenden Staates zu beseitigen.

Entscheidungsauszüge:

      Art.25 GG zufolge sind bei der Gestaltung der innerstaatlichen Rechtsordnung durch den Normgeber und bei der Auslegung und Anwendung von Vorschriften des innerstaatlichen Rechts durch Verwaltung und Gerichte die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu beachten [BVerfGE 23, 288 (300); 31, 145 (177); NJW 1987, 2155].
      Hieraus folgt insbesondere, daß es den Behörden und Gerichten der Bundesrepublik Deutschland kraft Art.25 GG verwehrt ist, innerstaatliches Gesetzesrecht in einer Weise auszulegen und anzuwenden, welche die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verletzt. Sie sind auch verpflichtet, alles zu unterlassen, was einer unter Verstoß gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts vorgenommenen Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger im Geltungsbereich des Grundgesetzes Wirksamkeit verschafft (BVerfG, NJW 1987, 2155).
      Dieser allgemeine Grundsatz, der bislang insbesondere im Bereich des Auslieferungsrechts konkretisiert worden ist, liegt auch der Neufassung der §§54, 55 BZRG ... (BGBl.I 1984 S. 1229; ber.I 1985, 195) zugrunde ... Schon zuvor hatte das OLG Karlsruhe ... in einem ein italienisches Kontumazialverfahren betreffenden Fall entschieden, daß von der Anwendung des §52 BZRG a.F. solche ausländische[n] Verurteilungen auszunehmen seien, die entweder aufgrund von Verfahrensordnungen oder in Anwendung einzelner Verfahrensvorschriften ergangen seien, die dem völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard an elementarer Verfahrensgerechtigkeit (fair trial) und den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der deutschen öffentlichen Ordnung nicht genügten ... Ergibt sich aus der Überprüfung der ... Einwendungen, daß das fragliche Urteil oder das Verfahren, in dem es ergangen ist, gegen die öffentliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland verstoßen - insbesondere weil der völkerrechtlich verbindliche Mindeststandard an rechtsstaatlicher Verfahrensausgestaltung nicht beachtet wurde -, so ist ein solches Urteil nicht eintragungsfähig; eine erfolgte Eintragung ist zu entfernen ...
      Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts i.S. des Art.25 GG gehören neben denjenigen Normen, denen die Qualität von völkerrechtlichem ius cogens zukommt, das Völkergewohnheitsrecht sowie die anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze i.S. des Art.38 Abs. 1 lit.c des Statuts des Internationalen Gerichtshofs ... Das Bestehen von Völkergewohnheitsrecht setzt eine von zahlreichen, alle weltweit bestehenden Rechtskulturen repräsentierenden Staaten befolgte Praxis voraus, die allgemein in der Überzeugung geübt wird, hierzu von Völkerrechts wegen verpflichtet zu sein [BVerfGE 46, 342 (367); 66, 39 (65)]. Bei der Ermittlung von Normen des Völkergewohnheitsrechts ist in erster Linie auf das völkerrechtlich verbindliche Verhalten derjenigen Staatsorgane abzustellen, die kraft Völkerrechts oder kraft innerstaatlichen Rechts dazu berufen sind, den Staat im völkerrechtlichen Verkehr zu repräsentieren. Daneben kann sich eine solche Praxis aber auch in den Akten anderer Staatsorgane, wie des Gesetzgebers oder der Gerichte, bekunden, zumindest soweit ihr Verhalten unmittelbar völkerrechtlich erheblich ist, etwa zur Erfüllung einer völkerrechtlichen Verpflichtung oder zur Ausfüllung eines völkerrechtlichen Gestaltungsspielraums dienen kann [BVerfGE 46, 342 (367)]. Im hier beachtlichen Bereich völkerrechtlicher Mindeststandards auf dem Gebiet der strafprozessualen Menschenrechte sind, neben dem auf dem Wege der Rechtsvergleichung ermittelten gemeinsamen Mindeststandard an nationaler Grundrechtsgewährleistung, insbesondere die einschlägigen Verbürgungen in den völkerrechtlichen Menschenrechtsinstrumenten heranzuziehen.