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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


820. AUSWEISUNG UND ABSCHIEBUNG

Nr.87/1

Die Ausländerbehörde muß bei der Ausübung ihres Ermessens, ob ein Ausländer ausgewiesen werden soll, auch die Möglichkeit einer zusätzlichen Bestrafung des Ausländers bis hin zur Todesstrafe berücksichtigen.

The immigration service, when exercising its discretion whether to expel an alien, must take into account the possibility that the alien may face additional punishment, including the death penalty, abroad.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 1.12.1987 (1 C 29.85), BVerwGE 78, 285 (ZaöRV 48 [1988], 732) (S.1112.Art.6 Abs.2 [87/2])

Einleitung:

      Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung. Er war wegen eines Verkehrsdelikts sowie wegen unerlaubten Waffenbesitzes rechtskräftig verurteilt worden. Eine weitere Verurteilung wegen eines Betäubungsmittelverbrechens zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren war bei Erlaß des Widerspruchsbescheids noch nicht rechtskräftig. Der Kläger macht u.a. geltend, in seinem Heimatstaat Türkei drohe ihm wegen des Betäubungsmitteldelikts eine erneute Bestrafung bis hin zur Todesstrafe.

Entscheidungsauszüge:

      2. ... Die Zugriffe ausländischer Staatsgewalt auf Freiheit, Leib und Leben des Ausländers sind ... in die Ermessensabwägung einzustellen ... Das Bundesverfassungsgericht hat ungeachtet dessen, daß es eine grundrechtliche Verantwortlichkeit deutscher Hoheitsgewalt für die Folgewirkung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Heimatstaat eines Ausländers verneint hat (BVerfG ... InfAuslR 1987, 37 [38] im Anschluß an BVerfGE 66, 39 [60, 62]), bei der Überprüfung von Entscheidungen über die Auslieferung von Ausländern wiederholt anerkannt, daß die deutschen Gerichte nicht gehindert und gegebenenfalls auch verpflichtet sind, die im Ausland eintretenden Folgen einer Auslieferung zu prüfen (... BVerfGE 63, 197 [206 ff.]). Auch wenn Ausländer grundsätzlich das Risiko für im Heimatstaat drohende Nachteile auf Grund des mit der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staat verbundenen gegenseitigen Rechte- und Pflichtenverhältnisses zu tragen haben, sind dementsprechend im Rahmen der bei der Ausweisung gebotenen Interessenabwägung die dem Ausländer in seinem Heimatstaat drohenden Nachteile ebenfalls in den Abwägungsvorgang einzubeziehen ...
      b) ... Eine Einbeziehung der im Ausland eintretenden Folgen ist ferner nicht deshalb ausgeschlossen, weil die deutsche Hoheitsgewalt grundsätzlich die Eigenständigkeit fremder Rechtsordnungen zu respektieren hat ... Denn die deutsche Staatsgewalt ist dadurch nicht gehindert, bei innerstaatlichen Maßnahmen den Grundsätzen ihrer Rechtsordnung Geltung zu verschaffen (BVerfG ... NJW 1987, 830...). Durch einen etwaigen Verzicht auf eine Ausweisung und den dadurch ausgelösten Verbleib eines Ausländers im Bundesgebiet wird nicht in eine fremde Rechtsordnung eingegriffen ...
      c) ... Bei der Abwägung der für und gegen die Ausweisung eines Ausländers sprechenden Gründe kommt dem öffentlichen Interesse, künftigen Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorzubeugen ..., nach Verurteilung wegen Rauschgifttaten eine besondere Bedeutung zu.
      Die Gefahr einer im Ausland drohenden Todesstrafe wirkt jedoch auf das Gewicht dieses öffentlichen Interesses ein. Die Bundesrepublik Deutschland bemüht sich, bei der Rechtsgestaltung durch internationale Verträge "die in Art.102 GG zum Ausdruck gekommene grundsätzliche Einstellung zur Todesstrafe" ... zur Geltung zu bringen und auf eine Einschränkung dieser Strafe hinzuwirken. Dementsprechend hat sie die weltweite Tendenz zur Ächtung der Todesstrafe unterstützt ... Danach ist ... auch bei ausländerbehördlichen Entscheidungen eine im Ausland drohende Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe nicht von vornherein rechtlich irrevelant; denn das Ausweisungsermessen wird wesentlich von der im Grundgesetz verkörperten Wertordnung geprägt.